Prof. Andreas Vilcinskas von der JLU Gießen nennt Gründe für das Insektensterben
Deutlich weniger Insekten, die auf der Windschutzscheibe kleben - und auch Bienen, Hummeln oder Schmetterlinge sind zu eher seltenen Gästen geworden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Benötigt werden mehr Wiesenflächen und mehr ökologische Landwirtschaft. So mancher Schädling bleibt von dem Insektensterben indes unberührt.
Von Frank-O. Docter
Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge und selbst Bienen sind seltene Gäste geworden. Wohingegen eingewanderte Schädlinge wie Kirschessigfliege und Tigermücke zunehmen. Fotos: Andrea Warnecke/dpa, Rainer Jensen/dpa, Fredrik von Erichsen/dpa, James Gathany/dpa
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GIESSEN - Immer wieder ist Verwunderung darüber zu hören, dass in diesem Jahr bisher deutlich weniger Insekten auf der Windschutzscheibe des Autos zu finden sind. Und auch Bienen und Hummeln oder Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge oder der Kleine Fuchs zu eher seltenen Gästen geworden sind. Diese Beobachtungen trügen nicht, wie Prof. Andreas Vilcinskas, Gründer und Leiter der Insektenbiotechnologie an der Justus-Liebig-Universität (JLU), im Gespräch mit dem Anzeiger bestätigt. Tatsächlich sei in den vergangenen Jahrzehnten ein steter Rückgang der Insektenanzahl in Deutschland festzustellen. Der Forscher weist hierzu auf eine aktuelle wissenschaftliche Studie hin, nach der im Vergleich zu 1990 heute etwa 75 Prozent weniger Insekten in den Bundesländern unterwegs sind. Allerdings sei das Insektensterben nicht auf Deutschland beschränkt. "Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt nicht den einen Grund", betont Vilcinskas.
Da wäre zum Ersten der weiterhin hohe Einsatz von Insektiziden, aber auch Pestiziden in der Landwirtschaft. "Über die Nahrungskette akkumulieren sich diese Gifte", nennt der Wissenschaftler als zusätzliches Problem der "chemischen Keule". Außerdem würde die Ausweitung intensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen immer weniger Platz lassen für "die klassische Wiese", den Lebensraum gerade von Schmetterlingen. "Als ich 14 Jahre alt war, habe ich innerhalb weniger Monate rund 230 Schmetterlingsarten gefangen", erzählt Vilcinskas aus seiner Jugendzeit in den 80ern. Mittlerweile könne man sich freuen, wenn man das Jahr über noch fünf verschiedene Schmetterlinge zu Gesicht bekommt. Der Rückgang dieser bei vielen Menschen so beliebten Tiere mit ihren bunten Flügeln in den unterschiedlichsten Varianten ist auch ein gutes Beispiel für ein weiteres Problem: den Rückgang der Biodiversität, also der Anzahl von Arten. Mit dem Rückgang der Insekten werden auch die Vögel weniger, die diese als Nahrung brauchen. Eine weiterere Ursache für den Schwund der Insekten ist die Lichtverschmutzung in der Nacht: "Tausende von Straßenlaternen und Leuchtreklamen beeinträchtigen das natürliche Verhalten der nachtaktiven Insekten", nennt Vilcinskas als Grund, warum zum Beispiel auch Nachtfalter immer weniger werden. Was dann wiederum das Leben anderer nachtaktiver Tiere wie beispielsweise Fledermäuse nachhaltig beeinflusst.
Vom Insektensterben dagegen unberührt erscheint so mancher Schädling. Allen voran die Kirschessigfliege, die aus dem Fernen Osten nach Deutschland eingewandert ist und gerade den Obstbauern immer größere Probleme bereitet. Denn auf ihrem Speiseplan stehen rund 300 verschiedene Obstsorten. "Die Kirschessigfliege geht nur an reife Früchte. Und das kurz vor der Ernte, wenn die Landwirte nicht mehr Insektizide spritzen dürfen", verdeutlicht Vilcinskas. "Wir sind hier derzeit leider handlungsunfähig." Obwohl die winzige Fliege erst 2012 in Hessen erstmals entdeckt worden war, hat sie seitdem Ernteausfälle in Höhe von zig Millionen Euro verursacht.
Ein anderes Schadinsekt, dessen Ausbreitung der Klimawandel möglich gemacht hat, ist die Tigermücke. In Asien haben die von ihr übertragenen Viren in den vergangenen Jahrzehnten schon Hunderttausende Menschenleben gefordert. Doch im Gegensatz zur Kirschessigfliege sind hier Vilcinskas und seine Forscherkollegen - das Gießener Institut für Insektenbiotechnologie ist das erste seiner Art weltweit, genauso wie der nun startende gleichnamige Masterstudiengang - zuversichtlicher, die Ausbreitung senken zu können. Und zwar in Form der sogenannten Sterile-Männchen-Technik: Setzt man entsprechend gezüchtete männliche Mücken aus, die keine Nachkommen zeugen können, verringert sich die Population zusehends. Diese Methode kommt auch bei den gewöhnlichen Stechmücken zum Einsatz. "Nur die Weibchen bei den Mücken stechen, saugen Blut und können dabei Erreger übertragen", weiß Vilcinskas zu berichten. Neben den Schadinsekten selbst hofft man, mit der neuen Methode auch Vektorinsekten zu dezimieren, die Erreger von einem zum anderen Organismus transferieren und Teil des Infektionsweges sind.
Helfen gegen das Sterben der Insekten, die vielfach auch für den Menschen von lebenswichtiger Bedeutung sind, würde mehr ökologische Landwirtschaft. "Für diese wird aber die doppelte Fläche benötigt", gibt der Forscher zu bedenken. Dennoch seien unbedingt mehr Naturschutzgebiete erforderlich, wo etwa die bei vielen Insekten so beliebte Brennnessel wachsen kann. "Eine Schutzwiese pro Stadtteil oder Dorf würde mehr bringen als ein ganzer nationaler Schutzpark", nennt Vilcinskas einen Lösungsansatz, der sich ortsweise relativ schnell realisieren lassen könnte. Foto: Docter