Der Haupt- und Finanzausschuss diskutiert den Bericht "Klimaneutrales Gießen 2035". Es gibt Kritik an der Bürgerinformationsveranstaltung zum Thema.
Von Stephan Scholz
Das Thema Klimaschutz sorgt in Gießen seit Langem für Debatten und Proteste. Archivfoto: Friese
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GIESSEN. Ist es tatsächlich möglich, dass Gießen bis ins Jahr 2035 klimaneutral wird? Diese Frage wirft der Bericht des Magistrats "Klimaneutrales Gießen 2035. Analysen und Szenarien zur Entwicklung einer klimaneutralen Stadt" auf. Am Montagabend hat die politische Debatte um die Untersuchung den Haupt- und Finanzausschuss erreicht. "Es ist kein fertiges Papier, sondern eine erweiterte Diskussionsgrundlage und ein Verfahrensvorschlag. Nicht mehr und nicht weniger", sagte Klaus-Dieter Grothe, Fraktionsvorsitzender der Grünen. Enttäuscht von der Klimapolitik der Koalition aus SPD, CDU und Grünen zeigte sich dagegen die "Gießener Linke". Fraktionsvorsitzender Matthias Riedl erklärte, dass "die Koalition für diese Aufgabe viereinhalb Jahre Zeit gehabt hat. Aber es hat erst kontinuierlichen Protest und einen Bürgerantrag gebraucht."
"Ein bisschen naiv"
Vor knapp einem Jahr hat diese Nachricht die Runde gemacht: Die Stadt Gießen ruft keinen Klimanotstand aus, sondern beschließt die Klimaneutralität bis zum Jahr 2035. Grundlage dafür war der Bürgerantrag eines Bündnisses um den Verein "Lebenswertes Gießen" und ein ergänzender Koalitionsantrag. Mit ihm haben die Partner den nun vorgelegten Bericht beauftragt. Er sollte unter anderem Wege aufzeigen, wie das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden kann. Sie sei bis vor einem Jahr davon ausgegangen, dass der Bericht solch konkrete Maßnahmen enthalten werde. "Das war ein bisschen naiv", erklärte Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz. Im Entstehungsprozess des Berichtes habe sie aber gelernt, dass es unseriös gewesen wäre, bereits jetzt konkrete Schritte zu nennen. Zugleich verdeutlichte sie, dass Gießen beim Klimaschutz nicht "unter einer Käseglocke lebt". Um die Klimaziele zu erreichen, brauche man unter anderem Förderprogramme und das Engagement der Bürger. Sie müssten auch ihren Konsum im Blick behalten.
"Bürger lasst nicht nach. Der Druck wird gebraucht", kommentierte Riedl die Klimapolitik der Koalition. Er monierte, dass die Partner viel Zeit hätten verstreichen lassen, dabei "hätten wir heute auch schon die ersten Maßnahmen beschließen können." Eins brauche die Stadt keinesfalls: mehr Papier. Denn vielen sei klar, wo die konkreten Probleme liegen. Als Beispiel nannte der Fraktionsvorsitzende das städtische Busliniennetz, das ursprünglich für 75 000 Bewohner ausgelegt sei. Mittlerweile verzeichne die Stadt rund 90 000 Einwohner, aber "außer einigen Entlastungslinien ist nichts passiert. Das ist Flickschusterei." Der eigentlich beantragte Inhalt des Berichts, Schritte zur Klimaneutralität 2035 aufzuzeigen, fehle, ergänzte Fraktionskollege Michael Janitzki. "Analysen und Szenarien sind sehr wichtig. Wenn aber das, was wir gewollt haben, nicht in der Untersuchung ist, ist das zu wenig", so der Stadtverordnete.
Er habe sich gewünscht, dass die einzelnen Maßnahmen des Maßnahmenkatalogs des Berichts unter dem Aspekt ihrer Effektivität stärker spezifiziert worden wären, so Grothe. Der Grüne verwies darauf, dass das Thema Wärme in der Klimadebatte auch generell häufig zu kurz komme. "Dabei handelt es sich um den größten Posten", führte Grothe aus. Wenn man in Gießen die Null anstrebe, dann gehe es um Wege nicht nur beim Thema Autos, sondern unter anderem auch in den Bereichen Strom und Wohnflächen. "Wenn wir uns die Autos aus der Stadt wegdenken, dann bricht der Einzelhandel zusammen", zeigte Martin Schlicksupp von der CDU eine weitere Facette der Klimaschutzdebatte auf. Bei Enthaltungen von Freien Wählern und FDP nahm der Ausschuss den Bericht des Magistrats zur Kenntnis und votierte zugleich für die Einrichtung von Instrumenten für die weitere Arbeit am Klimaziel. Dazu zählt die Einführung eines Controllings. Der Startfinanzierung dieser Instrumente in Höhe von 500 000 Euro im kommenden Haushalt wurde bei Gegenstimmen der AfD und Enthaltungen von Freien Wählern und FDP ebenfalls zugestimmt.
Bereits am späten Montagnachmittag hatte der Magistrat das Papier zudem in einer Bürgerinformationsveranstaltung präsentiert. Anders als zunächst geplant, dauerten die Vorträge zum Bericht rund 90 Minuten, während für Bürgerfragen nur 30 Minuten zur Verfügung standen. "Ich hatte andere Erwartungen an die Veranstaltung heute", kritisierte Lutz Hiestermann, Vorsitzender von "Lebenswertes Gießen". Er monierte, dass der Bericht des Magistrats erst wenige Tage vor der Veranstaltung zugänglich war. Es sei kontraproduktiv, dass es keine Möglichkeit mehr gebe, auf die Untersuchung Einfluss zu nehmen. Aus Zeitmangel wurden auch schriftlich gestellte Fragen zunächst nicht beantwortet, die Stadt will dies aber im Internet auf giessen-direkt. de nachholen.