"Jamaika-Kater? - Nachlese zur Bundestagswahl" an der JLU Gießen
Während sich die SPD auf einem Weg der Selbstfindung befindet, die Union, Grüne und FDP um die Macht schachern, feiert die AfD den Einzug in den Bundestag. "Es waren Paukenschläge für das politische Deutschland", mit diesen Worten begrüßte der JLU-Präsident Joybrato Mukherjee die Besucher der Podiumsdiskussion "Jamaika-Kater? - Nachlese zur Bundestagswahl".
Von sza
Schwarz, gelb, grün: Drei Hände vereinigen sich zur "Koalition" hinter der Nationalflagge von Jamaika. Symbolfoto: dpa
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GIESSEN - Während sich die SPD auf einem Weg der Selbstfindung befindet, die Union, Grüne und FDP um die Macht schachern, feiert die AfD den Einzug in den Bundestag. "Es waren Paukenschläge für das politische Deutschland", mit diesen Worten begrüßte der Präsident Joybrato Mukherjee die Besucher in der Aula der Justus-Liebig-Universität (JLU). Unter dem Titel "Jamaika-Kater? - Nachlese zur Bundestagswahl" - hatten das Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) und das Institut für Politikwissenschaft zur gemeinsamen Podiumsdiskussion eingeladen.
Die Wahl wirkt wie eine Zäsur: das deckte sich auch mit den Aussagen der Diskutanten, welche die Probleme nicht nur bei der AfD suchten, sondern vor allem bei den Altparteien. "Es wurde den gesamten Wahlkampf über gemeckert, wie langweilig alles war und das Merkel sowieso gewinnt. Doch auf den Straßen sah das anders aus", sagte Maria Fiedler, Journalistin und Expertin des Berliner "Tagesspiegel" zur AfD. Merkel sei auf den Straßen viel Hass und Wut entgegengebracht worden, damit hatte die Kanzlerin nicht gerechnet. "Der "Gottkanzler Schulz" dagegen ist schnell zum netten Herren aus Würselen geschrumpft, weil die SPD keine langfristige Strategie gefahren ist", so Fiedler.
"Wagenburg-Mentalität"
Das relativ klare Kanzlerduell hätte die Medien dazu gebracht, viel mehr über die kleinen Parteien zu berichten, die stark davon profitierten. Eine habe davon natürlich besonders viel gehabt: Die AfD. "Jeder Skandal und jede Provokation brachte ihr Publicity, die teilweise unfaire Berichterstattung führte innerhalb der Partei dann eher noch zu einer Wagenburg-Mentalität", warnte die Expertin. Der neue Bundestag sei aber auch eine Chance, für eine neue Streitkultur und eine starke Opposition. Der gleichen Meinung war auch die Politikwissenschaftlerin Prof. Dorothée de Nève. "Wir dürften die Talsohle der politischen Apathie verlassen haben, diese Wahl wird neue Impulse setzen." Gleichzeitig sprach sie sich für eine andere Bewertung der AfD aus. "Die Wähler der AfD nur als Protestwähler zu bezeichnen reicht nicht. Man muss hinterfragen, was diese Menschen bewegt, diese Partei zu wählen", betonte sie. Denn die AfD habe bereits seit 2013 Menschen, die sie wählen. Diese "Verschiebung des Bundestages" sprach der Politikberater Matthias Hartl an. "57 Pro zent der Menschen in Deutschland verorten sich politisch im Bereich Mitte-Links und sind für ein weltoffenes Deutschland. Das Parlament spiegelt das aber nicht wieder", so Hartl. Ohne Not hätten die linken Parteien die AfD bestärkt, sie hätten versucht, Leute zu erreichen, die nicht offen für ihre Politik waren, anstatt die eigenen Wähler zu mobilisieren. "Nach den Wahlen im Saarland und in NRW war die Kanzlerfrage entschieden, aber es war auch der Moment, als Schulz anfing, sich an der AfD abzuarbeiten, anstatt klarzustellen, was er mit sozialer Gerechtigkeit meinte", kritisierte der Experte die Strategie der Sozialdemokraten.
"Absolutes Rätsel"
"Die SPD ist krank und geschrumpft und für uns Wahlforscher ein absolutes Rätsel", erklärte Prof. Sigrid Roßteutscher von der Uni Frankfurt. "Im Prinzip ist die SPD die einzige wirkliche Volkspartei, denn jeder kann sie wählen und jeder wählt sie, es gibt keine klaren Stammwähler mehr", ergänzte die Wahlforscherin. Das Hauptproblem der SPD sei jedoch, dass sie den Kontakt zu ihrer ursprünglichen Wählerklientel völlig verloren hat. Ehemalige SPD-Wahlhochburgen seien inzwischen eher zu Nichtwählerbezirken geworden.
"Während die Unionsparteien weiterhin ihre Kirchengänger haben, die knapp zehn Prozent ihrer Stimmen ausmachen, fehlen diese Prozente der SPD aus den ursprünglichen Milieus", so Roßteutscher weiter. Die Sozialdemokraten müssten nun die Oppositionszeit nutzen und zurück in ihre alten Bezirke. Bei der Frage nach der Stabilität und der Wahrscheinlichkeit einer "Jamaika-Koalition" zeigten sich die Podiumsteilnehmer verhalten positiv. "Die CDU wird bei den Verhandlungen sehr flexibel sein, weil sie am Machterhalt interessiert ist. Für die Grünen stellt sich eine Identitätsfrage und die FDP hat theoretisch nichts zu verlieren", beschrieb Stefan Krabbes, Blogger und Grünen-Politiker die Ausgangslage. Für Hartl steht fest "es wird klappen, weil es klappen muss". Neuwahlen würden nur dazu führen, dass alle verlieren. Spannend sei es aber, zu sehen, wie sich die Grünen, als einzige linke Partei, in einer Vier-Parteien-Konstellation positionieren.
Für die Wahlforscherin Roßteutscher besteht auch kein Zweifel an erfolgreichen Verhandlungen. "Sollte es allerdings nicht klappen, dann wird es an der CSU liegen, die mit der Bayernwahl im Rücken eine doppelte Agenda fährt", erklärte sie. Maria Fiedler und Dorothée de Nève waren sich einig, dass selbst Probleme innerhalb der Koalition von der Kanzlerin gelöst werden würden. "Merkel ist die Einzige, die das kann. Sie wird ihre Partner verfrühstücken wie bisher auch", so die Politikwissenschaftlerin. Fiedler warnte davor, dass sich die kleinen Parteien nicht vom "Themenstaubsauger" Merkel um ihre Verdienste bringen lassen würden, wie es der SPD in diesem Wahlkampf passiert ist.