Konzert in der Gießener Petruskirche mit Pianist Aeham Ahmad
Auf viel Interesse stieß am Sonntagabend das dreistündige multikulturelle Konzert in der Petruskirche, das unter dem Motto "Wir sind mehr" für Verständnis und Toleranz warb.
Von Heiner Schultz
Der als "Pianist in den Trümmern" bekanntgewordene Aeham Ahmad sowie Steve Schofield am Sopraninosaxofon. Foto: Schultz
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GIESSEN - Auf viel Interesse stieß am Sonntagabend das dreistündige multikulturelle Konzert in der Petruskirche unter dem Motto "Wir sind mehr". Für "Verständnis, Toleranz und Respekt zwischen den Religionen und Kulturen" wollte das Evangelische Dekanat Gießen werben und hatte dazu inhaltlich und musikalisch weit ausgeholt. Die Petruskantorei unter Marina Sagorski präsentierte Chor- und Orgelwerke, die vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichten, der Interreligiöse Chor Frankfurt war zu Gast, und der aus Syrien geflüchtete Pianist Aeham Ahmad rundete das Programm ab. Veranstalter waren neben der Petruskantorei das Evangelische Dekanat Gießen, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar und die Christlich-islamische Gesellschaft.
Zunächst präsentierte die Kantorin Werke von Komponisten, die "mit ihrer Musik die Grenzen ihrer Konfession überschritten haben". Es sollte "ein Gefühl der Zusammengehörigkeit der Kulturen" entstehen, das "den Blick auf den gemeinsamen Ursprung der Religionen lenkt und die Zuhörer darüber zum Nachdenken bringt".
Sie musizierte mit der Petruskantorei Gießen unter anderem Psalmen für Chor und Orgel des jüdischen Komponisten Louis Lewandowski, der im 19. Jahrhundert in einer liberalen jüdischen Gemeinde in Berlin die Orgelmusik integriert habe. Zudem spielte sie Werke der aus Aserbaidschan stammenden Komponistin Khadija Zeynalova (geboren 1975), in deren Werken östliche wie westliche Klänge zu erleben sind. Unterstützt wurde Sagorski an der Orgel von Bettina Strübel, Dekanats-Kantorin an der evangelischen Luthergemeinde in Offenbach.
Psalmvertonungen
Im zweiten Teil musiziert der Interreligiöse Chor Frankfurt unter Bettina Strübel sowie der Kantor des Egalitären Minjan der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Daniel Kempin. Am Klavier unterstützt wurden sie von Marina Sagorski. Präsentiert wurden jüdische, christliche und islamische Psalmvertonungen, teils in deutscher Nachdichtung. Es gab hochinteressante Wechselspiele zwischen sehr modern anmutenden Klavierelementen, dann folgten innige Momente. Die kontrastreiche inhaltliche und musikalische Begegnung unterstrich das Motto der Veranstaltung, an der die Zuhörer konzentriert Anteil nahmen.
Im dritten Teil war der in Wiesbaden lebende und in ganz Europa konzertierende Pianist Aeham Ahmad zu erleben. Der 1988 in Syrien geborene und im Palästinenserlager Yarmouk aufgewachsene Künstler wurde als "Pianist in den Trümmern" bekannt. Er erhielt mit sieben Jahren Klavierunterricht am Arabischen Institut in Damaskus, studierte Musikpädagogik und arbeitete, bevor er mit seiner Familie flüchtete, als Musiklehrer. Im Dezember 2015 wurde Ahmad mit dem Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte ausgezeichnet. Ergänzend las der Gießener Schauspieler Roman Kurtz aus dem Buch "Und die Vögel werden singen", in dem Ahmad die traumatischen Erinnerungen aus dem Krieg in Syrien verarbeitet hat. Ergänzende Akzente setzte der britische Musiker Steve Schofield (Sopraninosaxofon).
Ahmad eröffnete mit einem fröhlichen musikalischen Sprudeln, obgleich der Titel des ersten Stücks "I forgot my name" durchaus einen Schatten warf. Ahmad musizierte jedenfalls impressionistisch, vital, mit Anklängen an den Blues; das Publikum ließ sich nicht lange bitten und summte mit. Bei einigen Titeln steuerte Schofield zur klagenden Gesangstimme Ahmads muezzinähnliche Klänge bei und unterstützte den melancholischen Grundton, den Ahmad jedoch häufig durch fast humoristische Akzente auflockerte.
Roman Kurtz wiederum ließ mit prägnanter Stimme die unerwartet nüchtern formulierten Beschreibungen von Terrorangriffen und existenziellen Mängel im Flüchtlingslager Gestalt annehmen, die Ahmads jüngste Vergangenheit prägen. Im Zweifel ist der Syrer jedoch inzwischen eher heiter gestimmt: "Die Gedanken sind frei" gehört zum Programm, und es war auch die Zugabe, wie sie passender nicht sein konnte. Ahmad bedankte sich herzlich für den langen, anhaltenden Beifall.