Scherenschleifer aus Gießen ist einer der letzten Vertreter seines Berufes
Der Gießener Karl Wilhelm Schneider ist Scherenschleifer in sechster Generation und beklagt ein "großes Misstrauen gegenüber dem Haustürgeschäft". Der Anzeiger besuchte ihn bei der Arbeit.
Von Frank-O. Docter
"Schleifen ist eine Kunst", sagt Karl Wilhelm Schneider. Der 46-Jährige ist in seinem Beruf viel unterwegs. Foto: Docter
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GIESSEN - Der kleine Motor, der den Strom für die Schleifmaschine erzeugt, macht einen ziemlichen Lärm. Doch dadurch lässt sich Karl Wilhelm Schneider nicht aus der Ruhe bringen. Hochkonzentriert sitzt er neben seinem Auto vor der Maschine mit dem schnell rotierenden Schleifstein und macht stumpfe Haushalts- und Gartengeräte wieder scharf. Seien es nun Messer und Scheren aller Art, Pinzetten und Skalpelle, Rasenmäherklingen, Heckenscheren, Äxte, Spaten oder Sensen und noch so einiges mehr. Doch so leicht, wie das für manchen Laien auf den ersten Blick womöglich aussehen mag, ist die Arbeit keineswegs. "Schleifen ist eine Kunst", betont der 46-Jährige im Gespräch mit dem Anzeiger. "Man darf zum Beispiel ein Messer nicht so schleifen wie eine Schere. Beim Messer läuft die Klinge zur Spitze zu, bei der Schere verläuft die Klinge anders." Im schlimmsten Falle könne eine Klinge durch die falsche Schleiftechnik sogar "ausglühen", wodurch Löcher im Metall entstehen und das geschliffene Objekt quasi nutzlos wird. Dass sich der Gießener so gut auskennt, hat einen guten Grund: Er entstammt einer Familie von Scherenschleifern, die diese Tätigkeit nun schon in sechster Generation als umherfahrende Dienstleister anbietet.
Über 200 Schulen besucht
"Ich war schon mit elf Jahren mit meinem Vater unterwegs und habe als Schüler über 200 verschiedene Schulen besucht, vom Jadebusen (Meeresbucht bei der Einmündung der Weser in die Nordsee, Anm. d. Red.) bis zum Bodensee", erinnert er sich. Da verwundert es nicht, dass der Bruder von Karl Wilhelm Schneider ebenfalls diese Berufswahl getroffen hat. Doch nicht nur, dass sie einen aussterbenden Beruf ausüben, macht die Familie zu etwas Besonderem. Sondern auch die Art, wie der in Gießen ansässige "Schneiders Schleif Service" für seine Dienstleistungen wirbt, nämlich durch den Einwurf von DIN-A5-großen Werbezetteln in den Briefkasten, auf denen steht, wo und in welcher Zeitspanne man für die Kunden vor Ort ist. "Meines Wissens nach gibt es deutschlandweit nur noch ganz wenige Scherenschleifer, die noch Zettel austragen", sagt der 46-Jährige.
Nachdem der siebenfache Vater (sechs Töchter und ein Sohn) wegen seiner eigenen Familie einige Jahre im Beruf ausgesetzt und etwas anderes gemacht hat - "Ich wollte wegen meiner Kinder nicht mehr so viel unterwegs sein" -, ist er inzwischen dabei, sein kleines Unternehmen neu aufzubauen. Gerne würde Schneider seinen schon in die Jahre gekommenen Kombi gegen einen Kleinbus austauschen. Um dann alle Spezialwerkezeuge, wie etwa auch Wasser- und Bandschleifgerät, auf einmal mit sich führen zu können. Was auch aufgrund seines von Mittelhessen bis fast nach Darmstadt reichenden Geschäftsgebietes sicherlich bequemer und profitabler wäre. Doch das Scherenschleifer-Geschäft ist hart. "Wenn ich 20 bis 30 Aufträge pro Tag habe, bin ich gut dabei", erzählt er. Umgekehrt koste ein neuer Spezial-Schleifstein jedes Mal circa 70 Euro, "die Preise gehen sogar bis zu 300 Euro pro Stein". Um zudem seinem Vater und Bruder nicht in die Quere zu kommen und sich gegenseitig das Geschäft zu vermasseln, spricht man sich ab, in welchen Ortschaften und Vierteln für die eigenen Dienste geworben wird. "In jedem Gebiet bin ich zweimal pro Jahr", so der 46-Jährige. Das viele Herumfahren, sei es nun zum Einwerfen der Werbezettel oder um stumpfe Objekte abzuholen und scharf zurückzubringen, nimmt er gerne in Kauf. "Ich will nicht an Vater Staat hängen", betont Schneider.
