Ziel ist "Kommune inklusiv": Gießener Behindertenwegweiser vorgestellt

Präsentieren den neuen Behindertenwegweiser (v.l.): Andreas Deitmer (THM), Kornelia Steller-Nass, Jürgen Becker, Dietlind Grabe-Bolz und Ines Müller. Foto: Schäfer
GIESSEN - "Ein aktives und selbstbestimmtes Leben sollen in Gießen auch Menschen mit Behinderungen führen können. Dahinter steht das Grundrecht auf Teilhabe in der Zivilgesellschaft. Und dies wollen wir in der Stadt weiter intensivieren", betonte Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz am Montagnachmittag bei der Pressevorstellung der fünften und wiederum aktualisierten Auflage des Behindertenwegweisers, genannt i-Börse - Informatives für Menschen mit Behinderungen. Es solle als ein kleiner Leitfaden für Menschen mit Behinderungen und deren Umfeld dienen und ihnen weiterführende Informationen zum Thema sowie einen Überblick über Unterstützungsangebote und wichtige Ansprechpartner geben.
Barrieren nicht nur auf den Wegen durch die Stadt, sondern auch in den Köpfen sollen mit der i-Börse abgebaut werden, "damit Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben, arbeiten und Freizeitangebote wahrnehmen können", so Grabe-Bolz. Unterstützt werde die Stadt dabei vom Gießener Arbeitskreis für Behinderte sowie dem Beirat für Belange von Menschen mit Behinderungen. Bei allen, die sich diesbezüglich in der Stadt engagieren und sich in unterschiedlicher Art und Weise dieser Aufgabe widmen, bedankte sich die Rathauschefin. Dies gelte auch für die Firmen und Institutionen, durch deren Unterstützung die i-Börse wieder erstellt und kostenlos verteilt werden könne. Dabei nannte sie insbesondere den Broschüre-Verlag mit Sitz in Berlin, der die 40 Seiten konzipiert und gedruckt hatte.
Doch nicht alle Barrieren und Hindernisse werde die i-Börse beseitigen können, fügte Behindertenbeauftragter Jürgen Becker hinzu. "Die berechtigte Forderung nach Gleichstellung und nach Abbau von Barrieren stößt im Alltag immer noch vielfach an ihre Grenzen." Als Beispiel nannte er die Blindenleitwege beim Stadtfest, die durch die LKW-Zufahrtsbreiten und Budengrößen teilweise nicht benutzbar seien. Dagegen werde bei den Querungen der Versorgungsleitungen durch flacher konzipierte Abdeckungen das Fahren für Rollstuhlfahrer künftig erleichtert.
Die Konfrontation mit einer Behinderung löse in einer Familie, bei Angehörigen und beim Betroffenen selbst oft Ratlosigkeit, Unsicherheit und Ängste aus, so Becker weiter. Viele fühlten sich zunächst häufig "verdammt einsam". Denn "wenn das Schicksal zuschlägt, bricht eine Welt zusammen". Mit dem Behindertenführer bekämen alle Betroffenen viele hilfreiche Tipps und Hinweise auf Hilfsangebote. In der Stadt sei Inklusion nicht nur ein Schlagwort, sondern werde auch gelebt. Becker: "Der umfangreiche Wegweiser macht sehr anschaulich deutlich, wie viele Organisationen und Initiativen sich der Hilfe der Menschen angenommen haben. Sie zeigen tagtäglich mit ihrem Engagement, dass Integration gelebt werden kann und dass niemand ausschließlich behindert oder nicht behindert ist, wie auch niemand nur krank oder völlig gesund ist."
Ehrenamtliche Helfer
5000 Exemplare des Leitfadens liegen an vielen Stellen in der Stadt aus. Zahlreiche Helfer waren erneut bei der Verteilung ehrenamtlich beteiligt, darunter auch der Verein Ehrenamt. Dass die gedruckte Version noch immer eminent wichtig ist, zeigt die Aussage von Ines Müller als Amtsleiterin des Amtes für soziale Angelegenheiten, das organisatorisch mit dem Behindertenbeauftragten zusammenarbeitet und gleichzeitig Geschäftsstelle des Beirates für Belange von Menschen mit Behinderungen ist. "Zwei Drittel wollen die Broschüre und nur ein Drittel die Webadresse", berichtete Müller. "Dort ist sie unter www.giessen.de viel komplizierter zu finden."
Zu den Erfahrensten in der Behindertenarbeit zählt Kornelia Steller-Nass. 27 Jahre leitet sie inzwischen den städtischen Arbeitskreis für Behinderte. "Die UN-Konvention, das weltweit gültige Abkommen über die Menschen mit Behinderung, schafft die gesetzliche Grundlage für die Inklusion", erläuterte sie. "Inklusion geht uns alle an." Dies sowie die gleichberechtigte Teilhabe in den Kommunen seien deshalb ein herausragendes gesellschaftliches Ziel. Der Begriff der Barrierefreiheit erfasse sowohl bauliche Maßnahmen als auch die Teilhabe an Bildung, Arbeit, Kultur und Freizeit. Der Abbau von Barrieren komme "uns allen zugute", egal ob mit oder ohne Behinderung, ob jung oder alt. So sollte es aus ihrer Sicht zur Selbstverständlichkeit werden, dass Unternehmen, Geschäfte, Arztpraxen, Schulen, Sporteinrichtungen, Kulturstätten, Kirchen und Museen barrierefrei werden. Alle seien gefordert, das Ziel "Kommune inklusiv" umzusetzen.