Das Literarische Zentrum Gießen beginnt sein Quartalsprogramm mit einem Vortrag am 26. Januar und neuen digitalen Formaten.
Von Björn Gauges
Nora Krug stellt am 2. Februar beim LZG ihre als Graphic Novel gestaltete Familiengeschichte vor - und wird dazu aus New York zugeschaltet. Foto: Nina Subin
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GIESSEN - In Zeiten der Krise sind kreative Lösungen gefragt. Dachte sich das Literarische Zentrum Gießen (LZG) und probiert sich fortan in neuen digitalen Formaten aus. Das Quartalsprogramm startet am 26. Januar per Live-Übertragung über das Internet. Dabei kann sich das Publikum auch selbst beteiligen und per Chat-Funktion zu Wort melden. Andere Lesungen werden zeitversetzt als Videoaufzeichnung abrufbar sein. Und ab März planen die Veranstalter dann auch wieder mit Publikum vor Ort. "Wir wollen weiterhin für spannende Lesungen und Diskussionen sorgen und tun unser Bestes, um interessanten Stoff zu bieten", sagt der LZG-Vorsitzende Prof. Sascha Feuchert. Und tatsächlich wird der an sich selbst gestellte Anspruch einmal mehr erfüllt. Inhaltlich geht es etwa um eine monatelange Auszeit in einer abgeschiedenen Hütte in Nordhessen, um eine als Graphic Novel aufbereitete Familiengeschichte oder Erfahrungen als Sexarbeiterin in einem Bordell. Bei einem Online-Pressegespräch stellten Feuchert und LZG-Geschäftsführerin Janine Clemens das Programm der kommenden drei Monate vor.
Los geht es mit einem Vortrag von Jörg Osterloh, der sich am 26. Januar (18.30 Uhr) mit der "Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes" widmet. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts stellt sein gleichnamiges Buch vor, in dem er sich vor allem mit der systematischen Ausschaltung der Juden aus dem Kunstbetrieb während der NS-Zeit befasst.
Fortgesetzt wird das Programm am 2. Februar (18 Uhr) mit Nora Krug und ihrem preisgekrönten Graphic Memoir "Heimat". Die Karlsruherin wird für diese Veranstaltung aus ihrem Wohnort New York zugeschaltet, um über ihre künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte zu sprechen, die bis tief in die Nazi-Zeit hineinreicht. Dabei lasse sich über den Web-Kanal auch gut anschaulich machen, wie detailliert und vielschichtig die Bildgeschichten Krugs ausgefallen sind, freut sich Sascha Feuchert.
Nora Krug stellt am 2. Februar beim LZG ihre als Graphic Novel gestaltete Familiengeschichte vor - und wird dazu aus New York zugeschaltet. Foto: Nina Subin
Bestsellerautor Jan Costin Wagner ist am 25. März mit seinem neuen Krimi in Gießen zu Gast. Foto: Susanne Schleyer
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Erfahrungen im Bordell
"Lahya - Black Poetry Matters" heißt es bei einer Lesung und einem Werkstattgespräch am 10. Februar mit der 1978 in Ost-Berlin geborenen Stefanie Lahya-AukongoDie Vertreterin der afroeuropäischen Literatur richtet sich in ihren Texten gegen Rassismus, das Unsichtbarmachen deutscher Kolonialgeschichte und starre gesellschaftliche Normen. Bekanntheit erlangte Lahya durch ihre Autobiografie "Kalungas Kind" (2009), in der sie die dramatischen Abschnitte ihres Lebens und Familienbegegnungen in Deutschland, Angola und Namibia thematisiert.
"Die Unschärfe der Welt" lautet der Titel der Lesung von Iris Wolff, die sich dem Publikum am 11. Februar (19.30 Uhr) vorstellt. Die in Freiburg lebende, 1977 in Rumänien geborene Schriftstellerin verbindet in ihrem Roman die Lebenswege von sieben Figuren aus vier Generationen, die vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks geschildert werden. Der Roman stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und zählt für LZG-Geschäftsführerin Janine Clemens zu "meinen persönlichen Highlights des aktuellen Programms".
