Der Mann für alle FC Gießen-Fälle

Leopold Abram ist beim Fußball-Hessenligisten ein Sympathieträger neben dem Platz
Watzenborn-Steinberg . Man darf, ohne Jemandem zu nahezutreten, den FC Gießen durchaus als flatterhaft bezeichnen. Das fing schon mit seinem Vorgängerverein an, der damals als Teutonia Watzenborn-Steinberg die etwas größere Fußballwelt zu erobern suchte. Das machte in den vergangenen Jahren nicht vor dem Nachfolger halt, denn Jahr für Jahr wird der Kader von links auf rechts gedreht, gibt es nur wenige Konstanten im Vereinsgetriebe.
Schaut man auf die Bank, dann sieht das anders aus. Daniyel Cimen ist seit dem 24. September 2017 bereits im Amt, hat noch Vertrag bis zum 30. Juni 2023. Im Regionalliga-Trainergeschäft ist das eine Seltenheit, beim Fluktuationspotenzial des FC Gießen sowieso. Tja - und dann ist da noch einer, der seit einer halben Ewigkeit die FC Gießen-Trainingskluft Woche für Woche, immer freundlich lächelnd, stets besonnen, einfach als positiver Imagevermittler, über den Rasen trägt: Leopold Abram.
»Eigentlich«, so sagt er an einem Vormittag Anfang Juli vor dem Sportheim an der Watzenborner Neumühle sitzend, »wollte ich nicht unbedingt weitermachen.« Nach dem Abstieg aus der Regionalliga stand auch der 76-Jährige am Scheideweg, ob sein Engagement, das er 2015 begonnen hatte, noch gefragt sein würde, ob er auch in der Hessenliga ein weiteres Jahr das Zepter schwingen soll. »Aber dann kam Daniyel auf mich zu und hat mich gebeten, weiterzumachen«, sagt Abram, der den Gießener Coach als »wunderbaren Menschen« charakterisiert: »Und dann habe ich zugesagt.« Und für was? Für alles und notfalls noch ein bisschen mehr. Leopold Abram ist bereits seit Zeiten des Jörg Fischer (»wir kennen uns als Watzenborner schon lange«) für die Schiedsrichter-Betreuung zuständig. Und da gehört, zumal in den etwas höheren Fußball-Gefilden, mehr dazu, als nur die Hand zur Begrüßung zu schütteln und beim Abschied »tschüss« zu sagen.
Abram nimmt das Gespann in Empfang, begleitet das Trio in die Kabine, sorgt dafür, dass die Unparteiischen mit Getränk und (im Anschluss) auch schon mal mit Essen versorgt werden. Er klärt über die Trikotfarben auf und hält den Kontakt zu den Männern mit der Pfeife. Und so wurde Abram, der selbst gerade erst von der Schiedsrichtervereinigung Gießen (»das ist eine große Familie«) für 45 Jahre Mitgliedschaft ausgezeichnet wurde vom Schiri-Beauftragten zum Allround-Betreuer. Denn er ist akribisch, pünktlich wie ein Uhrwerk und stets kollegial-freundlich in seinem Tun.
Einer, der Mannschaft und Trainerteam den Rücken freihält und auch mal stärkt. Leopold Abram - der Mann für alle FC Gießen-Fälle. »Es ist schon lustig. Mittlerweile rufen sie bei Auswärtsspielen schon: schickt uns mal den Leo her, das klären wir mit ihm«, freut sich Abram, der längst aus den reinen Schiri-Betreuerschuhen rausgewachsen ist. Er nimmt den Kontakt zum Gegner auf, sorgt auswärts dafür, dass der FC Gießen und zuhause, dass die gegnerische Mannschaft zur Kabine gelangt, die Trikots parat liegen, der Spielbericht ausgefüllt und für Verpflegung gesorgt ist. »Ich hole das Essen für die Mannschaft ab, sammle hinterher das Geschirr wieder ein, mache es sauber, fahre es zurück«, erläutert er die Rundumversorgung der Kicker, »mit denen ich eigentlich immer gut klarkomme, das macht schon Spaß.« Und längst gibt er auf der Bank auch schon mal seinen Kommentar zu möglichen Wechseln ab, berät als »gelernter Schiri« auch die Trainer in Regegelfragen.
