Mit hohem Geräuschanteil: Das Gießener Trio "Anglicore" eröffnete eine neue Reihe in Sankt Thomas Morus mit improvisierter Musik.
Von Reinhard Fiedler
Frank Rühl (links) und Nils Hartwig erzeugten improvisierte Klanglandschaften. Foto: St. Thomas Morus
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GIESSEN - "Ich schreite kaum, doch wähn' ich mich schon weit / Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit". Dieses Zitat aus Richard Wagners "Parsifal", der wie die gesamte Oper des 19. Jahrhunderts in hohem Maße das Verhältnis von Raum und Zeit thematisiert, erhellt schlagartig das Anliegen der Veranstaltungsreihe "Fastenzeitraum" im Rahmen der Offenen Kirche in Sankt Thomas Morus. In sechs Klangerkundungen trägt die improvisierte Musik auf eine eigene Weise zum Verständnis der Fastenzeit bei. Zum Auftakt gastierte nun das Gießener Trio "Anglicore" mit "Engelsklängen und Himmelsmusik" in der Kirche.
Programmatisch geht es in der Reihe ebenso um einen innovativen Zugang zur Spiritualität wie um die fastenzeitspezifische Erfahrbarkeit von Leiden und Tod. Ebenso wie um die Erschließung des Kirchenraumes in minimalistischen, meditativen Klangwelten. Geboren aus der Not des Lockdowns zeigte sich die Performance von "Anglicore" ganz dem Geist der freien improvisierten Musik verpflichtet. Das Trio in der Besetzung Frank Rühl (E-Gitarre), Nils Hartwig (Klarinette, Theremin) und Jakob Handrack (Orgel) sorgte für einen meditativen Klangteppich, auf dem die Hörer ins Reich ihrer Fantasien und Träume entschweben konnten. Zunächst herrschte Stille, bei einem Gongschlag setzte Jakob Handrack sich an die Orgel und spielte einen Liegeton im Bass. Dieser schuf einen Klang, den er quasi ins Unendliche fortspann. Dann traten langsam schreitend die beiden anderen Musiker auf und setzten sich zunächst ins Publikum. Handrack schichtete Akkorde aufeinander, während Nils Hartwig am Theremin einsetzte und das Duo einen an Schwebungen reichen Klang erzeugte. Das Theremin ist ein im frühen 20. Jahrhundert entwickeltes Instrument, das Gesten und Bewegungen in Lichteffekte umsetzt. Dann erweiterte Frank Rühl mit seiner E-Gitarre das Duo zum Trio. Er brach mit seinen expressiven Tonpunkten die minimalistische Struktur der Musik auf und erzielte Klangmuster von fast psychedelischer Intensität. Rühl verfremdete den Klang seines Instruments mit einer Vielzahl von Gegenständen, darunter einen Schneebesen, zwei kleine Ventilatoren und diverse Metallstäbe. So gewann er einen intensiven, irisierenden Klang mit hohem Dissonanzgrad und Geräuschanteil. Doch auch die Gewinnung von Naturlauten wie Vogelstimmen aus der Stille war Thema des Trios.
Fortan bewegte sich die musikalische Raumerkundung im Spannungsfeld von Tonpunkten und Klangflächen. Verschmutzte Akkorde in der Orgel und diffuse Klänge in der E-Gitarre erhöhten den Dissonanzgrad erheblich. Sie standen für die Konnotation an Schmerz und Leid. Der sich anschließende Abschnitt dramatisierte den Tonsatz, weg von der meditativen Klanglichkeit des Beginns, hin zu bewegter Expressivität. Das führte zu einer Verdichtung der Struktur bis hin zu Clusterbildung in der Orgel. Klangballungen, kurze eruptive Gesten in der E-Gitarre und quietschende Theremin-Töne sorgten für expressive Hochspannung und rauschhafte Züge. Die verdichteten Strukturen dieses Abschnitts leiteten über zum einzigen Auflösungsfeld des Abends. Allmählich lösten sich die dichten Strukturen auf; der alte Zauber des meditativen Beginns gewann wieder die Oberhand. So löste sich das Trio als Ensemble wieder auf und erneut kehrte Stille ein.
Die Reihe "Fastenzeitraum" in St. Thomas Morus wird am Samstag, 27. Februar, von 17 bis 19 Uhr mit einer Klangperformance des Projekts "Interna" von Ulrich Phillipp fortgesetzt. Weitere Infos im Internet: www.morusfreunde.de.