Ionenstrahlen gegen Krebs im Marburger Therapiezentrum
MARBURG - Zwei Jahre nach der Eröffnung des Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrums (MIT) verzeichnet die ungewöhnliche Einrichtung eine wachsende Nachfrage: Die Zahl der Patienten ist von 171 auf 286 Krebskranke gestiegen. "Das unterstreicht die positive Entwicklung des Ionenstrahl-Therapiezentrums", sagt Gunther K. Weiß, der Geschäftsführer des Universitätsklinikums. Damit werde das 2009 in Heidelberg initiierte Konzept der Therapie mit Protonen und Schwerionen zunehmend auch am Standort Marburg angenommen. Allerdings hat das Zentrum damit nicht ganz die ursprünglich geplante Verdopplung der Patientenzahlen geschafft. Auf Dauer sollen ab 2018 jedes Jahr mindestens 600 Krebskranke bestrahlt werden. Weltweit gibt es nur neun vergleichbare Zentren, in Europa sind es nur drei.
Tiefliegende Tumore
Von der Therapie profitieren Krebspatienten mit Tumoren, die man auf "normalem" Weg nicht erreichen kann, weil sie zu tief im Körper oder zu nah an gesundem Gewebe wie dem Sehnerv, dem Hirn oder dem Rückenmark liegen. Deshalb werden vor allem Hirntumore behandelt, aber auch Tumore am Hals, im Kopf, in den Weichteilen und in der Bauchspeicheldrüse. Ein weiterer Schwerpunkt sind Kinder und Jugendliche mit lokalisierten Tumoren. Im Rahmen einer europäischen Studie wird auch das kindliche Hodgkin-Lymphom - ein bösartiger Tumor des Lymphsystems mit Befall in der Brusthöhle - behandelt. 2017 wurden bereits sieben Kinder mit dieser Diagnose mit Protonen behandelt. Darüber hinaus starten 2018 weitere wissenschaftliche Projekte, die mit insgesamt 418 000 Euro gefördert werden.
Die Therapien am Ionenstrahl-Therapiezentrum finden im Rahmen von klinischen Studien statt. Dabei wird analysiert, welche Patientengruppen den größten Nutzen von der Strahlentherapie mit Partikeln haben und wie sie im Vergleich zu anderen Therapien abschneidet. Langzeitstudien in Marburg sollen zeigen, wie sich die Sterblichkeit bei bestimmten Krebsarten entwickelt. In einer Untersuchung des Heidelberger Ionenstrahlzentrums zeigte sich bereits, dass es "Überlebensvorteile" für Patienten mit einer bestimmten Form des Speicheldrüsenkarzinoms gibt.
Positive Langzeit-Wirkungen sieht Prof. Rita Engenhart-Cabillic, die Leiterin der Marburger Uniklinik für Strahlentherapie, für Kinder und Jugendliche. Die deutlich geringere Strahlenbelastung führe zudem seltener zu Spätfolgen. Man kann die Strahlen nämlich sehr viel präziser und konzentrierter platzieren.
Dadurch hinterlässt das Verfahren kaum Schäden in der Umgebung des bösartigen Tumors und hat relativ wenige Nebenwirkungen. Für die Kranken gibt es vier Behandlungsplätze, an denen Computer die optimale Strahlendosis für jeden einzelnen Punkt im Tumor berechnen. Bei Bestrahlungen des Kopfes werden Kunststoffmasken für die Patienten eigens angefertigt, die so mit der robotergesteuerten Patientenliege verschraubt sind, dass der Kopf völlig unbeweglich ist. Die Behandlung kostet aber auch etwa dreimal so viel wie eine konventionelle Strahlentherapie.
Beinahe abgerissen
Die hohen Kosten waren auch der Grund, warum das Ionenstrahl-Therapiezentrum beinahe noch vor der Eröffnung abgerissen worden wäre. Erst nach einem jahrelangen Gezerre wurde schließlich die Lösung durch die Zusammenarbeit mit dem Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) gefunden. Die Heidelberger, die 75,1 Prozent der Anteile halten, haben die Federführung.