Der Unterbau bröckelt

Im «Farmteam« der 46ers suchen Spieler das Weite / Piljanovic: Mangelnde Kommunikation
Gießen . Terry Winn III ist weg. Der US-Forward läuft künftig für Gréngewald Hueschtert in der ersten Liga Luxemburgs auf. Hannes Bergmann ist weg. Der Marburger möchte sich seinen Traum vom College-Basketball erfüllen und studiert nun an der Mount Mercy University in Iowa. Yuma Janeck ist weg. Der 19-Jährige braucht eine Auszeit vom Sport. Im März zieht es ihn deshalb nach Indonesien. Und Christian Mann ist weg. Der 16-Jährige, der bereits einen Agenten hat und der auf einer erweiterten Liste von Meister Alba Berlin steht, gilt als eines der größten Talente im deutschen Basketball. Zuletzt plagten ihn jedoch Verletzungen.
»Sport ist Mord« befand einst der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill. So dramatisch ist die Situation bei Christian Mann nicht. Doch Sport ist hart. Weshalb er eine Auszeit benötigt, wenngleich sein Trainer Ivica Piljanovic die Hoffnung hat, dass er es sich noch einmal anders überlegt.
Zum Rückrundenstart haben die »Roth Energie BBA Gießen 46ers«, so der etwas sperrige Name des Clubs aus der 1. Regionalliga, ihr Gesicht gewaltig verändert. Besser gesagt: Der Kader der eigentlich als Reserve der ProA-Truppe von Coach »Frenki« Ignjatovic gedacht war, ist ausgedünnt, mächtig ausgedünnt! Was in der Osthalle die Fragen aufwirft: Fehlende Unterstützung? Mangelnde Wertschätzung? Kein Geld?
Jonathan Kollmar, seit drei Monaten nicht nur neuer Geschäftsführer, sondern vor allem neuer Hoffnungsträger des finanziell gebeutelten Bundesliga-Absteigers, bemüht sich um Aufklärung: »Uns allen war klar, dass die Saison hart werden wird. Aber nach unserem Abstieg aus dem Oberhaus mussten wir unseren Weg hinterfragen. Eine zusätzliche ProB-Mannschaft war schlicht nicht mehr zu finanzieren.«
Zur Erinnerung: Im Juni gaben die in Liga drei ansässigen und ebenso sperrig auszusprechenden »Depant Gießen 46ers Rackelos« die Lizenz in die Hände der Basketball-Akademie (BBA), die fortan mit einer leicht aufgehübschten Mannschaft in der 1. Regionalliga Südwest ihr Glück versuchte. Offiziell und in Pressemitteilungen kommuniziert, um »den nächsten Schritt zu machen«, um »auf hohem Niveau frühzeitig Erfahrungen im Seniorenbereich zu sammeln« und um »eine breite Palette an Stufen auf dem Weg zum Profi zu nutzen«.
Die Realität jedoch sieht anders aus. Mit nur zwei Siegen aus 17 Partien (99:86 gegen den TV Lich und 90:89 gegen den SV Tübingen nach einem Buzzerbeater von Terry Winn III) ziert der Nachwuchs das Tabellenende. »Die Mannschaft hat höchstens die Qualität für die 2. Regionalliga«, spricht »Frenki« Ignjatovic Klartext. Der Abstieg ist so gut wie besiegelt, die Frustration wächst, einige Jungs suchen das Weite.
Terry Winn III, von den 46ers und nicht von der Akademie bezahlt, sollte die Jungs eigentlich weiterbringen und der ersten Mannschaft als Trainingspartner dienen. Doch auch beim 27-Jährigen lagen Erwartung und Realität weit auseinander. Mit im Schnitt 27 Punkten und 13 Rebounds führte er zwar die Statistiken der 4. Liga souverän an, aufgrund einer Knieverletzung konnte der Texaner, der schon in Australien, der Ukraine und Katar aktiv war, aber kaum trainieren. »Anfangs hatten wir abends 15 Jungs bei unseren Einheiten, dann waren es nur noch zwölf, elf oder zehn«, muss »Ivi« Piljanovic, ein Gießener Basketball-Urgestein, inzwischen nur noch den Mangel verwalten. »Ohne Amerikaner, ohne einen EU-Ausländer, der angedacht war, und mit einem immer dünner werdenden Kader ist es für uns natürlich schwer, mitzuhalten«, weiß der 46-jährige Familienvater um die Probleme, seine Truppe an drei Abenden pro Woche im Training bei Laune zu halten.
Einen konkreten Vorwurf möchte Piljanovic den Verantwortlichen der 46ers nicht machen, »ich habe Verständnis für Branislav Ignjatovic und auch für Jonathan Kollmar. Sie müssen das Geld zusammenhalten, sie müssen an allen Ecken und Enden sparen.
Da bleibt am Ende des Tages für uns nicht mehr viel übrig.« Dennoch kritisiert der Verkäufer des Autohauses Michel »mangelnde Kommunikation.« Er brenne für seinen Sport, er wolle Talente entwickeln, er wolle abends und an Wochenenden in der Halle stehen, er fühle sich aber alleine gelassen, er vermisse Ansprechpartner. »Ich hatte zwischenzeitlich schon daran gedacht, alles hinzuschmeißen.« Er habe sich aber dazu entschieden, »meine richtig guten Jungs nicht zu brüskieren«, sondern mit ihnen die Saison anständig zu Ende zu bringen.
Dem Vorwurf, alleine gelassen zu werden, widerspricht Jonathan Kollmar: »Wir haben das BBA-Team keineswegs abgeschrieben, sondern unterstützen es weiterhin nach Kräften. Dass nun einige Spieler weggegangen sind, ist im Sport normal, so etwas kann immer mal wieder passieren. Alle wissen, dass diese Spielzeit ein Lehrjahr ist und war. Im Sommer werden wir uns zusammensetzen, alles hinterfragen und alles aufarbeiten.« Der 30-Jährige verweist nochmals darauf, dass es alternativlos gewesen sei, die Lizenz der Rackelos abzugeben. »Die ProB hätte und deutlich mehr Geld gekostet als das Regionalliga-Team.«
Ob Ivica Piljanovic, Vater zweier Töchter und familiär mit viel Verständnis für sein Engagement ausgestattet, auch in der 2. Regionalliga weiter die Akademie betreuen wird, macht er ganz klar von Bedingungen abhängig: »Das Gesamtpaket muss stimmen. Ich möchte mit den Jungs etwas erreichen, doch es muss Ansprechpartner geben. Und es muss klar gesagt werden, welche Mittel zur Verfügung stehen und was mit diesem Geld dann möglich ist.«
Denn klar ist: Die Gießen 46ers werden mittelfristig finanziell nur überleben, in der ProA eine gute Rolle spielen oder an den Aufstieg denken können, wenn sie auch in der Lage sind, eigene Talente für die erste Mannschaft zu rekrutieren.
Die Zeiten, in denen Männer wie Bjarne Kraushaar, Tim Uhlemann, Alen Pjanic, Benedikt Turudic, Benni Lischka, Robin Christen, Maurice Pluskota oder Robin Amaize das Weite suchen, sollen der Vergangenheit angehören.