Urteil des Landgerichts Gießen um geplante "Hinrichtung" hat Signalkraft
Wegen der Verabredung zum Mord hatte das Landgericht Gießen einen Familienvater zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nun gibt es drei weitere Anklagen gegen "Heimu", der psychisch labile Frauen in Chat-Foren bedrängt haben soll, um sie in den Selbstmord zu treiben.
Von Heidrun Helwig
Justitias Mitarbeiter haben sich viele Jahre allzu nachlässig mit dem perfiden Vorgehen des Mannes beschäftigt. Symbolfoto: dpa
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GIESSEN/LIMBURG. Seine perversen Phantasien hatte der Familienvater ganz genau beschrieben: Am Bahnhof würde er die labile Leipzigerin abholen, um dann in ein Waldstück zu fahren. Während sie sich nackt auszieht, wollte er den Galgen vorbereiten und ihr anschließend die Hände auf dem Rücken fesseln, damit es sich die junge Frau nicht urplötzlich anders überlegt. Nach Gebet und Befriedigung werde er die "Hinrichtung" vollziehen und die 25-Jährige erhängen. Genau dafür hatte sich "Heimu" in der Nacht zum 29. April 2016 mit seiner psychisch kranken Chat-Partnerin in Gießen verabredet. Das Verbrechen wurde letztlich verhindert, weil ein Fernsehteam, das in einem ähnlichen Fall recherchierte, rechtzeitig die Polizei verständigte. Der stark untersetzte Mann konnte beim Zusammentreffen mit der suizidgefährdeten Frau festgenommen werden. Und deshalb verhängte das Landgericht Gießen gegen den inzwischen 60-Jährigen "nur" wegen der Verabredung zu einem Mord eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Eine Entscheidung mit Signalwirkung. Denn das Urteil, mit dem die Schwurgerichtskammer juristisches Neuland betreten hatte, wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe im Juli 2018 bestätigt. Und damit gleichzeitig die beherzte und akribische Arbeit der Gießener Strafverfolger gewürdigt.
Zuvor hatten sich Justitias Mitarbeiter viele Jahre allzu nachlässig mit dem perfiden Vorgehen des Familienvaters aus dem Raum Weilburg beschäftigt. Aber auch das hat sich - vor allem wegen des spektakulären Prozesses, der bundesweit für Aufsehen gesorgt hat, mittlerweile tiefgreifend geändert. Infolgedessen wird sich der 60-Jährige nun wegen Mordes, versuchten Mordes und wiederum Verabredung zu einem Mord vor dem Landgericht Limburg verantworten müssen. Ein Termin für die aufwändige Hauptverhandlung steht indes noch nicht fest, teilt die Justizbehörde auf Anfrage mit.
Mit Gürtel erhängt
"Es handelt sich um drei Anklagen, denen jeweils ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt", erläutert Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Herrchen, Pressesprecher der Limburger Anklagebehörde, im Gespräch mit dem Anzeiger. Ein Fall hat sich im Zuständigkeitsbereich der Limburger Strafverfolger ereignet. Zudem wurden zwei Verfahren aus Bremen und Nürnberg-Fürth übernommen. "Heimu" soll demnach mit drei psychisch angeschlagenen Frauen - unter verschiedenen Nicknames - in speziellen Foren Kontakt aufgenommen und in einer penetranten und aufdringlichen Art auf den Suizid seiner verzweifelten Chat-Partnerinnen hingewirkt haben.
Im dramatischen Fall der Altenpflegerin Katharina aus Bremen mit tödlichen Konsequenzen. Die 23-Jährige hat sich am 16. Februar 2016 mit einem Gürtel an ihrer Zimmertür erhängt. Dazu soll sie durch ihre Internet-Bekanntschaft angestachelt worden sein. Mehr noch: "Isch Seifert" - so der merkwürdige Spitzname des Mannes - war per Skype-Chat offenbar live dabei, als Katharina starb. Das einst lebensfrohe Mädchen war seit dem plötzlichen Tod ihres Vaters psychisch schwankend, litt unter Depressionen, suchte Hilfe in Online-Foren. Darüber hatten Boulevard-Medien damals ausführlich berichtet. Denn für die Mutter der 23-Jährigen lag eindeutig ein Verbrechen vor. Für Polizei und Staatsanwaltschaft der Hansestadt aber war der Fall ein Suizid. Zwar hatten die Beamten das Smartphone von Katharina auf dem Couchtisch entdeckt und festgestellt, dass ein Kommunikationsverlauf per Internettelefon mit einem "Isch Seifert" noch geöffnet war. Und daraus ergab sich auch, dass die junge Frau aufgefordert worden war, "es mit einem Gürtel zu Ende zu bringen", berichtete ein Ermittler im Prozess in Gießen. Allerdings war die Staatsanwaltschaft in Bremen zunächst davon ausgegangen, dass bloß eine straffreie "Beihilfe oder Anstiftung zum Selbstmord" verübt worden sei. Gegen die Einstellung des Verfahrens hatte die Familie der Altenpflegerin jedoch Beschwerde eingelegt. Mit Erfolg.
