"Hoher Leidensdruck" bei Endometriose: Frauenarzt des UKGM Gießen klärt über Krankheit auf

Nicht heilbar, aber behandelbar: Endometriose kann die Lebensqualität von Frauen erheblich beeinträchtigen. Symbolfoto: dpa
GIESSEN - 40 000 Frauen wird jährlich die Diagnose Endometriose gestellt. Etwa 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung ist davon betroffen. Trotzdem erfährt die Erkrankung (von griechisch "endon": innen, "metra": Gebärmutter) bisher relativ wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Prof. Ivo Meinhold-Heerlein ist Geschäftsführender Direktor und Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Gießen. Er möchte das Bewusstsein für Endometriose schärfen. Einige Fragen dazu hat er im Interview mit dem Anzeiger beantwortet.
Was genau ist Endometriose eigentlich? Und was stellt sie im Körper an?
Als Endometriose bezeichnet man die Ansiedlung von Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut ähnlich sind - an Regionen im Körper, wo diese gar nicht hingehören. Dies ruft Schmerzen hervor. Es gibt drei unterschiedliche Formen von Endometriose: Meistens siedelt sie sich im Bauchfell an, kann aber auch im Eierstock wachsen, wo sich blutgefüllte Zysten bilden, die auch sehr groß werden können. Die tief infiltrierende Endometriose als dritte Form wächst tief ins Gewebe ein und kann dazu führen, dass die Organe im kleinen Becken miteinander "verkleben". Das kann beispielsweise zu einem Harnstau führen.
Und welche Symptome gehen mit der Erkrankung einher?
Das Kardinalsymptom ist die schmerzhafte Regelblutung, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein, im Extremfall aber zu Kollapsneigung und Arbeitsunfähigkeit führen kann. Dazu kommen unter anderem funktionelle Darmstörungen wie Durchfall oder Schmerzen beim Wasserlassen, Stuhlgang oder Geschlechtsverkehr. Bei mehrjährigem Bestehen kann es auch zu kontinuierlichen Unterbauchschmerzen kommen.

Wirbt für mehr Aufklärung: Prof. Ivo Meinhold-Heerlein möchte das öffentliche Bewusstsein für die Krankheit Endometriose schärfen. Foto: Moor
Gibt es Risikogruppen, bei denen die Krankheit eher auftritt?
Wenn man früh schwanger wird, sinkt die Gefahr, an Endometriose zu erkranken, das ist allerdings keine Garantie dagegen. Eine frühe Einnahme der Pille unterdrückt die Symptome und mindert deren Ausprägung. Da das Erstgebärendenalter angestiegen ist, etwa zehn Jahre im Vergleich zu früher, gibt dies der Endometriose mehr Zeit, anzuwachsen.
Wann wird eine Endometriose meistens festgestellt?
Die Patientinnen sind meistens Anfang oder Mitte 20. Die erste Menstruation bekommen Mädchen etwa mit 13, 14 Jahren, dann dauert es einige Jahre, bis sich die Krankheit manifestiert sowie nochmals bis zur Diagnose.
KONTAKT
Ein Verdacht auf Endometriose sollte zunächst mit dem eigenen Gynäkologen abgeklärt werden. Außerdem bietet das Uniklinikum Gießen als zertifiziertes Endometriose-Zentrum eine spezielle Sprechstunde an. Dort werden auch Disziplinen wie Schmerztherapie und Psychosomatik mit einbezogen. Die Sprechstunde findet dienstags statt, Patientinnen können sich telefonisch unter 0641/985-45266 oder 0641/985-45105 anmelden.
Wie wird diagnostiziert und welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Es ist eine Bauchspiegelung nötig, um die Krankheit vollständig abzuklären. Diese dient auch der Therapie, indem möglichst alle Endometrioseherde entfernt werden. Dieser Schritt führt zur Beschwerdeerleichterung. Darüber hinaus gibt es medikamentöse Behandlungsformen, wie beispielsweise Hormontherapien in Form von Pille oder Spirale. Weiterhin wirken sich Sport und gesunde Ernährung unterstützend aus, zu Letzterem gibt es hilfreiche Literatur. Da es sich um eine zwar gutartige, aber chronische Krankheit handelt, ist Endometriose nicht heilbar, jedoch behandelbar - und in den Wechseljahren lassen die Symptome oftmals nach.
Wie sieht es mit einem Kinderwunsch bei Endometriose aus?
Betroffene Patientinnen haben es in der Tat schwerer, schwanger zu werden. Zum einen kann durch Verklebung die Anatomie verändert sein, außerdem kann der permanente Entzündungsreiz, den die Endometriose auslöst, die Fruchtbarkeit beeinflussen. Weiterhin altern die Eizellen schneller - bei einer frühen Diagnose sollte also auch ein möglicher Kinderwunsch in den Blick genommen werden.
Wann sollte man einen Endometriose-Verdacht abklären lassen?
Regelschmerzen, die so stark sind, dass sie die Lebensqualität beeinträchtigen, sollten Grund genug sein, sich Rat beim Facharzt zu suchen - und dort auch reichlich Zeit für ein Beratungsgespräch einzuplanen.
Im Schnitt wird eine Endometriose nach sechs Jahren diagnostiziert. Warum dauert das so lange?
Ich glaube, das ist unter anderem deswegen so, weil Regelschmerzen als naturgegeben hingenommen werden. Die Beschwerden werden oft aus Scham nicht geäußert oder durch das Umfeld bagatellisiert. Außerdem ist Endometriose als Erkrankung im Bewusstsein der Ärzteschaft nicht flächendeckend ausgeprägt, sodass das Symptom "Regelschmerz" gleich zu einer Abklärung führt.
Wie sehen Sie momentan die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit?
Diese nimmt zu, wir müssen allerdings die ganze Bevölkerung über Endometriose aufklären, nicht nur Frauen. Viele Betroffene haben einen großen Leidensdruck durch unerfüllten Kinderwunsch, weil Sexualität und Partnerschaft leiden sowie Patientinnen durch schmerzbedingte Ausfälle ihren Job verlieren. Auch Männer sollten darüber aufgeklärt werden, welche Sorgen und Nöte mit der Krankheit einhergehen, um Partnerinnen besser unterstützen zu können. Immerhin ist Endometriose inzwischen ein weitverbreitetes Phänomen.