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»Lufttasche« und »Nordische Geher«

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Das Verb »boostern« wurde 2021 zum Anglizismus des Jahres gekürt. Symbolfoto: Federico Gambarini/dpa © Red

Beim Erlebnis-Café »Wissensdurst« wurde kontrovers diskutiert, aber erst, nachdem Sabine Rühl-Felderhoff ihren Vortrag zu Anglizismen beendet hatte und der Meinungsaustausch eröffnet war.

Wettenberg (mav). »Anglizismen im Deutschen« - ein Reizthema? Für die meisten Menschen im deutschsprachigen Raum wohl eher nicht. Beim Erlebnis-Café »Wissensdurst« wurde durchaus kontrovers diskutiert, aber erst, nachdem Sabine Rühl-Felderhoff ihren interessanten Vortrag zu diesem Thema beendet hatte und der Meinungsaustausch eröffnet war. Die Dozentin ist Kursleiterin für Englischkurse der Kreisvolkshochschule Gießen und brachte das Thema auf Einladung der Sozialstation Wettenberg im Haus der Begegnung den leider nur wenigen Besuchern verständlich näher.

Die Leiterin der Sozialstation, Nadine Ahmad, hieß die Gäste willkommen, die aufmerksam und angeregt bei Café und Kuchen Sabine Rühl-Felderhoff zuhörten. Wie kam es zu Anglizismen - warum immer Englisch? Gemeinsam näherte man sich den Fragen und beleuchtete, in welchen Bereichen diese Anglizismen besonders oft vorkommen, lernte ihre Bedeutung kennen und ihre korrekte Aussprache.

In allen Medien, in vielen Themenfeldern wie Sport, Musik, in der Kosmetikbranche und in der Modeindustrie, eben im Alltag, begegnen einem »sprachliche Ausdrücke, die aus dem Englischen stammen und in die deutsche Sprache übernommen wurden«, so die Definition von Anglizismen. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil englischer Ausdrücke im Deutschen stark angestiegen. Man liest und hört Englisch und verwendet selbst englische Wörter ohne darüber nachzudenken, welchen Ursprung diese haben. Coach, Team, Bodymilk, Aftershave, Soundcheck, Backstage seien Beispiele, für die es teilweise schwer fallen würde, deutsche Begriffe zu finden, ohne lange rätseln zu müssen, was gemeint sei.

Die Dozentin erklärte den Status Quo, ohne eine Bewertung dieser Entwicklung vorzunehmen. Zu ihrem Vortrag spielte sie das Lied »Denglisch« der Gruppe »Wise Guys« ab, in dem es heißt: »Oh Herr, bitte gib mir meine Sprache zurück«. Da sangen die Akteure durchaus einem Herrn aus der Seele, der auch Gast im Café »Wissensdurst« war.

Kritik aus dem Publikum

»Die Sprache ist ein hohes Kulturgut und das wird zunehmend mit Füßen getreten«, so seine Kritik. Anglizismen sind für ihn nur eine »Modeerscheinung«, mit denen insbesondere Politiker oftmals ihre eigene Dummheit kaschieren, indem sie mit englischen Begriffen glauben machen wollen, welche Intelligenz in ihnen stecke. Trefflich könne man darüber streiten, ob ein »Service Point« nicht weiterhin »Auskunft« hätte heißen oder ein »Ticket« hätte einfach ein »Fahrschein« bleiben können, gab die Referentin zu.

Den Begriff »Lufttasche« würde aber niemand ohne Erläuterungen sofort verstehen - der »Airbag« bedarf keiner Erklärung. Der Begriff »nordischer Geher« sei wohl noch niemanden untergekommen, »Nordic Walking« hingegen kenne jeder. Dennoch sind da andere Wörter, die direkt aus dem Englischen übernommen wurden, wie etwa Tablet, Smartphone oder Scanner. Jeder weiß, was sie bedeuten und es gebe keine direkte Übersetzung ins Deutsche für diese Begriffe. Andere Wörter seien ebenfalls übernommen, aber durch ihre Endungen an die deutsche Sprache angepasst worden. Beispiele: walk(en), surf(en), download(en), oder Internet(fähig). Eine andere Wortgruppe meint in der Tat übersetzt etwas ganz anderes als das, was man mit ihnen gewöhnlich verbindet, wie etwa der »Oldtimer«, was übersetzt »Senior« bedeute, aber vom Selbstverständnis her ein historisches Fahrzeug beschreibe. Dies müsse aber dann »Veterancar« heißen. Ein »Beamer« meint im englischen die Automarke BMW und »Handy« heißt wörtlich übersetzt »nützlich«, müsste aber richtigerweise Mobiltelefon heißen.

Ursprung liegt in Historie Englands

Laut Rühl-Felderhoff begründe sich vieles aus der Historie Englands als Kolonialmacht. Kultur und Sprache des Empire waren weltweit in allen Kolonien verbreitet. 1922 hatte das Vereinigte Königreich ein Viertel der gesamten Landfläche in seinem Herrschafts- und Einflussbereich. Englisch wurde zur Weltsprache. In 67 Ländern ist es die Amtssprache, in 27 Ländern die Geschäftssprache. Für 375 Millionen Menschen ist Englisch ihre Muttersprache und für 600 Millionen die Zweitsprache. Unterm Strich nehmen die Anglizismen im Deutschen offenbar aber nur wenig Raum ein. Nach dem letzten Duden sind es 3,5 Prozent und 20 Prozent andere Fremdwörter von den rund 500 000 Wörtern umfassenden deutschen Sprachschatz.

Die Zahlen seien aber immer wieder stark variabel, sagte die Referentin und verwies auch auf den Anglizismen-Index. Eine Bedrohung für das Kulturgut Muttersprache sei eher unwahrscheinlich.

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Sabine Rühl-Felderhoff Foto: Mattern © Mattern

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