"Die Generalstaatsanwaltschaft hat uns angewiesen, die Ermittlungen wiederaufzunehmen. Und das haben wir gemacht", bestätigte Oberstaatsanwalt Frank Passade nach dem Urteil des BGH gegenüber dem Anzeiger. Damit wurde endlich begonnen, die Hintergründe des Todes von Katharina aufzuklären. Immerhin waren die Gießener Richter "aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass es sich bei dem im Ermittlungsverfahren aus Bremen nicht ermittelten Kommunikationspartner der Katharina um den Angeklagten handelte", heißt es in dem rund 150 Seiten umfassenden Urteil.
Auch der zweite Fall, der Gegenstand in Limburg sein wird, hat seinen Ausgangspunkt in Gießen genommen. Eine Studentin aus Augsburg hatte im Prozess berichtet, dass auch ihr Leben - nach einem "Fast-Unfall" - aus den Fugen geraten sei und sie häufiger über Selbstmord nachgedacht habe. Über das Forum "Hoffnungsschimmer" war sie mit "Heimu7766" in Kontakt gekommen, dem es an einem Abend Anfang November 2015 gelungen sei, bei ihr "den Wunsch zu sterben zu verstärken", schilderte die 24-Jährige vor der Schwurgerichtskammer. Dafür hatte er wohl auch eine "schnelle und schmerzlose Methode" parat: Erhängen. Die junge Frau schilderte, dass sie stundenlang versucht habe, sich zu wehren. Sie mochte weder einen "stabilen Gürtel" holen, noch sich "auf einen Stuhl stellen" oder sich gar "nackt ausziehen". Dennoch habe sie "Heimu7766" via Internet genau dazu gebracht. "Er hat es geschafft, meinen Willen zu brechen", so die Studentin. Die Schlinge lag schon um ihren Hals, als sie "einen Rappel bekam", ihre Situation realisierte und von dem "wackeligen Hocker" stieg. Auf Hinweis der Gießener Staatsanwaltschaft hatten die zuständigen Kollegen in Nürnberg-Fürth unmittelbar nach dieser Aussage Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen. Im Frühjahr 2019 wurde Anklage zum dortigen Landgericht erhoben, bestätigte Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke. "Von dort wurde das Verfahren jedoch im August 2019 an das Landgericht Limburg abgegeben."
Die Strafverfolger an der Lahn hatten inzwischen nämlich einen Vorfall aus dem Frühjahr 2012 wieder aufgegriffen. "Auch dabei kam es zur Kontaktaufnahme mit einer emotional instabilen jungen Frau", erläutert Hans-Joachim Herrchen. Nachdem diese dem Angeklagten anvertraut habe, dass sie nicht mehr leben möchte, habe der 60-Jährige "verschiedene Todesarten vorgeschlagen": das Aufhängen mit einem Strick oder das Durchschneiden der Kehle. Und schon damals sei "Geschlechtsverkehr vor dem Tod" die Absicht des Familienvaters gewesen. "Die junge Frau vertraute sich ihrer Mutter an und die schaltete die Polizei ein", schildert der Pressesprecher der Limburger Strafverfolgungsbehörde. Die Ermittler vermochten vor acht Jahren aber - ähnlich wie die Kollegen in Bremen - kein strafbares Verhalten zu erkennen. Dank des Gießener Urteils wurde nun aber eine weitere Anklage gegen "Heimu" erhoben - ebenfalls wegen Verabredung zum Mord. Der BGH hatte im Juli 2018 entschieden, dass der einschlägige Paragraph 30 des Strafgesetzbuches "auch das Sich-Bereiterklären gegenüber dem potenziellen Opfer" umfasst. Daran werden sich künftige Urteile orientieren müssen. Und das könnte für "Heimu" durchaus langwierige Folgen hinter Gefängnismauern haben.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 16.04.2020 um 07:00 Uhr publiziert.