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Ein lohnenswertes, buntes Ziel

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Von: Rüdiger Dittrich

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Da liegt er nun: hellrot, umgeben von ganz viel Grün und blauem Himmel. Das Sportgelände des ISV Hellas Gießen am Launsbacher Weg. Bunt wie der Verein. Foto: PeB © PeB

Gießen . Ein lohnenswerter Ausflug führt in Gießen zur Lahn. Mit einem besonders schönen Blick vom Christoph-Rübsamen-Steg, der die Lahn von der Nord- zur Weststadt hin überquert. Radelt man dann noch ein wenig geradeaus, geht’s kurz hinterm Damm rechts rein und noch 300, 400 Meter weiter.

Und dann liegt es da: das Sportgelände des ISV Hellas Gießen. Roter Ascheplatz, Fangzäune hinter den Toren, ein flach hingeducktes, immer mal erweitertes Sport- und Vereinsheim, mit einem formidablen Außengrill, der jedem Restaurant zur Ehre gereichen würde. Es sieht nach Sport aus und nach einem Verein, der weiß, wie man gemeinsam feiert. Einen lohnenswerten (virtuellen) Ausflug stellt auch der Besuch der Homepage des kleinen, derzeit etwa 90 Mitglieder umfassenden Vereins dar, der neben zwei Tanzgruppen vor allem für den Fußball steht. Denn die ist für Kreisliga-Gefilde ausgesprochen professionell, schick und äußerst informativ gestaltet, mit einem fettgedruckten großen Izu Beginn des Vereinsnamens. Ein I, das besondere Bedeutung hat für die Geschichte des Fußball-B-Ligisten, denn es steht für International, wo früher ein G für Griechisch stand. Was aber, wie der 1. Vorsitzende Emmanouil Poulakakis weiß, den Wesenskern des Clubs nie ganz traf. »Der Verein existiert als Hellas seit 1980, 1978 wurde er als Rodopi Gießen gegründet. Aber das, was wir heute machen, mit Integration und einer bewusst ganz gemischten Gruppe, das ist nicht jetzt erst entstanden, sondern war schon immer unser Bestreben. Wir haben stets gesagt: Hellas ist bunt«, beschreibt er die Vereinsphilosophie. Eine Philosophie, die dem langjährigen Chef des Internationalen Sportvereins auch schon während seiner politischen Arbeit im Stadtparlament, damals noch für die SPD als Integrationsbeauftragter, ein Anliegen war.

In der SPD ist Poulakakis nicht mehr, bei Hellas aber verwirklichen sie noch den Gedanken eines Zusammenspiels, das Multikulti par excellence ist. Dabei stand schon zu Beginn der 8oer-Jahre in den Vereinsheftchen: »Jeder kann Mitglied werden, der Spaß an Sport und Völkerverständigung hat.« Der Gießener Anzeiger überschrieb 1989 einen Artikel, der einem »internationalen Fest« des Clubs gewidmet war, mit dem stilbildenden Motto: »Sportsgeist mit Sinn für Völkerverständigung.« Eine Geschichte über den ISV Hellas Gießen geht somit eben auch über den Serien-Rahmen »traditionsreiche B-Ligisten« hinaus. »Es ist über viele Jahre nie so ganz durchgedrungen, dass es uns immer wichtig war, nicht als griechischer Fußballclub zu gelten, sondern als ein Verein, der offen für alle Nationalitäten ist«, weist Poulakakis eindringlich auf die Message hin.

Nie nur Griechen

Botschaft angekommen. Vor allem angesichts der aktuellen Mannschaft, bei der Trainer Narcisse Ngale, aus Kamerun stammend, und sein spielender Co Filimon Yemane, aus Eritrea stammend, das Zepter schwingen. Und zwar äußerst erfolgreich, wie die Tabelle der Kreisliga B1 ausweist: Der ISV Hellas ist Erster, und auch Kreisfußballwart Henry Mohr, beim Gespräch im Vereinsheim ebenfalls dabei, ist sehr erfreut über das Niveau und die Arbeit am Launsbacher Weg: »Das ist klasse Fußball, den die Jungs spielen, technisch versiert und mit viel Herz«, lobt der »neutrale KfW«, der dem Verein gerade wegen des integrativen Charakters und der sportlichen Stärke »den Aufstieg schon gönnen würde«. Ngale Narcisse, der zuvor schon beim SV Annerod tätig war, freut sich über die Anerkennung, ist aber ganz Trainer, wenn er sagt: »Der Aufstieg war nicht unbedingt das Ziel, aber wenn man schon oben steht, will man da auch bleiben. Dafür müssen wir arbeiten, uns gut vorbereiten und vor allem weiter diszipliniert in der Abwehr stehen, vorne gelingen uns dann schon die Tore.«

Der Vorsitzende Poulakakis, der sich auf einen gut funktionierenden Vorstand mit vier Hauptverantwortlichen und acht Beisitzern verlassen kann, wovon sich mancher höherklassige Verein eine Scheibe abschneiden könnte, betont dabei, dass »das eine schöne Entwicklung ist, die so nicht zu erwarten war, aber es auch nicht das Wichtigste.«

