Samstag,
10.08.2019 - 11:15
4 min
Stadtgespräch: Vernichtetes Zeitzeugnis im Westbad und zu viele Rennstrecken in Gießen
Benno Walldorf mag kein Picasso oder van Gogh gewesen sein. Und wahrscheinlich kennen ihn selbst viele Gießener nicht: weder als Künstler noch als Grafiker, Jazzmusiker, Galerist oder Fotograf. Obendrein lässt sich über Kunst ohnehin immer trefflich streiten. Jeder kann dabei natürlich seine eigene Meinung haben - so wie Benno Walldorf (1928-1985) seine ganz eigene farbenfrohe geometrische Bildsprache hatte, die auch auf den Wänden in der Schwimmhalle des Gießener Westbades ihren Ausdruck fand. Bis die Stadtwerke Gießen (SWG) sie jüngst übermalen ließen, um die Sitznischen mit sportlichen Motiven zu modernisieren. Das ist zunächst einmal legitim. Immerhin muss es dem Unternehmen ein Anliegen sein, in erster Linie für die Badegäste ein attraktives Angebot sowie ein einladendes Ambiente zu schaffen. Die Resonanz scheint bisher weitgehend positiv zu sein.*Im Umgang mit den Werken Walldorfs, einem kulturellen Zeitzeugnis, wären jedoch mehr Sensibilität und Sorgfalt wünschenswert gewesen. Dass offenbar niemandem bewusst war, worum es sich hier handelt, dass gar angenommen wurde, eine Kunst-AG der Herderschule habe die Bilder aufgebracht, ist schon verwunderlich. Gibt es dazu keine Unterlagen? Eine simple Internetrecherche, etwa bei Wikipedia, hätte ja schon genügt. Wer der Online-Enzyklopädie misstraut, wäre auf diesem Weg zumindest auf die "Zentrale Datenbank Nachlässe" des Bundesarchivs gestoßen, in der Walldorfs farbige Wandgestaltungen an oder in öffentlichen Gebäuden aufgeführt werden. Mit diesem Wissen wäre es sicher eine Option gewesen, wenigstens nach einem alternativen Platz zu suchen.*Was geschieht nun? Die Tochter Esther Walldorf, die den Wert auf 100 000 Euro schätzt, erwägt, rechtliche Schritte einzuleiten. Ist das erfolgversprechend? Durchaus. Der Bundesgerichtshof hat dazu im Februar im kuriosen Fall des "Mannheimer Lochs" - einer abgebauten Installation in der Mannheimer Kunsthalle - entschieden, dass Künstler zwar keinen Anspruch darauf haben, dass ihre - von anderen erworbenen - Werke, die etwa Teil eines Gebäudes sind, erhalten werden, sie gar zerstört werden dürfen. Aber: Da Eigentum nun mal verpflichtet, müsse aufgrund der Urheberrechtsverletzung möglicherweise Schadenersatz gezahlt werden. Die Renovierung des Hallenbades könnte für die SWG also teurer werden als gedacht.*Ein sensibler Bereich sind auch Kliniken. Dort begibt man sich in einer Zeit der Krankheit, Schwäche und vielleicht auch Hilflosigkeit in die Hände anderer Menschen. Dass diese Situation von manchen Verbrechern ausgenutzt wird, indem sie sich etwa an deren Wertgegenständen vergreifen, ist ziemlich perfide - wenngleich die Zahlen in Gießen rückläufig sind. Die Diebe sind oftmals so dreist, dass sie in weiße Kittel schlüpfen und sich als Ärzte oder als Pfleger verkleiden, um bei ihrem Beutezug nicht aufzufallen. Das zu verdeutlichen, war mit der etwas zugespitzten Überschrift "Wenn der Arzt ein Dieb ist" intendiert. Rückmeldungen an die Redaktion haben jedoch gezeigt, dass diese Formulierung missverständlich und somit eher unglücklich war. Denn obwohl davon im Artikel selbst keine Rede war, ist vereinzelt leider der Eindruck entstanden, Ärzte würden tatsächlich ihre Patienten und deren Angehörige bestehlen. Es war in keiner Weise beabsichtigt, eine Berufsgruppe, die eine wertvolle Arbeit zum Wohle der Patienten leistet, in Misskredit zu bringen.*Das ist schon erstaunlich: Für gewöhnlich wirkt es überaus polarisierend, wenn es um Geschwindigkeitskontrollen geht. Vermutlich, weil fast jeder schon mal "geblitzt" worden ist. Und dann gerne geschimpft wird, dass mit den Geldern sowieso nur irgendwelche öffentlichen Kassen aufgefüllt werden sollen. Die Stadt hat diese Woche nun ein neues Radargerät vorgestellt, mit dem das Einsatzspektrum auf der Jagd nach Temposündern und Posern erweitert werden kann. Ausgerechnet in den sozialen Medien kommt überraschend viel Zustimmung. Verbunden mit dem Hinweis, welche Rennstrecken doch bitteschön noch genauer ins Visier genommen werden sollten, insbesondere zu nächtlicher Stunde und nicht unbedingt im Berufsverkehr, wenn alles stockt. Genannt werden beispielsweise die Krofdorfer, Marburger und Rodheimer Straße, der Anlagenring, der Abschnitt zwischen Heuchelheim und Weststadt, Walltorstraße, Wiesecker Weg, Ludwigstraße und Eichgärtenallee. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Zahlreichen Rasern, die selbst innerorts noch waghalsig überholen, ist es wohl ziemlich egal, dass sie durch ihr rücksichtsloses Verhalten andere Menschen gefährden. Kann sein, dass sie sich (zu?) sicher sind, nicht erwischt zu werden.*Ein entlarvendes Bild haben wiederum die Teilnehmer einer Mahnwache am Gießener Bahnhof abgegeben. Angeblich versammelten sie sich, um einen achtjährigen Jungen und eine 34-jährige Frau zu betrauern, die in Frankfurt und Voerde vor Züge gestoßen wurden und starben. Vor unserem Reporter setzten sich zwei von ihnen bewusst cool und lässig mit erhobenem Daumen, aber völlig unangemessen, in Szene. Nicht nur die 80 Gegendemonstranten haben ihnen diese "Trauer" nicht abgenommen und vor einer Instrumentalisierung der Vorfälle durch rechte Hetzer gewarnt.