Schulamt Gießen: Expertin zum Umgang mit religiöser Vielfalt im pädagogischen Raum
In der Reihe "Schule im Wandel" widmete sich Saba-Nur Cheema, Leiterin der pädagogischen Projekte der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, "religiöser Vielfalt im pädagogischen Raum".
Von sza
Saba-Nur Cheema
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GIESSEN - Pädagoge sein, heißt in der heutigen Zeit vor allem eines: Anpassungsbereitschaft und Reflektion. Themen wie religiöse Vielfalt und Inklusion beschäftigen und fordern Lehrer bundesweit. Um einen neuen Blick auf diese Herausforderungen zu bekommen, organisiert das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis eine fünfteilige Reihe zu "Schule im Wandel: Leben und Lernen in der interkulturellen Gesellschaft". Diesmal lautete der Titel "Religion hat hier nichts zu suchen - zum Umgang mit religiöser Vielfalt im pädagogischen Raum".
Der Satz, dass Religion "hier nichts zu suchen hat", stamme von einer Lehrerin, die von einem Schüler gefragt worden sei, ob er für die Pause einen Raum zu Beten bekommen könne, erklärte die Referentin Saba-Nur Cheema. Sie ist Leiterin der pädagogischen Programme und Projekte der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Inzwischen sei das Thema Religion ständig in den Schulen präsent. Das sei an sich nicht problematisch. "Das Grundgesetz stellt es jedem Menschen frei, seine Religion auszuleben und auch zu wechseln." Allerdings gebe es genau in diesem Bereich gewisse Defizite. Denn in Deutschland hätten die christlichen Religionen einen privilegierten Status und würden bestimmen, "wie unser Verständnis von religiösen Strukturen aussieht". Umgekehrt hätten dann andere Religionen gewisse Nachteile. Besonders im Fokus stehe der Islam. Klare religiöse Strukturen gebe es bei den Muslimen in Deutschland nicht. "Sie haben vier Dachverbände, die gerade einmal 30 Prozent aller Muslime vertreten, da wird es natürlich schwierig, wenn Medien nach einem Sprachrohr für die Mehrheit suchen." Generell herrsche eine große Verunsicherung, was den Islam und Muslime angehe. Das zeige sich auch in den Schulen. "Dort fällt der pädagogische Blick sehr oft und schnell auf die muslimischen Schüler", kritisiert Cheema. Auch in den Medien würden zumeist Terrorismus, Integrationsschwierigkeiten, Extremismus und internationale Konflikte ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die Lehrer könnten sich davon in den wenigsten Fällen frei machen. Zwanghaft werde dann versucht, den Islam verstehen zu wollen.
Davon müsse man sich lösen, wie die Referentin anhand eines Beispiels verdeutlichte: "Zwei Jungen streiten sich, weil einer das Pausenbrot des anderen in den Müll wirft - mit der Begründung, dass sein Fleisch nicht Halal wäre." Gehe es dabei wirklich um Religion? Nein, betont Cheema, schließlich könne doch jeder essen, was er wolle. Und überdies sei es grundsätzlich falsch, Essen wegzuwerfen. Natürlich spielten Schüler auch die Religionskarte aus, um sich vor gewissen Dingen zu drücken - sei es das Spülen während einer Klassenfahrt oder der Lehrerin die Hand zu geben. "Doch genau hier sollte nicht die Religion im Fokus stehen, sondern das respektvolle Miteinander. Meist hat das weniger mit der Religion zu tun als vielmehr mit Jugendlichen, die in der Pubertät sind und ihre Grenzen austesten wollen", ermunterte Saba-Nur Cheema.
Eine Lösung für jeden Konflikt existiere ohnehin nicht. Zugleich appellierte sie an die Lehrer, sich für bestimmte Probleme mehr Zeit zu nehmen und nicht alles innerhalb einer Fünf-Minuten-Pause klären zu wollen.
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Die nächste Veranstaltung findet am 6. November um 19.30 Uhr im Hermann-Levi-Saal statt. Dann geht es um "Gewaltphänomene bei männlichen, muslimischen Jugendlichen und Präventionsstrategien". Den Vortrag hält Prof. Ahmet Toprak von der Fachhochschule Dortmund. Foto: Szabowski