Der Richtungswechsel
Wetzlar. Olle Forsell Schefvert hat Abschied genommen. Nach 150 Partien für Handball-Bundesligist HSG Wetzlar wechselt der Schwede zum Ligarivalen Rhein-Neckar Löwen. Der Familienvater zeigte sowohl offensiv als auch defensiv körperlich immer vollen Einsatz und erzielte über 350 Tore. Im Interview spricht er über die Unterschiede von Deutschland und Schweden, seine Stärken und seine Zukunft.
Sie sind 2017 nach Mittelhessen gekommen, konnten Sie sich damals vorstellen, so lange in Wetzlar zu spielen?
Wenn man aus einer anderen Liga kommt, denkt man natürlich nicht daran, dass man so lange in einem Club bleibt, weil man sich erstmal beweisen muss. Ich bin unfassbar dankbar, dass ich hier fünf Jahre in tollen Mannschaften gespielt habe. Ich hatte immer ein paar Skandinavier um mich herum und habe mich sehr wohl gefühlt.
Wie wichtig waren skandinavische Mitspieler für Sie?
Am Anfang war es nicht so elementar für meine Entscheidung, ich wollte unbedingt nach Deutschland und zur HSG Wetzlar und da war es nicht bedeutend, wie viele andere Skandinavier in Wetzlar gespielt haben. Als ich aber ankam und direkt herzlich aufgenommen wurde, hat mir das schon viel geholfen. Ich könnte immer jeden Mitspieler nach Hilfe fragen, aber in der Muttersprache zu fragen, fühlt sich noch etwas natürlicher an. Beim Handball ist es komplett egal, in welcher Sprache ich mit meinem Nebenmann spreche. Mit Adam oder Anton habe ich im Mittelblock schwedisch gesprochen, das geht aber genauso gut in deutsch mit Felix oder einem anderen Spieler.
Haben Sie sich in der Zeit hier verändert?
Auf jeden Fall (lacht). Es ist ja ganz natürlich, dass man sich innerhalb von fünf Jahren sehr verändert, sowohl menschlich als auch sportlich. In Schweden habe ich nur mit Skandinaviern zusammengespielt, in Wetzlar gab es auch immer viele Spieler vom Balkan und deutschsprachige Mitspieler. Wir alle haben unterschiedliche Hintergründe, aber haben zusammen ein tolles Team gebildet. Ich habe viel über den vielfältigen Blick auf die Welt gelernt, es gibt nicht nur den schwedischen Blick.
Wie unterscheiden sich die schwedische und deutsche Liga?
Das ist eindeutig das Physische. Deutschland ist einfach die stärkste Liga der Welt, das merkt man sowohl in Schnelligkeit als auch an der Größe der Spieler, hier ist fast jeder Gegenspieler zwei Meter groß. Von der Belastung her ist ein Spiel in der Bundesliga, wie drei Spiele in Schweden. Das Interesse am Sport ist auch in Deutschland deutlich höher. In Wetzlar könnte man wahrscheinlich auch Wasserpolo spielen und die Halle wäre voll. Nichts gegen Wasserpolo natürlich (lacht). Sport bedeutet in Deutschland einfach sehr viel.
Was haben Sie am Land Deutschland schätzen gelernt?
Die deutsche Mentalität ist ein Mix zwischen Nord- und Südeuropa. Manchmal sind die Deutschen sehr locker, manchmal aber auch sehr streng. Im Gegensatz zu Schweden sind in Deutschland alle deutlich freundlicher und offener, das Interesse am Gegenüber ist deutlich höher. Die Geselligkeit würde mir fehlen, wenn ich wegziehen würde. Hier kannst du einen Bierkasten in die Mitte stellen und alle freuen sich und reden sofort miteinander. Diese Freiheit und Offenheit gibt es in Schweden nicht.
Was ist ihr Lieblingswort in der deutschen Sprache?
Das sind sehr viele. Am Anfang war es »Richtungswechsel«. Inzwischen lache ich jedes Mal über »allerdings«. Das ist einfach komisch.
Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Rückraumspielern in Wetzlar?
