Uniklinikum Gießen: Mit "gebrochenem Herzen" ist nicht zu spaßen
Ein "gebrochenes Herz" klingt nach großem Melodrama und Gefühlsduselei. Ausgelöst durch emotionalen Stress, kann es aber tatsächlich zu einer Funktionseinschränkung des Herzens kommen, erläutert Prof. Holger Nef vom Uniklinikum Gießen. Die Symptome ähneln denen des Herzinfarkts.
Von Benjamin Lemper
"Das 'Broken Heart'-Syndrom verläuft in manchen Fällen sehr gefährlich", erklärt Prof. Holger Nef. Foto: Lemper
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Giessen. Dichter, Schriftsteller und Komponisten wussten schon immer um die Kraft starker Gefühle - und was sie anrichten können. Sei es nun Goethe, Shakespeare, Heine oder Wagner: Oft geht es um menschliche Enttäuschungen, existenzielles Leid, verletzte Seelen, Verrat, Katastrophen und unerfüllte Liebe. Und allzu oft endet die tragische Geschichte wie bei "Macbeth", in "Wilhelm Meisters Lehrjahre" oder "Tristan und Isolde" mit einem "gebrochenen Herzen", ja bisweilen sogar mit dem Tod. Auch heute ist etwa nach dem unfreiwilligen Ende einer Beziehung oder dem Verlust eines nahestehenden Menschen von "Herzschmerz" die Rede. Das mag dann zwar kitschig klingen, nach zu viel Gefühlsduselei und großem Melodrama. Trotzdem ist damit keineswegs zu spaßen. Denn ausgelöst durch emotionalen Stress, kann es tatsächlich zu einer Funktionseinschränkung des Herzens kommen, erläutert Prof. Holger Nef, Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik I (Kardiologie/Angiologie) am Uniklinikum Gießen, im Interview mit dieser Zeitung. Die Symptome ähneln dabei denen eines Herzinfarkts.
Kann ein Herz vor Kummer tatsächlich krank werden und "brechen"?
Natürlich ist das eher im übertragenen Sinne gemeint. Richtig ist aber durchaus, dass dem ein emotionales Ereignis vorausgeht, wodurch vermehrt Stresshormone ausgeschüttet werden. Aus der Grundlagenforschung wissen wir, dass der Stresshormonspiegel im Vergleich zum akuten Myokardinfarkt um das Dreifache, teilweise sogar um das Zehnfache erhöht ist. Das greift dann das Herz unmittelbar an und führt zu einer Funktionseinschränkung. Auch wenn diese nur vorübergehend besteht, ist das doch mit einem fehlenden Vorwärtspumpen des Blutes verbunden. Und wenn zu wenig Blut ausgeworfen wird, kommt es auch zur Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff und im Extremfall - bei etwa 5 Prozent - zu einem kardiogenen Schock. Damit ist die Erkrankung zumindest in manchen Fällen sehr gefährlich.
Was sind denn klassische Auslöser?
Da finden sich ganz unterschiedliche Muster hinsichtlich der Belastung. Das können zum Beispiel Autounfälle oder größere Operationen sein. Wir hatten im Uniklinikum auch schon eine Patientin, bei der zwei Tage nach dem Tod ihrer Mutter Beschwerden auftraten, weil die Trauer so stark war. Oder eine Frau, der setzte der Zusammenbruch von "Lehman Brothers", wo sie arbeitete, massiv zu. Eine Opernsängerin hatte sich wiederum zu sehr über einen nicht getroffenen Ton geärgert. Freudige Anlässe können ebenfalls erheblichen emotionalen Stress verursachen: wie bei einem unerwarteten Wiedersehen, als die verschollen geglaubte Schwester aus den USA auftauchte. Die traurigen, schicksalhaften Erlebnisse überwiegen allerdings eindeutig.
FORSCHUNG
Die Forschung hat die auch als "Broken Heart"-Syndrom bekannte Tako-Tsubo-Kardiomyopathie erst in den 1990ern entdeckt und beschrieben. Seit den Jahren 2003/2004 hat sich Prof. Holger Nef ebenfalls intensiver mit der Erkrankung beschäftigt und darüber habilitiert. Mit Kollegen habe er "sehr viele genetische Fingerabdrücke der Zellen untersucht und geschaut, ob es Signale in den Herzmuskelzellen gibt, die bei diesen Patienten besonders sind, von denen man gewisse Marker ableiten könnte, und ob wir ein Ereignis vielleicht sogar voraussagen beziehungsweise Zellensignale so beeinflussen können, damit es nicht wieder auftritt". Dafür erhielt er den August Wilhelm und Lieselotte Becht-Preis der Deutschen Stiftung für Herzforschung. Die konkreten Forschungen seien zwar mittlerweile abgeschlossen, gesammelte Erfahrungen würden aber weiterhin in ein internationales Tako Tsubo-Register einfließen, um davon zu lernen. (bl)
Wie lässt sich das "Broken Heart"-Syndrom überhaupt von einem Herzinfarkt unterscheiden?