SERVICE
Das LZG wandert mit seinem Frühjahrsprogramm ins Internet. Fortan werden die zunächst für das Publikum kostenlosen Veranstaltungen entweder per Livestream oder per Videoaufzeichnung zeitlich versetzt zu sehen sein. Das jeweilige Format kann sich dabei von Veranstaltung zu Veranstaltung ändern. Über die LZG-Homepage werden bei Live-Lesungen spätestens 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn Zugangslinks freigeschaltet. Auch die Videoaufzeichnungen sind über das Portal abrufbar. Ab März hofft das LZG dann auch, wieder Publikum vor Ort begrüßen zu können. Aufgrund der begrenzten Platzkapazitäten sind frühzeitige Reservierungen ratsam. Sie können ab Montag, 1. Februar, per E-Mail unter anmeldung@lz-giessen.de, über das Kartenreservierungs-Tool auf www.lz-giessen.de sowie persönlich über das LZG-Büro sowie die Tourist-Info Gießen vorgenommen werden. (bj)
Brisanz verspricht der Auftritt der Französin Emma Becker, die am 18. Februar (19 Uhr) ihr Buch "La Maison" vorstellt. Die 1988 geborene Schriftstellerin hat mit Anfang 20 zwei Jahre lang als Sexarbeiterin in einem Berliner Bordell gearbeitet. Was sie an dabei gesammelten positiven Erfahrungen schildert, unterläuft viele Erwartungen, berichtet Jasmin Clemens. Kritiker in Frankreich habe das Buch begeistert, gleichzeitig sei eine Debatte entstanden, weil "dieser Stoff die Gemüter reizt".
Ihren Debütroman stellt Ronya Othmann am 3. März (19.30 Uhr) im Prototyp vor, dann hofft das LZG auch erstmals wieder auf die Möglichkeit, Besucher vor Ort dabei zu haben. In "Die Sommer" geht es um eine Gymnasiastin aus München, die jeden Sommer in das syrische Heimatdorf ihrer Großeltern zurückkehrt und damit in zwei völlig unterschiedlichen Lebenswelten gleichzeitig zuhause ist. Othmann, Jahrgang 1993, wurde bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.
Hochinteressant zu werden verspricht auch die Lesung von Wolfgang Büscher, der in seinem neuen Roman von der Erfüllung eines Kindheitstraums berichtet. Der für seine ausgedehnten Wanderungen durch alle Welt bekannt gewordene Schriftsteller hat sich diesmal in den Wald seiner nordhessischen Heimat zurückgezogen, wo er monatelang ohne Strom und fließendes Wasser in einer Hütte lebte. Davon erzählt er am 11. März (19 Uhr) im KiZ (Kongresshalle), in seinem "ganz leisen Buch der Selbsterfahrung", wie Janina Clemens schwärmt.
Auch die beiden im November und Dezember ausgefallenen Lesungen stehen nun als Nachholtermine auf dem Programm. Bestsellerautor Jan Costin Wagner stellt am 25. März (19.30 Uhr) im Netanya-Saal seinen neuen Krimi "Sommer bei Nacht" vor. Der gerade mit dem Debütpreis des Österreichischen Buchpreises 2020 ausgezeichnete Leander Fischer gastiert mit seinem Roman "Die Forelle" am 30. März (19.30 Uhr) im Prototyp.
Gespannt sind die LZG-Organisatoren nun, wie ihr digitales Programm vom Publikum angenommen wird. "Wir hoffen damit einen größeren Kreis von Menschen erreichen zu können", sagt Geschäftsführerin Clemens, die dabei auf Menschen jenseits der Region sowie vor allem online-affine jüngere Leser setzt. Wichtig sei auch, weiterhin "ein niedrigschwelliges Programm anbieten zu können", betont Sascha Feuchert. Daher seien zunächst alle Veranstaltungen für das Publikum kostenlos, " denn Literatur ist für uns ein Teil des Lebens. Wir sitzen ja nicht im Elfenbeinturm." Alle Infos zu den einzelnen Terminen finden sich über die Homepage und werden auch regelmäßig medial veröffentlicht.