Kennen Sie Ska Keller? Sagt Ihnen der Name Udo Bullmann etwas? Wenn nicht, sind Sie nicht allein – im Gegenteil. Eine in dieser Woche veröffentlichte Umfrage zeigt, dass die Deutschen die Spitzenleute der Parteien für die Europawahl kaum kennen. Keller und Bullmann sind Spitzenkandidaten von Grünen und SPD – selbst bei vorgegebenen Namen liegt ihre Bekanntheit unter zehn Prozent. Und gerade jeder Vierte gibt an, Manfred Weber zu kennen, die Nummer 1 der CDU/CSU und zudem Spitzenmann der Europäischen Volkspartei, des Zusammenschlusses der christdemokratischen Parteien in der EU.
Die Umfrage zeigt wieder einmal: Eine europäische Öffentlichkeit gibt es vor Europawahlen nicht wirklich. Schlimmer: Sobald die Wahlurnen schließen, wird nicht in erster Linie die Frage gestellt, was das Ergebnis für Europa bedeutet, wie in Brüssel und Straßburg die Weichen in Sach- und Personalfragen gestellt werden. Jede Wette: Es wird munter darüber spekuliert werden, was die Wahl für Angela Merkel bedeutet, ob die große Koalition weiterwerkelt oder platzt, ob Annegret Kramp-Karrenbauer nun schneller, später oder eher nicht Kanzlerin wird, ob Andrea Nahles als SPD-Vorsitzende gestärkt oder geschwächt ist. Ob der Höhenflug der Grünen zu Ende ist oder sie in Robert Habeck erstmals einen Kanzlerkandidaten nominieren sollten.
Apropos Grüne: „Europa – die beste Idee, die Europa je hatte“ – so werben sie derzeit auf Plakaten. Und das ist zweifelsohne richtig – aber wie begeisterungsfähig die Europäer für Europa sind, steht auf einem anderen Blatt. Knapp 43 Prozent der wahlberechtigten EU-Bürger haben 2014 ihre Stimme abgegeben, in der Slowakei sogar nur 13 Prozent. Bei damals über 500 Millionen Wahlberechtigten heißt das im Klartext: Rund 285 Millionen Unionsbürger haben die Chance, Einfluss auf die Politik auszuüben, vertan. Haben sie keinen Bezug zur EU? Ist Europa für sie zu weit weg? Die EU wird, übrigens völlig zurecht, als Friedensgarant in einem Kontinent gepriesen, auf dem über Jahrhunderte Krieg geführt wurde. Doch für die meisten Deutschen, die Krieg nur aus dem Fernsehen, dem Internet und aus fernen Ländern kennen, ist das längst völlig selbstverständlich. Und wer das unkomplizierte Reisen als Vorteil der EU anpreist, muss wissen: Die junge Generation kennt Reisen doch gar nicht mehr anders. Ob SPD und Union also klug beraten sind, „FRIEDEN“ beziehungsweise „Frieden ist nicht selbstverständlich“ zu plakatieren, da bin ich unsicher. Denn es braucht konkrete Themen, mit denen Jung wie Alt die EU in Verbindung bringen. Ich denke an die Roaming-Regulierung, die dazu führt, dass man als Urlauber das Handy oder Ipad von Porto bis Athen endlich ohne Gebühren nutzen kann. Und ob ich einen Flug von Madrid nach Frankfurt mit Iberia oder der Lufthansa bestreite – meine Fluggastrechte sind dank der EU einheitlich geregelt. Das sind aktuelle Pluspunkte, die für die Leute greifbar sind.
Nur mit europaweiten medialen Formaten ließe sich die Grundlage für eine einheitliche Informationsbasis schaffen. Doch auch in Deutschland lesen nur wenige europäische Zeitungen und Magazine. Ob die Wochenzeitung Politico Europe oder New Europe – überlegt man, welche Auflagen bei 513 Millionen EU-Bürgern möglich wären, sind die Zahlen in der Realität leider ausgesprochen bescheiden. Es braucht aber mediale Ereignisse, die über Landesgrenzen hinweg Debatten auslösen.
Immerhin: In diesem Jahr werden ARD und ZDF ein TV-Duell zwischen den europäischen Spitzenkandidaten von Christ- und Sozialdemokraten ausstrahlen – leider ohne Vertreter der anderen Parteienfamilien. Dabei würde gerade die Präsentation unterschiedlicher Parteien und Positionen eine lebhafte Debatte ermöglichen – und vielleicht auch die Anti-Europa-Parteien von rechts und links entzaubern, die bei diesen Wahlen zu einer ernsthaften Bedrohung werden könnten. Schade, eine verpasste Chance!