Abpfiff aus dem Kölschen Keller

Garbenteich . Wer im Fußball zuhause ist, dem ist der Kölner Keller ein Begriff, der sogar zum geflügelten Wort geworden ist. Zumeist aber zum Unwort, denn aus dem Keller heraus, der ja eigentlich gar kein richtiger Keller ist, wird über das Wohl und Wehe von Spiele(r)n, Vereinen und über manch strittige Situation entschieden. Situationen, die danach oft nicht weniger umstritten sind.
Dass der Kölner Keller gar nicht in Köln, sondern womöglich in Pohlheim-Garbenteich ist, das wiederum wissen nur die wenigsten. Und dort ist auch der Fußball zuhause. Ganz unstrittig.
Steffen Becker sitzt an diesem Tag mit seinem Sohn Adrian und Vater Ernst-Ludwig, den der Pohlheimer als »Elu« Becker kennt, im Kölner Keller seines Hauses. Es ist eine illustre Gesellschaft, die sich da eingefunden hat. Der Geißbock ist da, in Pflaster gemauert, aber auch als Foto und Kunstfigur. Von den Wänden blicken Wolfgang Overath, Heinz Flohe, Hennes Weisweiler oder auch Peter Stöger, neben Steffen Becker in die Kamera lächelnd, im Karnevalsoutfit den Besucher an.
Wer den 54-Jährigen jetzt noch für einen Gladbach-Fan hält, der ist im Fußball wahrlich nicht zuhause. Auch wenn im Garbenteicher Keller nicht unbedingt über »Hand-oder-nicht-Hand« entschieden wird, so hat das, was Steffen Becker in Sachen Fußball erzählt, doch Hand und Fuß. Und deshalb sitzt man an diesem Tag zusammen, denn Becker wird nach »exakt 20 Jahren als Trainer plus zuvor sechs Jahren als Jugendtrainer sowie 15 Jahren als Stützpunkttrainer für Mädchen« seine Laufbahn am Rande der Bande beenden.
Weil der Sohn ebenfalls leidenschaftlicher Fußballtrainer ist, und auch der mittlerweile 79-jährige Vater schon dem Fußball als Betreuer, Co-Trainer, Kicker oder auch Gründer der Alten Herren beim SVG seit jeher verbunden ist, passt diese Drei-Generationen-Geschichte wunderbar als Beispiel dafür, was Sport, Ehrenamt, das Trainerdasein so bewegen kann. Ein Spiel mag 90 Minuten dauern, aber ein Spiel dauert auch meist noch eine dritte Halbzeit länger - und all das ist oft die Grundlage für lebenslange Freundschaften, sozialen Austausch und Integration auf unterschiedlichsten Ebenen. So ist Fußball. Könnte man sagen. Zwar manchmal stressig und zu viel des Guten, aber eben auch eine wunderbare Leidenschaft, die viele Menschen über Erfolge und Misserfolge zusammenführt, die den »Kick als Kitt« in Familien trägt.
Auch Steffen Becker begann schon früh, mit sechs Jahren, beim SV Garbenteich, durchlief die Jugendmannschaften, fuhr mit Vater »Elu« sogar zu Altherren-Spielen mit, ehe in jungen Jahren ein Kreuzbandriss die Ambitionen ins Wanken brachte.
Was über die Station FC Grüningen, wo Becker dann doch noch einmal aktiv wurde, den Eintritt ins Trainer-Dasein bescherte. Frei nach dem Motto, wenn der Vater mit dem Sohne etwas vorlebt, lebt es der nächste Vater mit dem nächsten Sohne im besten Falle nach, stieg Steffen Becker als Jugendtrainer ein, als Adrian die ersten Fußballschuhe schnürte. Und hatte damit seine Leidenschaft entdeckt. »Mein Vater war sicher das größere fußballerische Talent«, gibt Steffen Becker unumwunden mit Blick auf »Elu«, im Fritz-Walter-Shirt, zu, »aber die Leidenschaft für das Spiel und das Vereinsleben war mir quasi in die Wiege gelegt.« Aufgrund der Verletzung und seines Engagements im Jugendbereich, verlagerte Steffen Becker deshalb früh sein fußballerisches Dasein vom Rasen schwerpunktmäßig auf die Trainerbank. Türöffner in den Seniorenbereich war schließlich die Frage des FC Grüningen, ob er nicht dort als Coach einsteigen wolle. Und da Becker, seit 38 Jahren bereits Angestellter der Stadt Pohlheim, wenn er was macht, es »auch richtig machen will«, legte er sich nicht nur beim FCG ins Zeug, sondern absolvierte die C-Lizenz, B-Lizenz und A-Lizenz-Lehrgänge mit Erfolg.
Die Einstellung »wenn, dann richtig« hat auch Sohn Adrian geerbt, der als Trainer u.a. bereits in der Jugend von Kickers Offenbach tätig war und ebenfalls, »weil es mir Spaß macht und ich gesehen habe, dass ich das ganz gut kann«, mit seinen 31 Jahren bereits A-Lizenzinhaber ist.
