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Fünf irrwitzige Monate

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Von: Karsten Zipp

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Der Eine dirigiert, der Andere vollstreckt: Die beiden Wetzlarer Talente Lukas Becher (am Ball) und Jonas Schelker (links) in Aktion. Foto: Röczey © Röczey

Wetzlar. An einem sonnigen Mittag Anfang September sitzen zwei junge Männer auf dem Wetzlarer Domplatz. Beide sind soeben nach Mittelhessen gekommen, haben Wohnungen in der Altstadt bezogen und sind voller Tatendrang. Beide haben bei der HSG Wetzlar angeheuert. Der eine, Jonas Schelker, 23 Jahre alt, kommt von den Kadetten Schaffhausen und soll als Spielmacher seine ersten vorsichtigen Schritte in die Handball-Bundesliga unternehmen.

Der andere, Lukas Becher, 22 Jahre alt, hat zuvor für TuSEM Essen gespielt und sucht als Linksaußen den Weg ins Oberhaus.

Die sportlichen Ziele des jungen Duos liegen auf der Hand: Bei einem überaus seriösen und gestandenen Verein, der in den Runden davor teils sogar an die Tür des Europapokals klopfte, die ersten Schritte in der Bundesliga zu gehen, aber eben auch in einer starken Mannschaft den Kampf um die Plätze im Tabellenmittelfeld der wohl stärksten Liga der Welt aufzunehmen.

So sehen in etwa die Pläne des sympathischen Duos aus. Doch wenn der Mensch plant, lacht der liebe Gott nur. So heißt es. Und wenn ein Sportler im schnelllebigen Profigeschäft etwas plant, dann bricht der liebe Gott vermutlich in schallendes Gelächter aus.

Und so sitzen Jonas Schelker und Lukas Becher nun fünf Monate später wieder gemeinsam an einem Tisch und erzählen, was aus ihren Plänen geworden ist. Fünf lange Monate später, in denen die HSG Wetzlar in eine sportliche Talfahrt geriet, in denen ein Trainer gehen musste, ein Interimstrainer übernahm und jetzt der vorherige kroatische Nationaltrainer die Mannschaft zum Klassenerhalt führen soll.

Fünf Monate, in denen alle nicht mit den Ergebnissen zufrieden sind. Fünf Monate, die eben auch zwei große Talente beeinflussen können. Oder? »Das«, antwortet Lukas Becher, »ist schwer zu sagen. Es war ja wirklich turbulent. Man kommt aber als Spieler kaum zum Nachdenken in der Bundesliga. Da folgt Spiel auf Spiel.« Dem kann Jonas Schelker nur zustimmen, fügt aber hinzu: »Als wir nach dem letzten Auswärtsspiel am 27. Dezember aus Flensburg mit dem Bus zurückgefahren sind, kam ich erstmals dazu, über diese Vorrunde und alles, was in dieser Zeit passiert ist, nachzudenken. Das war dann natürlich nicht so angenehm. Ich denke, wir haben als Mannschaft viel mehr Potenzial. Dass wir das nicht zeigen konnten, hat mich eben auch persönlich sauer gemacht.«

Aber selbst im Rückblick fällt es den Beiden schwer, Erklärungen für die Talfahrt zu finden. In der Mannschaft habe es immer gepasst. Die Spieler würden bestens miteinander auskommen. Die Trainingseinheiten seien stets gut und intensiv gewesen. Und dennoch setzte es Niederlage auf Niederlage. »Anfangs konnten wir uns das erklären, weil wir ja viele neue Spieler hatten, so dass sich die Mannschaft finden musste. Dann hatten wir natürlich auch Verletzungspech, muss man sagen. Und irgendwann folgt so eine Art Negativspirale«, findet Schelker doch einige Erklärungen. Und Becher sagt: »Wir waren ja nicht so schlecht, wie es die Tabelle widergespiegelt hat. Hätten wir in den ersten acht Spielen, die wir zumeist knapp verloren haben, insgesamt zehn Tore mehr geworfen, hätte die Welt anders ausgesehen. Dennoch darf man das nicht schönreden. Richtig gut haben wir eben letztlich nicht gespielt.«

Jetzt muss sich die Mannschaft Selbstvertrauen zurückholen. Das Gespräch findet zwei Tage nach dem 28:29-Pokal-Aus nach Verlängerung in Flensburg statt. Ein überaus achtbarer Auftritt. Ein Mutmacher. »Aber«, hebt Becher gleich den warnenden Zeigefinger, »das dürfen wir auch nicht überbewerten. Wir müssen jetzt Spiel für Spiel kämpfen.« Abstiegskampf kommt eben von Kampf. Ein Kampf, der die Wetzlarer durchaus noch die gesamte Rückrunde in Atem halten könnte.

Persönlich fühlen sich Beide pudelwohl im Verein, aber auch in der Stadt. Ob es einen Unterschied in der Lebensart zu seiner Heimat gibt? Darauf muss der Schweizer Schelker nicht lange grübeln: »Das ist schon sehr ähnlich. Da sehe ich keine großen Differenzen.« Und wird prompt von seinem Nebenmann mit einem lauten Lachen unterbrochen: »Doch, hier kannst Du nicht alles mit Karte zahlen und darfst das Bargeld nicht vergessen.« Aha, immerhin ein Unterschied. Nur Bares ist Wahres, bleibt auch im 21. Jahrhundert das Motto der Bundesbürger.

Nur Siege zählen, bleibt wiederum das grün-weiße Motto im Bestreben, auch im 25. Jahr hintereinander die erste Liga zu halten. Was die beiden Talente noch lernen müssen? »Sehr viel«, lautet die Antwort unisono. Spielmacher Schelker weiß um seine Schwierigkeiten, die eigene Torgefahr und Schnelligkeit mit einem behutsamen Aufbau in Einklang zu bringen. Außenmann Becher ärgert sich über vergebene Wurfchancen. Das kann besser werden. Das dürfte auch ganz gewiss besser werden, wenn der ganz große Druck im Abstiegskampf vielleicht etwas nachlässt.

Apropos besser werden: »Erzähl doch mal von Deinem Abschneiden bei unserem Fußball-Managerspiel«, fordert Becher mit einem Grinsen seinen Spielmacher auf. Der schüttelt nur resigniert den Kopf. Schlimmer als Schalke 04 in der Bundesliga? »Viel schlimmer«, folgt die gefrustete Antwort, ehe beide lachen müssen.

Es gibt wahrlich Wichtigeres als Managerspiele. Und es gibt wahrlich schönere Monate als die vergangenen für Jonas Schelker und Lukas Becher. Aber wer weiß: Vielleicht blickt das Duo im nächsten Gespräch auf ein paar überaus erfolgreiche Monate zurück. Zu wünschen wäre ihnen das.

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