Von Filip Mirkulovski habe ich unfassbar viel gelernt. Er hat sofort verstanden, dass ich kein Spieler bin, der zehnmal im Spiel aus dem Rückraum wirft und mir sehr viele Tipps gegeben. Auch mit Magnus Fredriksen habe ich mich gut verstanden, ein kurzes Wort auf schwedisch und er wusste, was ich wollte.
Was möchten Sie an ihrem Spiel noch verbessern?
Ich hätte gerne diese absolute Spitzenqualität, damit ich bei jedem Spiel den Unterschied machen könnte, wie ein Sander Sagosen. Das ist aber einfach nicht meine Stärke. Ich kämpfe um jeden Ball, aber in meinem Kampfgeist habe ich auch etwas Finesse. Ich bin nicht ein Starspieler, den jede Mannschaft vielleicht unbedingt möchte, aber ich bin ein absoluter Teamplayer. Ich probiere immer meinen Job zu machen und wenn mich ein Trainer auf Rechtsaußen stellt, dann spiele ich auch dort. Tore werfen ist immer schön, aber Gegentore durch einen Block zu verhindern oder meinen Mitspieler einen Ball schön vorzulegen, ist genauso schön.
Was waren Ihre schlimmsten Verletzungen?
Ich hatte schon zwei Kreuzbandrisse. Einmal 2011 als ich noch nicht richtig ausgewachsen war. Dann ist es leider im Jahr 2013 nochmal passiert. Ich habe neben dem Handball gearbeitet und konnte leider nicht so viel Athletiktraining und Krafttraining machen, wie es mein Knie gebraucht hätte. Seitdem probiere ich noch mehr auf meinen Körper zu hören.
Was waren ihre sportlichen Höhepunkte im Trikot der Wetzlarer Jungs?
Ich würde sagen die Siege gegen den THW Kiel, die haben ja echt schon Tradition hier in Wetzlar. Auch Derby-Siege sind besonders schön. Das Erreichen des Final-Four direkt in meiner ersten Saison war aber auch sehr besonders. Das Final-Four war dann gleichzeitig auch die größte Niederlage meiner Karriere. Man hat gesehen, wie viel dieses Turnier den Fans, dem ganzen Verein und auch der Mannschaft bedeutet und dann waren wir so schlecht gegen Hannover. Das hat wirklich sehr weh getan.
Ihr letztes Spiel für Wetzlar war gleichzeitig auch ihr 150. Bundesligaspiel für Wetzlar, was war ihre persönliche beste Leistung?
Das ist eine schwere Frage, weil das Team immer im Vordergrund steht. Als wir mit sieben Toren auswärts in Kiel gewonnen haben, haben wir mit einer überragenden Abwehr Kiel verzweifeln lassen. Dort haben wir von Anfang an das Gefühl gehabt, dass wir gewinnen werden. Der Heimsieg gegen Kiel mit neun Toren war auch absolut verrückt. Um so gewinnen zu können, muss alles stimmen.
Was war das Highlight abseits der Platte in Mittelhessen?
Wetzlar wird immer ein besonderer Platz für mich sein, weil meine Freundin Astrid und ich gemeinsam nach Deutschland gekommen sind und hier eine Familie gegründet haben. Erst kam unser Hund Simba dazu, im letzten Jahr ist dann unsere Tochter Celine hier geboren. Schweden ist meine Heimat, Wetzlar ist zu meinem Zuhause geworden. Wenn ich zu meinen schwedischen Freunden gesagt habe, dass ich jetzt nach Hause fahre, war das Wetzlar für mich.
Was machen Sie jetzt im Sommer?
Ich werde zwei Wochen auf eine Insel nach Schweden fahren und dort eine ruhige Zeit mit meiner Familie verbringen. Wenn man zu einem neuen Verein kommt, ist die erste Zeit sehr aufregend und dafür möchte ich gut ausgeruht sein und einen guten Einstand haben.
Was sind die Ziele bei den Rhein-Neckar Löwen?
Die Konkurrenz bei den Rhein-Neckar Löwen ist extrem groß und ich möchte mich durchsetzen. Die Löwen sind einer der größten Vereine in der Welt und sie wollen auch wieder um Titel zu spielen.
von Jana Lieber