Einmal selbst Kapitän sein: Das Wasserreich im Norden Brandenburgs gilt als Traumrevier für Touren mit dem Schiff - ein Selbstversuch eines Einsteigers.
Von Ekkehart Eichler
Schloss Rheinsberg am Grienericksee ist Startpunkt der Hausboottour.
(Foto: Ekkehart Eichler)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
Seen, Seen und nochmals Seen – schon beim Blick auf die Karte wird einem blau vor Augen. Ein Gemälde voller Tupfer und Muster, die von der letzten Eiszeit hingekleckst wurden. Ein Schmuckkästlein reinster Perlen, die in endlosen Wäldern vor sich hin schimmern. Ein Flickenteppich aus hunderten Badewannen, der jedwede Sehnsucht nach Seen problemlos stillt – allein im Ruppiner Land an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Hier wollen auch wir Landeier unsere Bahn ziehen und einmal im Leben als kühne Freizeitkapitäne auf große Fahrt gehen. Mit einem Hausboot von Rheinsberg nach Lindow schippern; dabei in acht Tagen einen fast kompletten Kreis ziehen. Denn dieser Törn führt auch zu manch kulturellem Schatz in der Region.
Rheinsberg zum Beispiel: Bevor es an Bord geht, steht das Schloss auf dem Plan. In dem Barockjuwel am Grienericksee genoss Friedrich II. als Kronprinz die glücklichsten Jahre seines Lebens. Später schwärmte Theodor Fontane von der herrlichen Lage, und auch Kurt Tucholsky war hin und weg – nachzulesen in „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“. Und: Die Stadt ist seit gut 250 Jahren auch eine Hochburg für hochwertige Keramik – das Museum etwa präsentiert Raritäten aus drei Jahrhunderten.
Schloss Rheinsberg am Grienericksee ist Startpunkt der Hausboottour. Foto: Ekkehart Eichler
Das Hausboot Moni ist zehn Meter lang und einfach in der Handhabung. Damit können auch Anfänger auf Tour gehen. Foto: Ekkehart Eichler
Die Wassermühle Tornow ist ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen. Im Restaurant stehen frische Produkte aus der Region auf der Speisekarte. Foto: Ekkehart Eichler
Foto:
4
Dann wird es ernst. Am Jachthafen lehrt Charterboot-Chef Stefan Halbeck in Theorie und Praxis, wie man ein Hausboot manövriert. Wir üben An- und Ablegen, Drehen und Wenden, Ankern und Schleusen. Wir parken ein und wieder aus, auch in enge Lücken und mit Strömung und Wellen. Wir simulieren Maschinenausfall, Grundberührung und Mann über Bord. Alles in allem drei Stunden Einweisung, dann gibt es den Charterschein. Damit bin ich nun stolzer Skipper auf Zeit; meine Frau wird als Leichtmatrose und Smutje ihr Bestes geben.
Die Jacht ist ein knapp zehn Meter langes Schmuckstück mit allem Pipapo. Sie heißt Moni und ist einfach in der Handhabung, wie sich bald zeigt. Am nächsten Morgen stechen wir in See. Das Gepäck ist verstaut, der Proviant gebunkert, die Räder an der Reling vertäut. Problemlos legen wir ab und drehen eine Abschiedsfotorunde vor Schloss und Seerosenfeldern dann tuckern wir los. Erst Kurs Nord übern Rheinsberger See, dann mit Westknick zum Mittagsmahl beim Fischer in Flecken Zechlin – über den Großen Zechliner See, der türkis leuchtet wie eine Tropenlagune.
INFORMATIONEN
Anreise: Rheinsberg liegt etwa 100 Kilometer nordwestlich von Berlin und ist von der A 24 (Abfahrten Neuruppin oder Neuruppin-Süd) in 20 Minuten zu erreichen
Übernachtung: Zum Beispiel das Precise Hotel in der Marina Wolfsbruch, DZ ab 72, Fewo ab 88 Euro; Frühstück 15 Euro, www.marina-wolfsbruch.de
Boot und Miete: Die Jacht Agder 950 ist ausgelegt für 2 bis 4 Personen und geeignet für Paare oder Kleinfamilien. Das Schiff verfügt über Schlafplätze, Wasch- und Küchenbereich, Toilette und Heizung. Mietpreis: Zwischen 880 Euro pro Woche (früheste und späteste Nebensaison) und 1310 Euro in Juli und August. Übergabetage Montag und Freitag, www.busse-schiffe.de
Charterschein: Die Charterbescheinigung ermöglicht Touristen, auf bestimmten Binnengewässern ein gechartertes Boot auch ohne Führerschein zu führen. Sie gilt nur für Boote mit weniger als 15 Metern Länge, nur für das angegebene Binnengewässer und nur für die jeweilige Charterzeit. Ausgestellt wird sie vom Vermieter nach mindestens dreistündiger Einweisung in die Bootsführung.