Er ist stolz auf seine Tätigkeit: "Schleifer ist einer der zehn ältesten Berufe der Welt und sicherlich schon weit über 2000 Jahre alt." Genauso stolz ist der Scherenschleifer darauf, dass er und seine Familie Angehörige und Nachfahren des "fahrenden Volks", wie es vor allem früher so oft hieß, sind. Daher hört er es nicht gerne, wenn er oder Kollegen negativ als "Hausierer" abgestempelt werden. "Dem Haustürgeschäft gegenüber herrscht großes Misstrauen", beklagt Schneider und gibt dieser Tatsache eine Mitschuld für das schwierige Geschäft in seiner Branche. Daher habe er auf den Werbezetteln seine komplette Adresse stehen und führe immer Ausweis und Gewerbeschein mit sich, "die ich auf Wunsch gerne vorzeige".
Kunden meist Ältere
Was im Übrigen ab und zu auch bei der Polizei notwendig sei, die gerne mal umherfahrende Dienstleister kontrolliere. "Im Raum Frankfurt kann einem das aber viel häufiger passieren als in Mittelhessen." Die meisten seiner Kunden seien ältere Leute, die jüngeren dagegen in der Minderheit - "Vielleicht auch weil viele von ihnen nicht mehr wissen, dass es noch mobile Scherenschleifer gibt", vermutet Schneider. Nicht vergessen darf man hierbei die Konkurrenz in Form von Geschäften, die Schleifarbeiten, fast ausschließlich als Zusatzleistung und nicht darauf spezialisiert, offerieren. Um vom Serviceangebot her möglichst breit aufgestellt zu sein, bietet Schneider darüber hinaus an, bei Rasenmähern - sei es nun Motor-, Elektro- oder Handmäher - nicht nur die Klinge zu schärfen, sondern den Mäher auf Wunsch gleich komplett zu reinigen. Er kennt allerdings auch die Grenzen seiner Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten. So schleift der 46-Jährige weder Sägeblätter noch Bohrer oder Kettensägen. "Auch sage ich es Kunden vorher, wenn ich mit meinen Schleifsteinen mal etwas nicht hinbekomme." Denn Karl Wilhelm Schneider hat einen festen Grundsatz: "Die Leute dürfen sich höchstens über den Preis aufregen, aber nicht über meine Arbeit." Wobei seine Preise in den für diese Branche üblichen Kategorien liegen.
Die Zettel, die Schneider oder auch sein Vater und Bruder, potenziellen Kunden in den Briefkasten wirft, sind im Übrigen nicht nur zur Werbung für die eigenen Dienste gedacht. Im Text enthalten ist vielmehr auch ein Appell, sie durch Aufträge dabei zu unterstützen, den Beruf des Scherenschleifers nicht aussterben zu lassen. Und somit zu helfen, dass nicht eine weitere Handwerkstradition für immer verschwindet.
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Wer die Dienste von "Schneiders Schleif Service" in Anspruch nehmen möchte - und nicht bereits durch einen Zettel im Briefkasten darauf aufmerksam geworden ist - kann Karl Wilhelm Schneider auf zwei Arten erreichen: per Telefon (0152/22107434) und E-Mail (willischneider7122@yahoo.com).