GIESSEN - Auf die Bedrohung und Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten wollen Studierende der Justus-Liebig-Universität (JLU) aufmerksam machen. Deshalb haben die jungen Leute im Jahr 2008 die Initiative " Gefangenes Wort " gegründet, die sich längst zu einem Verein weiterentwickelt hat. Um noch intensiver auf Einzelschicksale hinzuweisen, kooperiert der Anzeiger seit Langem mit dem Verein und stellt jeweils zu Beginn des Monats einen Fall auf der Hochschulseite vor. Diesmal berichtet Elena Müller über den kirgisischen Journalisten Asimschon Askarow.
Auf dem Foto ist Asimschon Askarow fast nicht wiederzuerkennen. Aufgenommen durch die Gitterstäbe des kirgisischen Gefängnisses, zeigt es das magere Gesicht eines Mannes, das von tiefen Falten gezeichnet ist, die dunklen Augen wirken trübe. Der lange graue Bart lässt den 65-Jährigen aussehen wie einen Greis. Das dieses Foto überhaupt auf ein paar Webseiten auftaucht, ist der jüngsten Entscheidung des Tschüji-Bezirksgerichts in Bischkek geschuldet, die am 24. Januar nach einer mehrmonatigen Verhandlung verkündet wurde: Der Journalist und Menschenrechtsaktivist ist in einem Berufungsverfahren erneut zu lebenslanger Haft verurteilt worden, einige Medien und Hilfsorganisationen berichten daraufhin über das Urteil. Es gibt Vorwürfe, dass der kritische Autor gefoltert wurde. Die Spuren der Haft, die auf dem Foto in seinem Gesicht zu sehen sind, legen den Schluss nahe, dass es Askarow im Gefängnis nicht gut geht.
Bereits seit 2010 sitzt der Journalist im Gefängnis, der Vorwurf: "Beihilfe in einem Mordfall und Anstachelung zum Hass" - Askarow soll mit seiner Berichterstattung über gewalttätige ethnische Unruhen in den Städten Osch und Dschalalabat im Juni 2010 dazu beigetragen haben, dass in der Folge der Aufstände ein Polizist ermordet wurde. Eine offizielle Ermittlung durch den kirgisischen Ombudsmann für Menschenrechte ergab allerdings, dass Askarow zum Zeitpunkt des Mordes überhaupt nicht am Tatort war. Das "Writers in Prison" Komitee des deutschen PEN erklärt in einem Aufruf zur Unterstützung Askarows, dass der Journalist nach seiner Festnahme im September 2010 kein fairer Prozess gemacht wurde. Askarow gehört selbst zur usbekischen Minderheit in Kirgisistan und hat vielfach kritisch und für die Mehrheitsregierung unbequem über Korruption in der Polizei berichtet.
Der Prozess war wiedereröffnet worden, nachdem das UN-Menschenrechtskomitee eine Erklärung abgegeben hatte. Doch die explizite Aufforderung, den Journalisten und Menschenrechtler aus der Haft zu entlassen, kamen die kirgisischen Gerichte nicht nach. Dem Land werden deshalb im Fall Askarow mehrfache Verletzungen des "Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte" vorgeworfen, darunter Askarows Folter im Gefängnis und seine willkürliche Verhaftung.
Das Internetmagazin Novastan.org mit Sitz in Kirgisistan, dass den Fall mit deutsch- und französischsprachigen Journalisten detailliert beobachtet, berichtet, dass Askarow nach Verkündigung des Berufungsurteils am 24. Januar in einen unbefristeten Hungerstreik getreten war. Wie es Askarow im Moment geht, ist nicht bekannt.
Erneut hatten die Richter ihr Urteil mit fadenscheinigen Fakten begründet. Wie schon im ersten Prozess stützten sich die Richter allein auf Zeugenaussagen. Zeugen, die von der Verteidigung eingeladen worden waren, bestritten jedoch, Askarow am Tatort des Polizistenmordes gesehen zu haben. Das Gericht äußerte Zweifel an den Aussagen des Angeklagten, mehrfach in der Haft gefoltert worden zu sein. Dies würden drei psychiatrische Gutachten belegen, die ihn als "Lügner und Kriecher" identifiziert hätten.
Der Fall wird weltweit immer wieder von Menschenrechtsorganisationen publik gemacht, auch verschiedene Regierungen setzen sich auf diplomatischen Wegen immer wieder für die Freilassung des Journalisten ein. So sprach zum Beispiel laut Novastan.org die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fall in Gesprächen mit dem kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew in Berlin im Dezember 2012 und in Bischkek im Juli 2016 an. Doch der internationale Druck konnte bislang keine Verbesserung bringen, sondern hat im Gegenteil schon Krisen ausgelöst: Die Verleihung des Preises für Menschenrechtsaktivisten 2014 - Askarow hat bereits mehrere Preise für seine Arbeit erhalten - durch das US-amerikanische State Department führte zu einem diplomatischen Zwischenfall zwischen Kirgisistan und den Vereinigten Staaten. Kirgisistan kündigte daraufhin den Kooperationsvertrag der beiden Staaten auf.