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Aus allen Träumen gerissen

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Von: Rolf Birkhölzer

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Der Blick bleibt auf die Hessenliga beschränkt: Mica Hendrich (re.) und der FSV Fernwald dürfen nicht aufsteigen. Foto: Schepp © Schepp

Fernwald. Als aktueller Tabellen-Dritter in der Fußball-Hessenliga schnuppert der FSV Fernwald an der Regionalliga. Tabellenplatz eins bedeutet den direkten Aufstieg, und der dürfte schon dem derzeit klar führenden Spitzenreiter Eintracht Frankfurt II so gut wie sicher sein. Und Rang zwei in der Tabelle berechtigt, an den Relegationsspielen teilzunehmen, um den zweiten Aufsteiger zu ermitteln.

Und hier liegt der FSV auch nach dem 3:1-Sieg am Wochenende in Neuhof noch gut im Rennen und in Konkurrenz mit dem punktgleichen FC Gießen, der allerdings mit zwei Spielen im Rückstand ist. Allerdings ist der Traum von der vierthöchsten Liga Deutschlands für die Fernwalder schon ausgeträumt, nachdem die FSV-Verantwortlichen die Unterlagen, die schon zum Versenden bereit lagen, für die Zulassung zur Regionalliga Südwest letztlich nicht eingereicht haben.

»Ganz, ganz schweren Herzens«, wie die Fernwalder Verantwortlichen um Günter Hühn, Lutz Becker (beide Sportvorstand) und Stefan Bechthold (Verwaltungs-Vorstand) betonen. Obwohl die Verantwortlichen sehr viel Zeit und Energie in die Bearbeitung der ca. 60-seitigen Unterlagen investiert hatten, war nach dem Besuch der Zulassungskommission des Süddeutschen Fußball-Verbandes auf der FSV-Anlage in der letzten Woche klar, dass ein Einreichen ohne Erfolg geblieben wäre und nur erhebliche Verwaltungskosten entstanden wären.

»Es war ein gutes Gespräch, aber die Anforderungen im Zusammenhang mit einer Flutlicht-Anlage für Abendspiele auf dem Rasenplatz und der Forderung nach einem Ausweichstadion in der Region als Alternative, das nicht vorhanden ist, waren nicht erfüllbar. Denn in den Stadien in Wetzlar und Gießen wären nicht unerhebliche Arbeiten notwendig gewesen. Außerdem wollen wir unsere Spielstätte nicht verlassen«, betont Bechthold, und Lutz Becker ergänzt: »Wir haben die Sicherheits-Anforderungen auf unserem Rasenplatz in Verbindung mit dem Flutlicht besprochen, denn es sind ein abgetrennter Block für Gäste-Fans, bei einigen Klubs mit berüchtigten Hooligans, eine Spielstätte mit einer Kapazität von 2500 Zuschauern, mit einer überdachten Tribüne, Toiletten und Gastronomie gefordert.« Und das konnte der FSV nicht aufweisen.

»Solche Auflagen hatten wir nicht erwartet. Wir waren sicher, dass wir die Bedingungen erfüllen können. Das wäre eine Herausforderung geworden«, ist Bechthold ebenso »sehr enttäuscht« wie Vorstandskollege Becker, der die Forderungen der Regionalliga-Kommision für »überzogen« hält.

Aber eine Meldung aus der Regionalliga West hatte die Fernwalder schon aufhorchen lassen. Dort hatte der 1. FC Kaan-Marienborn aus einem Stadtteil von Siegen letzte Woche zum Ende der Saison den Rückzug seiner 1. Mannschaft angekündigt. Grund waren die vom Westdeutschen Fußball-Verband verschärften Lizenzauflagen, die den Westfalen nach Aussage der Vereinsverantwortlichen die Grundlage genommen haben, weiterhin in ihrem Stadion spielen zu können.

»Warum eine Tribünenüberdachung wichtiger ist als ansehnlicher Fußball, das müssen andere erklären. Die Herkules-Arena in Kaan-Marienborn ist unsere fußballerische Heimat, die konnten wir nicht aufgeben«, argumentiert der 1. Vorsitzende des Vereins ähnlich wie die Fernwalder. Ein Umzug ins Siegener Leimbach-Stadion wäre auch hier wegen der hohen Kosten nicht möglich gewesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung standen die Marienborner auf einem vorderen Platz in der Regionalliga. Zukünftig soll nur noch eine »Hobby-Mannschaft« des 1. FC in der C-Liga spielen.

Soweit gehen die Fernwalder nicht! Die FSV-Verantwortlichen betonen aber: »Wir haben so viel Verantwortungsgefühl, auch wenn es uns schwerfällt, die Entscheidung zum Wohle des Vereins zu treffen.« Das tut den sportlichen Ambitionen der Hessenliga-Truppe aber keinen Abbruch: »In der Regionalliga zu spielen, wäre gerade für die jungen Spieler ein tolles Erlebnis gewesen, aber wir werden auch so alles tun, um mindestens Zweiter zu werden«, verspricht Becker. Aber auch ohne Aufstiegsmöglichkeit hat der FSV bisher schon eine glänzende Saison gespielt, was vorher keiner erwarten konnte.

Und was sagen die unmittelbar Beteiligten auf dem Rasen zu den Plänen des Vereins? »Wenn es sportlich reichen sollte und der Verein die Vorgaben hätte erfüllen können, wäre es für mich als Leiter einer Physiotherapie-Praxis zeitlich schwierig gewesen, Fußball und Job zu erfüllen«, räumt Louis Goncalves ein, und der Abwehr-Routinier weiß, wovon er spricht. In der Saison 2016/17 spielte er bereits im Trikot des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg ein Jahr in der Regionalliga.

»Regionalliga ist ja auch Profitum, und das ist für viele Spieler nicht vereinbar mit ihrem täglichen Leben«, gibt Nicolas Strack zu bedenken.

Ein Spieler, der berufliche Ambitionen und Fußball-Geschehen in der Regionalliga vereinbaren könnte, ist dagegen David Siebert. »Ich hätte die Möglichkeit wahrgenommen, in der Regionalliga zu spielen«, ist Siebert als Student im Fach »Bewegung und Gesundheit« am Sport-Institut in Gießen sicher zeitlich flexibler, um den erhöhten Trainingsaufwand und die längeren Anfahrten zu manchen Auswärtsspielen zu vereinbaren. Siebert und seine Kollegen Pierre Kleinheider, Brian Mukasa, Johannes Hoifmann, Louis Goncalves, Erdinc Solak, Elmir Muhic, Tom Woiwod und David Siebert haben bereits Regionalliga-Erfahrung. Was wäre personell noch nötig gewesen? »Einige Verstärkungen wären noch gekommen. Vom derzeitigen Kader haben 16 Spieler schon für die kommende Saison zugesagt - sowohl für die Hessenliga wie auch für die Regionalliga«, versichert Sport-Vorstand Günter Hühn.

Auch Trainer Daniyel Bulut, der als Sachbearbeiter in der Personal-Abteilung des Landes-Labors in Gießen beschäftigt ist, wäre bei einem Aufstieg an Bord geblieben. »Wir hätten nicht auf Profitum wechseln können, aber mehr Zeit investieren müssen für mehr Training und längere Fahrten zu Auswärtsspielen. Auch Anfahrten zum Gegner einen Tag früher wäre zum Beispiel freitags nach der Arbeit möglich gewesen«, hätte Bulut da »keine Probleme gesehen«. Aber zukünftig in der Hessenliga wieder nach Waldgirmes, Friedberg und Hadamar ist das ja sowieso kein Problem.

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