Auch wenn er sich sicher nicht über einen Aufstieg beklagen würde, ist es »die soziale Dimension und die Unterstützung für viele junge Männer unterschiedlichster Herkunft, die uns antreibt.« Dabei ist die Kreisliga A Gießen kein Neuland für den Verein, der bereits zweimal den Aufstieg schaffte und Ende der 80er/Anfang der 90er-Jahre seine sportlich stärkste Phase hatte. Mit bekannten Namen wie Wolfgang Engelke oder Alfred Goericke, beide Hellas immer noch eng verbunden, stieg man auf, Hellas holte sogar den damals noch ausgespielten Landratspokal und schaffte es mit seiner Man- und Woman-Power, auch aktuell arbeiten drei Frauen am Gelingen des Projekts mit, den Hallenstadtpokal auszurichten.

Das alles geschah zu Zeiten, da das Geläuf ohne Umzäunung und als grauer Ascheplatz mit Steineinsprengseln daherkam. »Das war ein langer Prozess«, denkt Poulakakis an das Gießen-typische zähe Ringen um eine sportpolitische Lösung zurück. Ein Kunstrasen, der damals auch ins Spiel gebracht wurde, war für den Verein nicht finanzierbar, immerhin reichte es nach vielen Jahren des Aufschiebens zu Rotasche und einer Umzäunung. Ein Aspekt dieses Porträts darf freilich nicht unterschlagen werden, denn »nicht überall, wo wir hinkommen, haben wir das Gefühl, akzeptiert zu werden«, sagen unisono Poulakakis und Ngale. Mit dem unschönen Höhepunkt eines, seitens des gegnerischen Trainers und Spielführers herbeigeführten Spielabbruchs bei Blau-Weiß Gießen beim Stande von 5:1 für Hellas, weil die Gastgeber »Angst hatten, Hellas spiele trotz des klaren Vorsprungs zu hart«. Die Punkte gingen angesichts der unlogischen Begründung an den ISV, aber »dieser Umgang ist nicht angebracht«, sagt Poulakakis, dem Mohr beipflichtet: »Ich finde, hier wird ausgezeichnete integrative und sportliche Arbeit geleistet. Und vor allem auch sehr fair agiert.« Womit Mohr das eherne Gesetz anspricht, dass ein den Gegenspieler oder Schiedsrichter anmeckernder Spieler »sofort ausgewechselt wird, das dulden wir nicht«, wie Ngale und Poulakakis auf ein Höchstmaß an Disziplin pochen. Eine Disziplin, die sich ebenso professionell ausnimmt wie die Tatsache, dass die Spieler nur mit Duschzeug zum Training kommen. In den Tiefen des verschachtelten Sportheims nämlich stehen Schränke, wo ihre Handtücher und Trainingsklamotten aufbewahrt werden, sowie Waschmaschinen und Trockner für die Rundumversorgung. Nach jedem Heimspiel gibt es zudem ein Essen für alle Spieler und »Freunde und Gäste, auch die bekommen wir schon versorgt«, so Poulakakis bei dem Treffen, bei dem ständig die Tür aufgeht und mit Popi Parliarou, Maroula Stark, Anna Chrisafi und dem 2. Vorsitzenden Stratis Pananis weitere engagierte Kräfte vor Ort sind.

Viele Feste

Nein, der Eindruck trügt nicht: Beim ISV Hellas Gießen geht es um mehr als nur Fußball, es ist familiär, integrativ, heiter und in bestem Sinne, bei allen Schwierigkeiten, die auch die steigenden Kosten betreffen, der Zukunft zugewandt. 57 Pässe für Spieler, aus vielen, vielen Ländern, hat der ISV Gießen. Geplant ist, eine zweite Mannschaft ins Leben zu rufen, geplant werden vor allem aber auch Oster- und weitere Feste, mit Multikulti-Essen aus den Ländern, aus denen die Spieler stammen. Und auf dem Plan steht am 19. März das absolute Spitzenspiel gegen Verfolger Besa Gießen. Am Ende des Gesprächs, für das sich der Ausflug wirklich gelohnt hat, gibt’s einen Ouzo. Und der ist ist dann aber doch aus Griechenland.

Ob Durchgangsstation, Betriebsunfall oder mit der Klasse längst verheiratet: Obwohl die B-Liga den tiefsten Punkt des Fußballkreises Gießen darstellt, ist sie längst kein sportlicher Tiefpunkt. Ob Blau-Weiß, Schwarz-Weiß, die Freie TSG, der ACE oder sogar Sachsenhausen und der TSV Rödgen: Bei all den Traditionsvereinen, die in der Saison 2022/23 klamm und heimlich gen A-Liga schielen, schnalzt so manch Alteingesessesener mit der Zunge. Auch Vereine wie der FC Besa, Hellas oder (Rückkehrer und Neu-Starter) Grüningen sind längst keine Unbekannten mehr. Grund genug, den Klubs, die mit ihrer ersten Senioren-Mannschaft an den Start gehen, in dieser Serie eine größere Bühne zu geben.

(dhn)

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