Jahreswechsel in Gießen: Ein bisschen Zuversicht in der Krise
Auch mal Pausen von negativen Nachrichten gönnen: Eine Schornsteinfegerin, zwei Psychologen und ein Theologe aus Gießen geben Tipps, wie das am besten klappt und 2021 trotz Corona mit Zuversicht angegangen werden kann.
Von Petra Zielinski
Doppelt hält besser: Glücksfaktor Nummer eins sind allerdings positive soziale Kontakte. Symbolfoto: dpa
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GIESSEN - Wer öfter glücklich ist, wird seltener krank und lebt länger - darüber ist sich die Forschung einig. Auch darüber, dass Stress unglücklich macht, besteht Konsens. Aber wie kann es vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und damit verbunden dem krisenreichen Jahr 2020 gelingen, positiv ins Neue Jahr zu starten? Der Anzeiger hat mit Menschen gesprochen, die es wissen müssen. Das wichtigste Ergebnis vorweg: Soziale Kontakte sind der Glücksfaktor Nummer eins und durch nichts zu ersetzen.
"Fröhlich sein, Lachen, das wertschätzen, was man hat, im Hier und Jetzt leben", diese Tipps zaubert Schornsteinfegerin Tanja Heieis aus ihrem Hut. "Wenn mich Leute fragen, ob es Glück bringt, mir zu begegnen, sage ich, dass dies von ihrer Definition von Glück abhängt", erzählt sie lachend. "Fünf Millionen Euro im Lotto zu gewinnen, könnte eher schwierig werden. Stattdessen sollten sich die Menschen lieber an dem erfreuen, was sie haben: Familie, Gesundheit, eine gute Arbeit - das bedeutet viel mehr, als dreimal im Jahr in den Urlaub zu fliegen."
Zufriedenheit mache glücklich. Auch wenn man ein paar Kilo zu viel habe oder ungeschminkt vor dem Spiegel stehe, solle man sich akzeptieren, wie man ist und nicht so viel Wert auf die Kritik von außen legen. Wichtig sei zudem der Kontakt zu anderen Menschen und ein Job, den man liebt. "Ich arbeite seit 25 Jahren als Schornsteinfegerin und kenne meine Kunden gut. Ich freue mich mit ihnen und leide mit, wenn es ihnen mal nicht gut geht", erzählt HeieisAuch Haustiere seien tolle Begleiter, die sie nicht missen möchte.
Raus aus dem Grübelzwang
"Man sollte sich immer wieder klarmachen, dass man selbst großen Einfluss darauf hat, wie es einem geht", sagt Rudolf Stark, Inhaber der Professur für Psychotherapie und Systemneurowissenschaften an der Justus-Liebig-Universität. Entscheidend sei es, sich nicht von negativen Gefühlen überfluten zu lassen, sondern im Gegenteil positive aufzubauen. Gerade während der Pandemie hätten viele Menschen Angst vor Krankheiten, vor der beruflichen Zukunft oder um ihre finanzielle Sicherheit. "Dabei darf nicht vergessen werden, dass die aktuelle Krise begrenzt ist und es ein Licht am Ende des Tunnels gibt."
"Angst ist ein Warnsignal, mit dem man konstruktiv umgehen muss", unterstreicht der Hochschullehrer. Auf konkrete Bedrohung könne man reagieren. Falls man zum Beispiel seine berufliche Zukunft gefährdet sieht, kann man sich mit beruflichen Alternativen beschäftigen. Anders ist das bei diffusen Ängsten: "Diffuse Angst bringt Menschen ins Grübeln", so der Psychologe. Hier gelte es, sich aktiv aus dem Grübelzwang herauszuholen, indem man versuche, die negativen Gedanken einfach vorbeiziehen zu lassen. "Was ich nicht ändern kann, muss ich akzeptieren lernen." Zugleich spiele es eine zentrale Rolle, sich nicht ständig Informationen auszuliefern, die einen "runterziehen". Stattdessen solle man etwas für eine positive Stimmung tun, sich Ziele und Perspektiven setzen. "Was möchte ich erreichen? Was macht mir Spaß?" seien elementare Fragen. Eine Möglichkeit sei darüber hinaus, alte Hobbys wieder aufleben zu lassen oder Bücher zu lesen, die man schon immer mal lesen wollte. Auch soziale Kontakte, die sich in Form von Telefonaten oder online pflegen ließen, könnten für positive Gefühle genutzt werden
"Soziale Kontakte machen widerstandsfähiger und helfen, mit der Krise besser umzugehen", betont auch Dr. Jana Strahler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur. Ihr Schwerpunktgebiet ist die Resilienzforschung, die sich den Fragen widmet, wie das psychische Wohlbefinden eines Menschen erhöht werden kann oder warum Menschen trotz widrigster Umstände mit Zuversicht auf Krisen reagieren. Und sie weiß: "Permanente Information kann die Seele belasten." Aus diesem Grund sollte man sich Pausen von - oft durch soziale Medien verbreitete - negativen Nachrichten gönnen. Ihr Rat: "Schauen Sie einfach mal aus dem Fenster oder lesen Sie ein gutes Buch." Kritische Situationen sollten als Herausforderung betrachtet werden. "Das ist vor allem auch Übungssache, bei der man auf Erfahrungen zurückgreifen oder von anderen Menschen in seinem sozialen Umfeld lernen kann."
Realistischer Optimismus
Wenn jemand in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie gestresst sei, "ist das normal", versichert Jana Strahler. Es sei auch normal, auf Krisen mit Beschwerden zu reagieren. Sollten diese aber länger anhalten, gelte es, sich ärztliche Hilfe zu holen. Ganz wichtig sei es auch, für positive Empfindungen zu sorgen. "Was macht mich zufrieden?" sei eine Frage, die jeder individuell für sich beantworten müsse und beispielsweise in einem "Dankbarkeits-Tagebuch" festhalten könne.
"Gehen Sie mit dem Hund in die Natur, treiben Sie Sport, machen Sie Entspannungsübungen, treffen Sie sich virtuell mit Freunden, essen Sie etwas Gutes", sind weitere Tipps der Expertin. "Wer seinen Körper stärkt, kann mit Stress besser umgehen", lautet ihr Fazit. Gesunde Ernährung und Sport seien maßgebliche Faktoren. Abschließend rät Jana Strahler zu "realistischem Optimismus". "Hinter Zuversicht steckt immer eine positive Erwartung an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten. Das heißt, nur durch eigenes Handeln können wir Dinge kontrollieren und gegebenenfalls ändern."
Sich am Abend jedes Tages eine Sache auszusuchen, für die man danken kann, empfiehlt wiederum der Katholische Dekan Hans-Joachim Wahl. "Die Faustregel ist, das Gute im Schlechten zu suchen und das Schlechte im Guten zu fürchten." Denn nicht alles sei ganz gut und ebenso nicht alles ganz schlecht. Manchmal gingen schon ganz kleine Dinge wie ein netter Anruf oder die Begegnung mit einer freundlichen Postbeamtin zu Herzen. "Man sollte lernen, auch das Gute in der Krise zu sehen, wie beispielsweise mehr Zeit für die Familie zu haben."