Aus wenig viel mehr gemacht

Bad Nauheim (wbe). »Wir werden gegen Kassel sicher keine Chance haben, aber wir hätten richtig Spaß daran, sie kräftig zu ärgern.« Diese Aussage von Bad Nauheims Trainer Harry Lange, bezeichnenderweise noch vor dem Start der Playoffs in der Deutschen Eishockey-Liga 2, als ein mögliches Duell mit den Nordhessen noch in weiter Ferne lag, wirft ein deutliches Licht auf die Rivalität zwischen den beiden hessischen Eishockey-Konkurrenten, die diesmal nicht nur aus dem alljährlichen Derbycharakter herrührte.
Die mysteriösen Umstände beim Wechsel von Tristan Keck (er soll nach dem letzten Duell in Bad Nauheim noch nicht einmal zum Handshake bereit gewesen sein) und Co-Trainer Hugo Boisvert vor der Saison vom EC zu den Huskies hatten zumindest in der Badestadt emotional nachgewirkt. Als es dann zur Halbfinal-Serie mit den Nordhessen kam, herrschte bei den Bad Nauheimern nicht zuletzt auch deshalb eine geradezu diebische Freude darauf, den Rivalen zu bezwingen und damit gleichzeitig die Kasseler DEL-Träume zu zerstören.
Einem Kontrahenten die sportlichen Ziele zu verbauen, ist sicherlich ein gewaltiger Anreiz für einen Erfolg im Sport, erklärt allein aber noch nicht, dass der »David« den »Goliath« letztlich wirklich zur Strecke gebracht hat. Immerhin hatten die Huskies die Hauptrunde in einer Form dominiert, dass ihr Durchmarsch durch die Playoffs eher einer Formsache glich. Scheitern - das Wort gab es in den Köpfen der Kasseler Spieler nicht.
Das führte dann in der Serie mit zunehmender Dauer und sich häufenden Misserfolgen zu einer ständig steigenden Frustration beim haushohen Favoriten. Auf der einen Seite der unerschütterliche Glaube an die eigene Überlegenheit und auf der anderen Seite der fehlende sportliche Erfolg - es wurde immer mehr zu einem teuflischen Gemisch für die Nordhessen. Kassel ließ sich von Begegnung zu Begegnung mehr verunsichern, wirkte dann noch trotziger in der Umsetzung der eigenen Erwartungshaltung und verlor parallel immer mehr die eigene spielerische Linie, bis man im sechsten Spiel in Bad Nauheim praktisch endgültig zerfiel.
Zu allem Überfluss hatte sich aus Kasseler Sicht neben der überbordenden Erwartungshaltung auch noch ein Bad Nauheimer Spieler geradezu in ihre Köpfe hineingefräst: EC-Keeper Felix Bick. In der Hauptrunde nicht immer frei von Kritik, wuchs er in den Playoffs über sich hinaus. »Er hat gleich zwei Schippen draufgelegt«, sagt sein Coach Harry Lange voller Respekt über die Leistung des 30-Jährigen. Mit stoischer Ruhe zog der Goalie die Pucks förmlich magnetisch an, schien 1000 Hände zu haben und wenn er wirklich einmal geschlagen war, stand ihm auch noch das Glück des Tüchtigen zur Seite.
Was außerdem überraschte, waren die Vorteile der Bad Nauheimer bei den sogenannten Special Teams, die in engen Situationen oft den Ausschlag geben. Nach dem ersten Halbfinalspiel gelang Kassel in 20 Überzahlsituationen gerade einmal ein Treffer, Bad Nauheims Bilanz von 4/16 war deutlich besser. »Wir hatten überraschend die erfolgreicheren Special Teams«, zeigt sich Harry Lange immer noch verwundert, nachdem Kassel in der Hauptrunde in dieser Kategorie noch zu den stärksten Vereinen gezählt hatte.
Das alles hätte aber auch nicht gereicht, wenn Bad Nauheim in der Serie nicht total über sich hinausgewachsen wäre. »Wir mussten immer noch einen Meter mehr gehen, um den Gegner in Schach zu halten. Sich immer wieder in die Schüsse zu werfen und aufopferungsvoll und mit großer Leidenschaft sich dem Kasseler Druck entgegenzustellen, war schon eine ganz besondere Leistung meiner Mannschaft«, sagt Lange voller Bewunderung und verweist zudem auch auf die eigenen Fans, die eine zusätzliche Motivation darstellten.
Kampf, Einsatz, Leidenschaft und auch die richtige Mentalität für so eine lange Halbfinal-Serie waren letztlich die Haupt-Erfolgsfaktoren des EC Bad Nauheim. Dass sich dazu Spiel- und Scheiben-Glück hinzugesellten, soll nicht unerwähnt bleiben. »Kassel war in fünf Spielen eigentlich die bessere Mannschaft«, sagt auch Harry Lange, aber - möchte man anfügen - Bad Nauheim hat aus seinen geringeren Möglichkeiten eben wesentlich mehr gemacht.