Das ist gar nicht so einfach, denn die Symptome wie plötzlich starke Schmerzen im Brustbereich, Übelkeit, Atemnot und Schweißausbruch ähneln sich. Die Patienten zeigen oftmals auch Veränderungen im Stromkurvenverlauf, also beim EKG - in Nuancen ein bisschen anders, aber sehr wohl vergleichbar. Zudem können im Blut Labormarker nachgewiesen werden, die auf einen Herzinfarkt hindeuten. Wenn man sich dann aber per Koronarangiografie, das ist das entscheidende Diagnostikum, die Herzkranzgefäße anschaut, sind die vollkommen normal. Es gibt keine Engstelle, keinen Verschluss. Lediglich in der Kontrastmitteldarstellung des linken Herzens ist eine eingeschränkte Funktion zu erkennen.
Also gehen Sie vor allem nach dem Ausschlussprinzip vor?
Oft können wir schon anhand der Krankenvorgeschichte, des Beschwerdebildes und eines Ultraschalls vermuten, dass es sich um keinen Herzinfarkt handelt. Aber zur Abklärung gehört selbstverständlich auch der Ausschluss der koronaren Herzerkrankung. Die Erfassung der Kontraktionsform des linken Herzmuskels macht es dann letztendlich perfekt. Nur der obere Teil schlägt noch, der Rest wirkt wie gelähmt. Ein typisches Phänomen ist, dass sich das Herz an der Spitze wie ein Ballon aufbläht. Die Form erinnert an Tako Tsubo, ein japanischer Tonkrug, der als Tintenfischfalle dient. Daher rührt auch der wissenschaftliche Name Tako-Tsubo-Kardiomyopathie.
Und das kann auch tödlich sein?
Leider ja. Wir haben einen großen Datensatz von betroffenen Frauen untersucht und eine ähnliche Sterblichkeitsrate festgestellt wie bei einem Herzinfarkt. Das Problem ist die Akutphase. Das, was zum Tod führt, ist jeweils die eingeschränkte Herzfunktion: beim Herzinfarkt durch ein verschlossenes Gefäß, beim Tako-Tsubo-Syndrom durch die temporäre Lähmung des Herzmuskels. Die Konsequenz für den Gesamtorganismus und die davon abhängigen Organe, die nicht mehr genug durchblutet werden, ist die gleiche.
Wie sind generell die Heilungschancen?
Glücklicherweise verläuft die Erkrankung meistens ohne größere Komplikationen. Auf der anderen Seite haben wir eben einen akuten Beginn. Unter dem Mikroskop haben wir Muskelproben analysiert und teilweise einen erstaunlichen Zelluntergang gesehen. Einzelne Bausteine haben sich total verändert. Dort, wo eigentlich Herzmuskel war, ist sehr viel Bindegewebe entstanden. Das ist alles eine relativ rasche Folge des Einflusses von Stresshormonen. Diese baulichen Veränderungen können sich aber sehr schnell regenerieren und den Normalzustand annehmen, sodass sich das Herz innerhalb von zehn bis 14 Tagen fast vollständig erholt.
Frauen sind offenbar häufiger betroffen. Woran liegt das?
Durch das Östrogen sind Frauen zunächst noch besonders vor Stresshormonen geschützt. Dieser Schutz fällt mit der Meno-Pause weg, danach sind sie anfälliger und das Herz wird durch emotionalen Stress stärker angegriffen. In unseren Untersuchungen lag das Durchschnittsalter bei Mitte 70. Der Anteil der von der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie betroffenen Männer ist dabei in der Tat gering.
Was ist dran, dass Patienten mit "Broken Heart"-Syndrom häufiger auch an Krebs erkranken?
Man hat da durchaus eine Assoziation festgestellt. Es ist jedoch schwierig zu sagen, was jetzt Henne oder Ei ist. Ob wirklich ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung existiert, wage ich erstmal zu bezweifeln. Ich kann mir eher vorstellen, dass das Wissen, an einem Tumor erkrankt zu sein, auch für Traurigkeit und eine emotionale Belastung sorgt, die dann eine Stress-Kardiomyopathie begünstigt.
Und wie kann man grundsätzlich vorbeugen respektive einen Rückfall verhindern?
Das gelingt einerseits mit Medikamenten. Wir verschreiben im Nachgang oft sogenannte Betablocker, die sind in meinen Augen ganz wichtig, um das Herz zu schützen. Andererseits können Sport oder Meditation einiges bewirken. Das hat auch Effekte auf den Blutdruck, auf das gesamte Kreislaufsystem. Menschen, die weniger gut mit Stress fertig werden, raten wir, sich auch psychokardiologisch betreuen zu lassen. Das ist mittlerweile eine ganz entscheidende Säule der Therapie geworden. Wenn solche Maßnahmen ergriffen werden, kann ein zweiter Anfall oftmals vermieden werden. Wenngleich Daten gezeigt haben, dass das bei circa zehn bis elf Prozent der Fälle innerhalb von zwei Jahren doch wieder passieren kann. Nicht alles entfaltet seine Wirkung. Es gibt einfach viele unbeeinflussbare Faktoren.