Deutschlands Seenland: Seit April 2018 vermarkten Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unter dem Namen Deutschlands Seenland gemeinsam das größte vernetzte Wassersportrevier Europas. Das Portal stellt u.a. umfangreiche Tourenempfehlungen für Haus- und Motorboot-Fahrer sowie die schönsten Paddelreviere vor, www.deutschlands-seenland.de.
Das liegt auch am Wetter. Die Mittagssonne steht steil über dem Wasser und lässt es strahlen. Der Wind streichelt Haare und Gesicht. Die Handys sind aus, die Sinne eingeschaltet und scharf. Sie riechen Wald, Wasser, Wiesen und Weiden. Sehen Fischadler kreisen, hören Eichelhäher schimpfen. In fast meditativer Stille gleiten wir durch friedliche und intakte Natur, bis die erste Schleuse den Adrenalinpegel hochpumpt. Doch alles läuft wie am Schnürchen. Als wir in Priepert für die Nacht ankern, sind wir rundherum zufrieden und lassen uns von gluckernden Wellen in den Schlaf wiegen.
Tag drei: Zwei Kurven rechts, zwei Kurven links, und schon kommt Fürstenberg / Havel in Sicht. Unterwegs könnte man anlegen in Steinförde und zu Fontanes sagenhaftem Stechlinsee wandern. Doch wie faule Katzen sonnen wir uns lieber an Deck und wollen außerdem Deutschlands einzige Wasserstadt durchstreifen. Eingerahmt von drei Badeseen, warten Stadt- und Havelpark, Barockschloss und die Stadtkirche mit dem größten hängenden Batikteppich Europas.
Nur einen Katzensprung weiter wird es göttlich. Am Stolpsee liegt das idyllische Himmelpfort mit dem berühmten Weihnachtspostamt. Jedes Jahr zur Adventszeit landen hier abertausende Briefe und Wunschzettel von Kindern aus aller Welt, die samt und sonders beantwortet werden vom Weihnachtsmann und seinen Engeln. Etwas für Romantiker ist wiederum die Ruine des Zisterzienserklosters, dem der Ort seinen Namen verdankt – Gründerbruder Otto soll dereinst die Schönheit der Landschaft mit der „Pforte zum Himmel“ verglichen haben.
Tag vier bis sieben. Es geht nach Süden. Die Havel mäandert anfangs gewaltig, das macht Spaß. Der Ziegenfrischkäse im Capriolenhof an der Schleuse Regow ist ein Gedicht, so wie wenig später auch Havelzander und Wiesenrind-Burger in der Wassermühle Tornow. Im Seen-Labyrinth vor Zehdenick machen wir am Ziegeleipark Mildenbergfest fest – zum Staunen und Schlafen. Das Industriedenkmal punktet mit allerlei Attraktionen; hier kann man zum Beispiel Ziegel selbst formen und mit alten Dampflokbahnen übers Gelände und durch die Tonstichlandschaft schnaufen.
Weiter südlich in Liebenwalde stecken wir kurz hinter Gittern – das Heimatmuseum sitzt ein im alten Knast. In Oranienburg liegt der Jachthafen direkt am Schloss – bequemer geht’s nicht, um den prächtigen Barockbau samt Schlosspark in Augenschein zu nehmen. Aber auch die düsterste Seite der Stadt ist Pflicht – der Besuch im Konzentrationslager Sachsenhausen. Zwei pure Naturgenuss-Tage später – in Neuruppin am längsten See Brandenburgs – wird der Landgang zum Lang-Gang, weil es so viel zu entdecken und Gutes zu essen gibt. Apropos: auch der perfekte Kaffee-Platz liegt direkt am Wasser – das River Café Molchow hinter der Schleuse Alt Ruppin.
Finale in Lindow (Mark). Noch ein Tag voll mit Stopps in romantischen Buchten und auf der Insel Werder mitten im Gudelacksee. Und am Wutzsee, in dem die Granitfigur der Nonne Amalie vor den Überresten des Klosters wacht. Eine Ruine, die es durch Theodor Fontane ebenfalls zu literarischem Ruhm brachte – er widmete ihr fünf Seiten der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und siedelte sie als Kloster Wutz auch im „Stechlin“ an.
Und dann ist endgültig Feierabend. Für Moni, die treue Gefährtin auf dem Törn durchs blaue Paradies. Und für uns, die wir so glücklich wie stolz in die sinkende Sonne schauen. Knapp 200 Kilometer haben wir unfallfrei überstanden – über Seen und Kanäle, auf Havel und Rhin und durch 17 Schleusen. Wir sind um verwunschene Seen herum spaziert und durch verträumte Dörfer geradelt. Wir haben gebadet, wo wir Lust dazu hatten und in Uferlokalen gegessen, was frischer nicht hätte sein können. Und eines ist dabei von Tag zu Tag klarer geworden: Unsere Sehnsucht nach Seen lebt weiter. Jetzt erst recht.