"Jugend für Soziales Internet": Cybermobbing auch in Gießen nicht verharmlosen
Immer mehr Jugendliche sind von "Hate Speech" im Internet betroffen. Die Folgen der digitalen Schikanen sind drastisch. Nicht nur in Gießen setzt sich die Kampagne "No Hate Me" für Prävention und Aufklärung ein.
Von Jasmin Mosel
Enorme Reichweite: Digitales Mobbing verfolgt die Betroffenen auch in geschützter Umgebung. Symbolfoto: dpa
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Giessen. Hetze im Internet kann potenziell jeden treffen. Greta Thunberg wird aktuell besonders häufig mit Hasskommentaren überzogen, Til Schweiger hat in der Vergangenheit per "Facebook" eingegangene Drohungen öffentlich gemacht und Renate Künast darf derzeit rechtssicher als "altes, grünes Drecksschwein" bezeichnet werden. Nun könnten Anfeindungen gegen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, noch als "Berufsrisiko" abgetan werden. Doch die digitale Diskreditierung hält vermehrt auch Einzug in den Schulen. "Die Umfragen sind alarmierend", sagt Pavlo Hrosul. Der Gießener Student hat im vergangenen Jahr die Kampagne "No Hate Me" ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein "Liebe, wen du willst" verfolgt sie das Ziel, aufzuklären und über Präventionsmaßnahmen zu informieren. In Kooperation mit dem Medienprojektzentrum "Offener Kanal" und dem "Lokal International" haben Hrosul und seine Mitstreiter einen Aktionstag unter dem Motto "Jugend für soziales Internet - Gemeinsam gegen Hass!" veranstaltet.
"Drastische Folgen"
Die Zahlen sprechen für sich: Im Rahmen der jährlich durchgeführten, repräsentativen JIM-Studie (Jugend, Information, Multimedia) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest geben 37 Prozent der befragten Zwölf- bis 19-Jährigen an, dass in ihrem Bekanntenkreis schon einmal jemand im Internet fertiggemacht worden ist - Tendenz steigend. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Die, meist anonymen, Anfeindungen und Belästigungen spielen sich dabei größtenteils in den Sozialen Medien sowie mithilfe von Messenger-Anwendungen ab. "Die Folgen von digitalen Schikanen sind drastisch", so Hrosul. Sie reichten von Leistungsabfall bis hin zu Depressionen und sogar Suiziden. Es sei daher wichtig, Eltern, Lehrer, Schulpsychologen und Sozialarbeiter mit ins Boot zu holen, denn diese wüssten oftmals zu wenig über das Thema. "Es ist nicht so, dass es früher kein Mobbing gegeben hat", macht Stadträtin und Jugenddezernentin Gerda Weigel-Greilich deutlich. "Aber die Art und Weise und die Möglichkeiten über das Internet sind ganz andere", unter anderem wegen des jungen Alters der Nutzer, denen die weitreichenden Konsequenzen ihres Handelns oftmals gar nicht bewusst seien. In Gießener Kitas und Schulen solle das Thema mithilfe von Projekten aufgegriffen werden. Eine Auseinandersetzung mit "Hate Speech" müsse aber auch zivilgesellschaftlich geschehen.
Lukas Schauder, mit 23 Jahren der jüngste Abgeordnete im Hessischen Landtag und Sprecher für Extremismusprävention, Demokratieförderung und Justizvollzug, thematisiert, dass im Internet ausgelebter Hass durchaus den Sprung ins Analoge schaffen kann. Das hätten nicht zuletzt der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Terroranschlag auf die Jüdische Gemeinde in Halle gezeigt: "Es beginnt mit dem Hass in der Sprache, daraus wird Hass in der Überzeugung und daraus werden letztendlich Gewalttaten auf der Straße." Bezogen auf die Schulen kommt der Grünen-Politiker zu dem Schluss, dass digitales Mobbing "eine ganz andere Qualität hat, als herkömmliches Mobbing". Wurden früher Mobbingopfer in der Schule gehänselt und ausgegrenzt, begleite sie "der Hass im Netz zu Hause weiter - bis in die Kinderzimmer". Grund dafür sei auch das ausweichende Verhalten der Social-Media-Verantwortlichen: "Derjenige, der die Party schmeißt, muss auch dafür sorgen, dass sich die Gäste benehmen." Anstatt sich auf die Privatsphäre zu berufen und "Daten von Straftätern nicht herauszugeben", sei eine Vernetzung mit Polizei und Justizbehörden gefragt. Komplett verteufeln will der Landtagsabgeordnete die Sozialen Medien aber nicht. So habe etwa der Hashtag "metoo" eine riesige Debatte über sexualisierte Gewalt angestoßen.
"Schwer zu greifen", findet Simon Beckmann aus dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde, die Fälle von Antisemitismus im Internet. Denn zumindest "latenter Antisemitismus", so sein Eindruck, ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten. Eine "spezielle Einstufung" im Strafrecht, um Anfeindungen gegen Juden eindeutig als Straftaten erkennen zu können, sei daher wünschenswert. Um Jugendliche über das Judentum aufzuklären und Vorbehalte auszuräumen, engagiert sich Beckmann ehrenamtlich in Schulen: "Das wichtigste Mittel, ist die Begegnung", betont er.
Den Austausch auf Augenhöhe vermisst "Fridays For Future"-Aktivistin Josy, die ihren Nachnamen nicht öffentlich machen möchte. Häufig würden nämlich Anhänger der Bewegung im Internet angegriffen, der Hass gegen Frauen sei dabei besonders "brutal". "Wenn die Argumente fehlen, wird die Debatte emotionalisiert", sagt die Schülerin und fordert, dass Cybermobbing "vom Bildungssystem mehr aufgegriffen" wird.
Vorreiterrolle
In der Verfolgung von Hasskommentaren im Internet hat Hessen seit Kurzem eine Vorreiterrolle inne. Mitte Januar ist mit "Hessen gegen Hetze" eine Meldeplattform der Landesregierung ans Netz gegangen. Nutzer können dort - auch anonym - fragliche Kommentare per Screenshot hochladen. Fachjuristen nehmen daraufhin eine Bewertung vor; was als strafrechtlich relevant eingestuft wird, landet bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). So sind inzwischen bei 40 von insgesamt 220 Hinweisen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Axel Schröder vom zuständigen "Cyber Competence Center" hofft, dass so auf lange Sicht, "das Klima untereinander verbessert wird".