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Drachenzähmen leicht gemacht

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Seit 14 Jahren ist Michael Anderl nun schon der Headcoach der Gießen Golden Dragons. Ein Ende beim GFL2-Team ist noch längst nicht in Sicht.

Gießen. Im (Amateur-)Sport wird immer sehr viel über die besten beziehungsweise wichtigsten Spieler berichtet. Der Torjäger einer Fußball-Mannschaft, der Playmaker im Basketball, das Rückraum-Ass im Handball und so weiter, und so weiter. Nicht immer, aber dennoch viel zu oft, werden die Gesichter hinter den Mannschaften vergessen, die - obwohl sie nicht auf der Platte stehen - einen essentiellen Anteil am Erfolg (und auch Misserfolg) haben. Klar, die Rede ist von den Trainern, die, obwohl eben nur im unterklassigen oder semi-professionellen Bereich unterwegs, sich teils stundenlang auf den kommenden Gegner vorbereiten, sich mit der Trainingsgestaltung auseinandersetzen und Neuzugänge scouten.

Michael Anderl ist einer davon. Seit 2008 steht er bei den Gießen Golden Dragons - den American Footballern des MTV 1846 Gießen - hauptverantwortlich an der Seitenlinie. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der heute 50-Jährige schon einiges als Spieler erlebt. 1992 bei den Laubach Löwen als O-Liner angefangen (»Der Sport hat damals ordentlich geboomt, vor allem wegen der NFL Europe«), ging es drei Spielzeiten später weiter zu den Langgöns Lightnings, die später zu den Leihgestern Lightnings und schließlich zu den heutigen Dragons wurden.

Nach den beiden Erstliga-Stationen in Hanau und Aschaffenburg erlebte Anderl seine erfolgreichste Zeit als Spieler bei den Marburg Mercenaries: 2005 gewann der Club den EFAF Cup - den zweitwichtigsten Titel im europäischen Vereinsfootball -, 2006 wurde man Deutscher Vizemeister. Bereits zu dieser Zeit war Anderl Spielertrainer der O-Line, nahm an Lehrgängen für die Trainer-Lizenz teil. Dann kam der Ruf aus Gießen.

Der Kinzenbacher musste nicht lange überlegen, mit 36 Lenzen auf dem Buckel war das Ende der aktiven Spielerkarriere ohnehin bereits in Sichtweite. Dass die Dragons damals nur in der fünftklassigen Landesliga unterwegs waren, war Michael Anderl nicht wichtig. »Wir sind ja ohnehin in meinem ersten Jahr aufgestiegen«, lacht er. 2015 gelang sogar der erstmalige Aufstieg in die GFL2.

Ein wichtiger Grund für den Durschmarsch: Die Bedingungen, die vergleichsweise schon damals ideal waren und nach wie vor sind. Ein Kunstrasenplatz, ein breiter Trainerstab, viele Freiwillige, dazu kommt ein sehr gutes Equipment. »Wir bieten den Spielern ein gutes Training mit sehr viel Struktur an«, beschreibt der akribisch arbeitende Trainer. Das wissen die Spieler, auch die Imports und Auswärtigen, zu schätzen. Das alles, so »Coach Mike« weiter, macht es ihm sehr leicht.

Und was er ebenfalls hervorhebt: »Gießen ist eine Studentenstadt. Es kommen immer wieder junge Leute zu uns, manche bleiben dann auch etwas länger.« Weil es ihnen in der Region gefällt, weil sie hier Wurzeln schlagen, »oder weil sie auch mal ein paar Semester länger brauchen.« Diesen neckischen Kommentar kann er sich erlauben. Er weiß, dass in seinem Team eine gute Chemie herrscht. Für den 50-Jährigen ein wichtiger Pfeiler, versteht er Football doch als eine große Familie. »Ziel ist es, dass man eine Horde dicker Kumpels ist.«

Zweifel an seinem Job am Heegstrauchweg überkamen Anderl nie. Schon gar nicht nach dem sang- und klanglosen Abstieg 2019 (»Ein Katastrophenjahr«). Auch nicht, als darauf die Corona-Pandemie dem Unternehmen »Wiederaufstieg« einen Strich durch die Rechnung machte und das Team dadurch satte zwei Jahre lang kein Pflichtspiel bestritt. »Da konnte ich nicht aufhören, das ging nicht«, blickt er zurück. Vor allem nicht nach so langer Zeit auf dem Chefsessel. Und auch von Vereinsseite aus wurde die Personalie Michael Anderl bis zum heutigen Tag nicht einmal infrage gestellt.

Corona als Chance für Nachwuchs

Also versuchte man, das beste aus der Situation zu machen. So nutzten die Dragons die spielfreie Saison 2020, um Nuancen im Trainerstab auszubessern. Aber auch, um viele Junioren an die 1. Mannschaft heranzuführen. Für Coach Anderl ein richtiger, nötiger Schritt. »Im Nachhinein betrachtet, hat uns Corona vielleicht sogar ein bisschen in die Karten gespielt«, schätzt der Kinzenbacher ein, »so bekamen wir zwei ganze Jugend-Jahrgänge dazu. Das hat uns sehr geholfen.« Geholfen insofern, dass im vergangenen Sommer die Rückkehr in die Zweitklassigkeit gelang.

Und auch in dieser Saison spielen die Dragons ordentlich mit, stehen mit ausgeglichenem Punktekonto im gesicherten Mittelfeld der GFL2 Süd. »Ein Sieg«, schätzt der Trainer, »fehlt uns noch für den Klassenerhalt.« Der soll am heutigen Samstag bei den Kirchdorf Wildcats eingetütet werden. Denn, wer hätte es gedacht, so schnell will Michael Anderl die Liga nicht wieder verlassen. Zumindest nicht nach unten, denn: Insgeheim träumt er ein bisschen von Liga eins. Zumal auch die aktuellen Leistungen der eigenen Truppe Träumereien zulassen. Mit etwas mehr Spielglück wären jedenfalls mehr Punkte möglich gewesen. »Ein Aufstieg käme aber definitiv zu früh«, lacht Anderl, wissend, dass für einen Klassensprung mehr als nur überaus starke sportliche Leistungen nötig sind. Geld beispielsweise. Und doch zeigen die Beispiele Straubing, Schwäbisch Hall oder eben auch Marburg, was in kleineren Städten möglich ist. »Das Fundament ist die Jugend«, weiß er mit Fingerzeig auf den eigenen eingeschlagenen Weg. »Die Jungs spielen teils schon viele Jahre zusammen, kennen sich, sind loyal, identifizieren sich als Team.« Und mit ihrem Trainer, möchte man sagen, der, sind wir ehrlich, den Dragons auch noch 14 weitere Jahre gut zu Gesicht stünde.

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