Dabei ist Abram, der als Schreiner nach einem Arbeitsunfall schon seit 2006 im Ruhestand ist, seinerseits dankbar »für die tollen Erlebnisse, die in den letzten Jahren mit der Tätigkeit verbunden waren«. So schwärmt er von den Auswärtsfahrten (teils mit Übernachtung) nach Saarbrücken, Ulm, Trier oder insbesondere »nach Kaiserslautern, wo wir am Betzenberg gespielt haben. So ein Stadion sieht auch nicht jeder aus dieser Perspektive«. Leopold Abram ist ein Ehrenamtler, wie er in jedem Fußball-Buche stehen sollte, der unendlich viel gibt an Zeit und Einsatz, der aber auch versteht, etwas aus diesem Amt für sich zu ziehen. Ein Stück weit Erfüllung.
Das alles kommt nicht von ungefähr, denn Abram, gebürtiger Slowene, hat schon seinen Sohn Roman, der in Watzenborn, Fernwald und Birklar aktiv spielte, »damals bei der Teutonia« gefahren, trainiert, betreut. Er ist da im besten Sinne reingewachsen. 1976 hat er den Schiedsrichterschein gemacht, 1979 ist er zur Teutonia gekommen, 20 Jahre hat er aktiv gepfiffen, viele Jahre lang war er als Schiedsrichter-Beobachter im Einsatz.
Seine Zuverlässigkeit in Amt und Würden hat sich längst herumgesprochen, es habe ihn deshalb »sehr gefreut, dass mich der HFV auch für das Hessenpokal-Finale von Steinbach gegen Offenbach als offiziellen Schiedsrichter-Betreuer angefragt hatte«. Was er selbstredend gemacht hat. Ohne zu vergessen, dass bei einer Geschichte über ihn nie die anderen unerwähnt bleiben dürfen: So seine jüngeren Schiedsrichter-Kollegen Maxi Lau und Sebastian Fink, »die mir auch immer geholfen haben« oder Schiri-Obmann Andreas Reuter, mit dem er stets gut klarkommt - und, so fügt er hinzu: »Ich bin natürlich auch auf jeder Versammlung.«
Abram, der 1969 nach Deutschland kam, dann bei Voko zu arbeiten begann, ehe er 40 Jahre für die Firma Möbel Burk in Watzenborn als Schreiner tätig war, ist ein bodenständiger Mensch mit Tiefgang. Dass er an diesem Tag auch ein wenig wehmütig vor dem Sportheim Neumühle sitzt, hat auch mit seiner Verbundenheit zu Teutonia Watzenborn-Steinberg zu tun. Denn er hat viel mit dem FC Gießen erlebt, wäre aber froh, wenn auch das Teutonen-Gelände und der Verein wieder belebter wären. Deshalb packt er selbstverständlich auch an, wenn die Zweite in Watzenborn spielt. »Da unterstütze ich auch, wenn es geht«, sagt Leopold Abram, der ehedem selbst für Radnik Gießen kickte. Wenn er daran zurückdenkt, erinnert er sich einerseits gern, andererseits schüttelt er den Kopf darüber, dass angesichts des Krieges in Ex-Jugoslawien sich ehemals befreundete Spieler »auf einmal nicht mehr in die Augen sehen und miteinander reden wollten«. Ihm, der seine Heimat längst in Mittelhessen gefunden hat (»Ich hätte mir vorstellen können zurückzugehen, aber meine Familie ist ja auch hier«), ist so etwas einfach nur unverständlich. Denn Leo Abram ist heimatverbunden, aber auch weitgereist.
Nicht nur in Slowenien verbringt er seinen Urlaub, er war auch schon in Mexiko, Kuba, Ägypten oder der Dominikanischen Republik, liest viel. Und hat demnächst wieder ein bisschen weniger Zeit dafür. Der FC Gießen startet bald in die Hessenliga. Mit Leo Abram. Wie gehabt.