»Für mich war es schon ein Ansporn, gerade aus unteren Ligen kommend, die Schulungen und Lizenzen zu machen. Die richtig guten Fußballer aus höheren KLassen rutschen da oft so rein, aber ich wollte für mich beweisen, dass es auch so rum geht. Das was man immer mitnimmt, sind zudem viele Kontakte und Freundschaften«, sagt Steffen Becker, der neben Grüningen auch Langd/Ulfa, den Traiser FC, den TSV Hungen, seinen Heimatverein Garbenteich, die FSG Bessingen, FSG Lollar oder den FC Großen-Buseck trainierte, mit dem es als Kreisoberliga-Meister in die Gruppenliga rauf und ins Kreispokalfinale ging. Als Co war Becker unter Oliver Dönges bei Teutonia Watzenborn-Steinberg in der Verbandsliga tätig und ist - als Mensch, der das Ehrenamt lebt - selbstredend in der Sportgemeinschaft der Fußballtrainer im Vorstand aktiv.
»Der größte Erfolg war der Aufstieg mit Großen-Buseck, das Datum kann ich auswendig, das war der 9. Juni 2010«, sagt Becker und zeigt auf das Mannschaftsfoto, das im Kölschen Keller sehr prominent platziert ist. Danach ging’s nach Malle - und auch das gehört zur Sozialisation: »Die Abschlussfahrten sind natürlich immer ein Highlight gewesen, da denkt man oft und gerne zurück, unerreicht unsere Fahrt nach Rio de Janeiro 1989.« Wer wie Becker viel in den Fußball investiert, und das ist im weitgehend ehrenamtlichen bis mit kleiner Münze bezahlten Kreis- bis Bezirksligageschäft oft so, der bekommt auch viel zurück.
Deshalb war für Steffen Becker auch das Stützpunkttraining für Mädchen, das er 15 Jahre lang oben draufpackte, »eine weitere ganz wichtige Erfahrung, das hat ungeheuer Spaß gemacht, weil die Kids im Mädchenbereich ungeheuer neugierig und lernwillig sind, da sieht man schnell Fortschritte.«
Was für den Fan des 1. FC Köln, der mehr den Typ rheinische Frohnatur als knorriger Mittelhesse verkörpert, aber auch bedeutete, seit nunmehr 20 Jahren Woche für Woche drei, vier Abende auf Sportplätzen zu verbringen. Und da ist der Sonntag noch nicht mitgerechnet. »Da kommt all das hinzu, was die Arbeit erst abrundet«, erläutert Becker das Trainergeschäft, »Kontakte zu Spielern halten, Gespräche mit dem Spielausschuss führen, einen Vorbereitungsplan erstellen.« Zudem sei man »heute noch mehr als früher als eine Art Psychologe gefragt, da sind ganz andere Befindlichkeiten bei den Spielern vorhanden.«
Der Fußball, so sieht es auch Adrian Becker aus der nächsten Generation, »ist für die meisten heute eine Beschäftigung von vielen.« Was auch zu Verwerfungen führen kann, denn weder Vereinsbindung noch das Verantwortungsgefühl für das Team sind so ausgeprägt wie ehedem, als Steffen Becker mit dem Kicken begann. »Da gab es auf dem Ort Fußball, Handball, Leichtathletik und vielleicht noch Chor, das war’s. Und man fuhr so in Urlaub, dass die Mannschaft nicht drunter gelitten hat.«
Steffen Becker ist kein Freund des »früher war alles besser«, eher ein Anhänger des »es ist halt immer ein bisschen anders.« Was nicht bedeutet, das man alles goutiert und mitmachen muss. Und dass er nun »definitiv als Trainer aufhört, es gibt keinen Rücktritt vom Rücktritt« hat zwar ein wenig, aber tatsächlich nur am Rande mit diesen Entwicklungen zu tun. Beckers Glas ist immer halbvoll, so ist das bei den Kölschen. »Ich habe während der Corona-Pause noch einmal gemerkt, dass eben auch viel auf der Strecke bleibt und ich mal einen Gang runterschalten muss, nach 20 Jahren passt das einfach.«
Zeit für Radtouren, Nordic Walking, Reisen, mal was ganz anderes ausprobieren, bei seinen Ex-Vereinen (»mir war immer wichtig, da ein gutes Verhältnis zu bewahren«) hinter der Bande zu stehen, »ohne auf der Bank zu sitzen und zu zittern«, das schwebt ihm vor.
Und natürlich auch, um mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Susi, die seine Fußball-Passion teilt, noch häufiger zum FC ins Stadion fahren zu können. »Es geht darum, ein wenig freier zu sein. Und auch, wenn wir hier viel über Fußball reden und es immer wichtig für mich war und bleiben wird, gibt’s doch viele andere Dinge, die ich mal angehen und machen will.«
Vermutlich werden die Beckers - Elu, Steffen und Adrian - auch mal am Betzenberg landen, denn »ich bin ein wenig aus der Reihe geschlagen«, sagt Steffen Becker lachend. Sein Vater und sein Sohn jedenfalls sind auch FCK-Fans, aber nicht FC Köln, sondern FC Kaiserslautern. »Aber, die Lauterer finde ich auch ganz gut.«
Steffen Becker wird heute auf dem Sportgelände in Garbenteich noch einen schönen Abschluss feiern. Nach 20 Jahren. Das war ihm wichtig. Eine Mannschaft von Ex-Spielern aus diversen Vereinen trifft auf eine Garbenteicher Auswahl, er hat viele Weggefährten eingeladen. Und danach »stehe ich dann auf den Plätzen hinter der Bande und freue mich auf das Geschwätz mit den Zuschauern.« Und im Kölschen Keller im eigenen Haus sitzt er sicher auch ganz oft.
