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Aus »komisch« wird goldiges Glück

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München/Wetzlar. Für Lisa Mayer und Rebekka Haase war es - wie sollte es anders sein - eine kurze Nacht. Am Morgen nach dem rauschenden Triumph am Sonntagabend im »Hexenkessel« Olympiastadion ließen es die beiden Vorzeigeathletinnen vom Sprintteam Wetzlar langsam angehen. Nach dem späten Frühstück im Teamhotel verabschiedeten sich die beiden »Gold-Ladies« auf unterschiedlichem Weg von München und den mit dem deutschen Staffel-Erfolg so grandios zu Ende gegangenen European Championships der Leichtathleten.

Lisa Mayer, die im Vorlauf am Freitag als Ersatz für die dort noch angeschlagene Einzel-Europameisterin Gina Lückenkemper in die Bresche gesprungen war und im Endlauf an Position zwei laufend den Stab von Alexandra Burghardt übernommen hatte, sucht zu Hause die Ruhe nach dem Sturm. »Ich freue mich jetzt einfach mal auf mein eigenes Bett. Die zwei Stunden Schlaf waren definitiv zu wenig«, sagte die 26-Jährige aus Niederkleen. Rebekka Haase wiederum wählte den Umweg über die Wahlheimat von Staffelkollegin Lückenkemper. »Ich mache auf der Rückfahrt noch Station bei Gina in Bamberg. Da werden wir uns mal schön ausruhen und uns den Bauch richtig vollschlagen. Essen, was man sich sonst in der Saison nicht gönnt«, erklärte die 29-jährige Erzgebirglerin zu ihren ersten Plänen nach dem Finale furioso.

Lisa Mayer und Rebekka Haase, Glückwunsch zum EM-Titel. Die Nacht danach war kurz, die Feier sicher lang, oder?

Lisa Mayer: Na, ja, wir haben nicht ganz so viel gefeiert. Wir waren alle überwältigt und ein bisschen platt. So ein Wettkampftag ist dann doch anstrengend. Die Zeit totzuschlagen, bis es abends um kurz vor halb zehn endlich ins Stadion und auf die Bahn geht, das schlaucht. Danach die ganzen Emotionen zu verarbeiten, das kostet schon einiges an Energie.

Rebekka Haase: Wir waren leer und kaputt, aber auch komplett überdreht. Es war ein Gegensatz der Gefühle. Wir sind erst nach Mitternacht im Hotel angekommen, haben dort erst unsere Trainer und Betreuer wiedergetroffen und dann schon mal jeder für sich die Koffer gepackt. Damit wir das erledigt und ein wenig Ruhe vom Trubel hatten.

Lisa, für Sie kam das Ganze absolut unverhofft. Wie ist das Gefühl am Tag danach?

Lisa Mayer: Immer noch ungläubig und unglaublich. Vor vier Wochen stand ich da und wollte meine Saison beenden. Und am Sonntag hole ich Gold bei der EM, das ist absolut etwas Besonderes.

Besonders war die Situation schon vor dem Vorlauf, weil Gina Lückenkemper ja da ausfiel ....

Rebekka Haase: Natürlich war es insgesamt nicht leicht, aber genau dafür haben wir ja einen Staffel-Kader. Da zählt nicht die reine Geschwindigkeit, sondern, wer wo in dieses Quartett reinpasst. Deshalb allerhöchsten Respekt vor allen. Speziell bei Lisa haben wir alle mitgelitten in den vergangenen Jahren. Wenn man macht und tut und kämpft, aber der Körper streikt und nicht bereit ist für den Hochleistungssport. Sie hat nicht aufgegeben und gehofft, zur EM mitzukommen. Dass sie dann auch auf der Bahn steht und so einen guten Job macht, das kann man nicht hoch genug loben. Ich bin unglaublich stolz auf sie und auf das Team zu Hause, dass sie dahin gebracht hat.

Lisa Mayer: Ich habe mich tierisch gefreut, am Freitag im Vorlauf nominiert zu sein. Und ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, im Finale nochmal ran zu dürfen. Das kam durch den Ausfall von Tatjana Pinto, für die es natürlich furchtbar schade war und ist. Dass mir die Trainer das Vertrauen schenken und ich im Finale an Position zwei starte, habe ich am Samstag erfahren. Die Vorfreude war riesig, und ich habe versucht, einen guten Job zu machen. Das dann so etwas vor so einer pushenden Kulisse rauskommt, ist der Wahnsinn.

Apropos Kulisse, der Heimvorteil hat Sie beflügelt, stimmt’s?

Lisa Mayer: Klar war das schön, aber der Druck wird dadurch nicht kleiner. Wir haben die deutschen Staffel-Jungs und ihr Pech live gesehen, uns kurz noch mal ver- und gesammelt und gesagt: Davon lassen wir uns nicht beirren. Aber wir mussten unser Herz schon zusammennehmen.

Rebekka Haase: Man nimmt sich vor, alles aus sich herauszuholen und redet vorher darüber. Aber das dann auch hinzubekommen, ist ein komplett anderes Ding. Bei einer Staffel kann so viel schief gehen. Und wir hatten gerade erst vor drei Wochen Bronze bei der WM in Eugene gewonnen und das kaum verarbeitet. Aber diese Erfahrung ist unsere Stärke, vor dieser Kulisse und in diesem Stadion bei uns bleiben und das zu machen, was wir machen sollen.

Schildern Sie nochmal Ihre Eindrücke vom Finale.

Lisa Mayer: Der Wechsel von Alex auf mich war ein bisschen wie im Vorlauf, sie ist aufgelaufen. Ich dachte: Mist, das war nicht ganz so gut, jetzt lauf‹ um dein Leben, um es auszugleichen. Dann ist Gina um die Kurve geflogen.

Rebekka Haase: Es ist verrückt, denn ich stehe ja an der gleichen Position, es ist der gleiche Job. Ich wusste, Gina kommt, ich laufe genau ab und das Ding dann nach Hause. Dieses Mal war es im Wechselraum aber anders. Ich habe mich kurz umgedreht, weil Gina irgendwas wie »Komisch« gerufen hat. Sie hat tatsächlich Probleme mit ihrem Beuger und Krämpfe bekommen und konnte gar nicht richtig durchziehen. Ich konnte nicht wie gewohnt beschleunigen, habe dann aber schnell gemerkt, dass ich ziemlich weit vorneweg bin. Es erfolgreich zu Ende zu bringen, war nicht einfach. Aber die Gefühle beim Zieleinlauf waren unfassbar schön.

Lisa, nach all den Jahren des Verletzungspechs. Was bedeutet Ihnen EM-Gold?

Lisa Mayer: Sehr, sehr viel. In der Vergangenheit sind so viele Tränen geflossen, die nicht immer nur Freudentränen waren. Diese Medaille entschädigt für ganz viel. Es zeigt: Immer Kämpfen lohnt sich und zahlt sich aus.

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