Martin Sehmisch geht an JLU der Frage nach, wie bedroht jüdisches Leben in Deutschland ist
Jüdisches Leben in Deutschland ist nicht in Gefahr, Ressentiments und Vorurteile gegenüber Juden existieren in der Gesellschaft allerdings immer noch. So lässt sich der Vortrag "Facetten des Antisemitismus - Wie bedroht ist jüdisches Leben in Deutschland" von Martin Sehmisch, Leiter der Informationsstelle Antisemitismus in Kassel, zusammenfassen.
Von sza
Martin Sehmisch
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GIESSEN - Jüdisches Leben in Deutschland ist nicht in Gefahr, Ressentiments und Vorurteile gegenüber Juden existieren in der Gesellschaft allerdings immer noch. So lässt sich der Vortrag "Facetten des Antisemitismus - Wie bedroht ist jüdisches Leben in Deutschland" von Martin Sehmisch, Leiter der Informationsstelle Antisemitismus in Kassel, zusammenfassen. Diese Veranstaltung fand im Rahmenprogramm der Ausstellung "Die Geschichte Israels" statt, die von der studentischen Initiative gegen Antisemitismus in Kooperation mit dem Referat für politische Bildung des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) im Foyer des Biomedizinischen Forschungszentrums Seltersberg, (Schubertstraße 81) präsentiert wird. "Häufig werden Juden angegangen und dieses Vorgehen mit den Handlungen des Staates Israel begründet", erklärte der Referent. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass Israel immer noch die Heimat von fast 190 000 Holocaust-Überlebenden sei. "Das muss bei aller berechtigten Kritik an manchem Vorgehen immer eine Rolle bei der Beurteilung spielen." Viele dieser Menschen leben bis heute mit psychischen Nachwirkungen ihrer Erlebnisse und Erfahrungen. "Doch nicht nur die direkten Überlebenden sind betroffen, auch die zweite und dritte Generation lebt damit", so Sehmisch.
In Deutschland hätte sich die Gemengelage für viele jüdische Mitbürger im Sommer 2014 geändert. "Dieser Zeitpunkt scheint eine Art Zäsur zu sein", machte er deutlich. Der Grund seien viele Gaza-Demonstrationen auf denen arabischstämmige Menschen und Sympathisanten Palästinas antisemitische Parolen schmettern. "Die Situation war extrem aufgeheizt, weil kurz zuvor drei jüdische und ein palästinensischer Jugendlicher ermordet wurden", erklärte der Experte den Hintergrund der Proteste. Anhand eines Videos zeigte er, wie etwa eine "Frieden für Palästina"-Demonstration mit knapp 2000 Teilnehmern in Kassel auf eine 70 Menschen große jüdische Gruppe traf, die ein Friedenslied anstimmt. "Ihr Schweine", "Mörder" sind nur einige der Dinge, die durch die Straßen schallen. Die Polizei trennte die beiden Gruppen zwar durch eine Kette, intervenierte jedoch nicht gegen die teils aggressiven Hasskommentare der Demonstranten. "Ich war dabei und habe erlebt, wie hoch das Erregungspotenzial war", beschrieb Sehmisch.
Ob auf solchen Veranstaltungen oder im Internet, jüdische Mitbürger sind häufig Zielscheibe von Angriffen. "Häufig unter dem Deckmantel einer Kritik an der Politik Israels, werden antisemitische und antizionistische Kommentare abgegeben." Statistisch gesehen sei die Fallzahl auf den ersten Blick nicht so groß, dies liege jedoch daran, dass viele antisemitische Vorfälle nicht gemeldet werden würden. "Die Berliner Polizei gab 104 solcher Vorfälle an, die Recherche und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin dagegen 470", zeigte er auf, dass viele Juden sich gar nicht erst bei der Polizei melden, obwohl sie Opfer wurden.
Besonders verletzendes Verhalten und Sachbeschädigungen seien ein zentrales Problem. "Grundsätzlich sind die Umstände für Juden in Deutschland gut. Es gibt keine Pogrome oder staatliche Verfolgung, dennoch hat sich seit dem Sommer 2014 etwas geändert", erklärt Sehmisch. Migrantisch-geprägter Antisemitismus komme seit Neuestem hinzu, dieser war für viele Stellen etwas völlig Neues. "Gelegentlich war die Polizei überfordert und wusste nicht, wie sie damit umzugehen hat", ergänzte er. Alles habe eine neue Qualität erhalten, Juden müssten sich ständig für Israel verantworten und würden Drohungen bekommen, die ihr Sicherheitsgefühl einschränken. "Man muss die Betroffenen ernst nehmen, das ist ganz wichtig. Zudem muss der Staat seiner Verantwortung nachkommen, gegen Antisemitismus vorzugehen, denn es kann nicht sein, dass die jüdischen Gemeinden dies tun müssen", forderte Sehmisch. Doch dafür brauche es neben dem finanziellen Aufwand auch einen offenen und unpopulistischen Umgang, woher der Antisemitismus kommt, schloss er seinen Vortrag.
Am Montag, 28. Mai, findet die letzte Veranstaltung der Reihe statt. Dann diskutieren Volker Beck (Bündnis 90/ Die Grünen) und Jeanette Ehrmann zum Thema "Antisemitismus heute" im Margarete-Bieber-Saal in der Ludwigstraße 34 um 15 Uhr. Foto: Szabowski