Für die Fans längst ein Frankfurter
Frankfurt . Philip Holzer, der Vorsitzende des Aufsichtsrates hatte sich lange Zeit gelassen mit der Suche nach einem neuen Sportvorstand, dem Nachfolger von Fredi Bobic. Nach vielen Gesprächen hat er sich für Markus Krösche entschieden. Krösche hat sich Zeit gelassen bei der Suche nach einem Nachfolger von Adi Hütter. Und hat dann Oliver Glasner als Trainer geholt.
Der Jubel hielt sich in Grenzen. Ausgerechnet Glasner, der in Wolfsburg mit dem Einzug in die Champions-League zwar einen großen Erfolg gefeiert hatte, aber doch etwas langweilig, manchmal sogar dröge, zumindest zurückhaltend rübergekommen war. Was für ein Irrtum!
Doch Glasner ist das genaue Gegenteil. Ihm ist es gelungen, die Herzen der Fans zu gewinnen. Sein Wutausbruch in Piräus, als er aus Ärger über eine Fehlleistung seiner Mannschaft den Ball in die Zuschauer gedroschen hat und dafür verwarnt wurde. Sein »Diver« nach dem Sieg in Barcelona, der »Diver« vor der Siegerehrung in Sevilla. Seine gestenreiche Arbeit am Spielfeldrand, all das hat überzeugt. »Ich bin dankbar, dass ich das erleben darf, die Liebe der Fans ist unglaublich«, hat er auf dem Römerberg wieder die richtigen Worte gefunden, »ich bin so stolz Trainer dieser Mannschaft zu sein.«
Glasner ist vom ersten Tag an eingetaucht in die Welt der Eintracht. In diese Stadt am Main, die sich nicht nur, aber auch durch die Eintracht in den letzten Jahren ein komplett anderes Image zugelegt hat. Frankfurt ist weltoffen und bunt, schön und erfolgreich. Glasner lebt mittendrin, in Sachsenhausen. Er geht abends ohne Scheu auch mal in eine Kneipe, er mischt sich unters Volk. »Ich habe so oft ›Danke‹ gehört, viele hatten Tränen in den Augen«, hat er gesagt, »das bleibt hängen, darauf können wir stolz sein.« Er ganz besonders.
Doch Glasner ist viel mehr als nur ein netter Mensch und intelligenter Gesprächspartner. Er ist ein herausragender Trainer, erst der dritte Österreicher nach Bela Guttmann und dem legendären Ernst Happel, der einen Europapokal gewonnen hat. Zum zweiten Mal in Folge hat er eine eher durchschnittlich begabte Mannschaft in die Champions-League geführt, 2021 den VfL Wolfsburg über die Liga, ohne dass dies groß jemanden interessiert hätte. Nun die Eintracht über den Europacup, was Wellen der Emotionen ausgelöst hat. Glasner, Frankfurt und die Eintracht haben sich gesucht und gefunden. In der Wahrnehmung der Fans ist er längst ein »Frankfurter« geworden, ein größeres Kompliment kann es nicht geben.
Glasner ist ein Analytiker, ein Perfektionist. »Ich bin eigentlich nie zufrieden«, sagt er und nennt »Ungeduld« als seine negative Eigenschaft. Er ist aber auch ein fleißiger Arbeiter. Er macht Spieler besser, das ist wohl das größte Lob für einen Trainer. Die Herzen sind ihm in Frankfurt nicht von Beginn an zugeflogen. Der holprige Auftakt, das Pokal-Aus in Waldhof, die Niederlagen zu Beginn - schnell gab es erste Zweifel. Doch Glasner ist immer bei sich und seiner Mannschaft geblieben. Er hat die Spieler nach und nach für sich gewonnen. Er trifft intern den richtigen Ton, was ihn von seinem Vorgänger Adi Hütter unterscheidet. Die Kommunikation nach außen ist vorbildlich. Er hat Zeit gebraucht um eine Formation zu finden, die auf die Eintracht zugeschnitten war. Aber er hat sie gefunden.
Die größte Stärke des Österreichers: Er ist in der Lage, alle Spieler mitzunehmen auf dem Weg, allen oder zumindest fast allen das Gefühl zu geben, dass sie gebraucht werden. »Es kann nur mit einer funktionierenden Gruppe gehen«, hat er immer wieder wiederholt, »am Ende war das unsere Stärke. Keiner hat sich über den anderen gestellt, die Egoismen haben sie zu Hause gelassen. Alle waren da, wenn sie gebraucht wurden.« Sätze wie ein Manifest, unterbaut mit Taten. Letztes Beispiel: Das Finale. Die Abwehr war weggebrochen, vorher schon Martin Hinteregger, während der Hitzeschlacht Tuta und Evan Ndicka. Makoto Hasebe war reingekommen, spielte klasse wie immer. Aber auch Christopher Lenz stand auf ungewohnter Position seinen Mann und schoss dann auch den ersten Elfmeter souverän ins Tor. Dass mit Almamy Touré ein »Reservist« aus dem Frühjahr als Stammkraft eingesprungen war, wurde schon gar nicht mehr erwähnt. Diese Liste wäre fortzusetzen.
Glasner hat vom Klub nie andere Spieler gefordert, er hat vielmehr die vorhandenen Profis gefördert. Er hat das Beste rausgeholt und noch ein bisschen mehr. Mehr war mit dieser Mannschaft nicht drin. Das wird er nicht gerne hören, denn der elfte Platz in der Liga fuchst ihn unheimlich. Für Glasner ist es Ansporn für die nächste Saison. Da muss die Eintracht besser werden. Die Champions-League ist dann das exklusive Zubrot.
Der neue Trainer hat mit der Eintracht in dieser Saison ziemlich weit unten angefangen und ganz weit oben aufgehört. Das trifft auch auf viele Spieler zu. Sogar auf Kevin Trapp. Der Nationalspieler wurde im letzten Herbst vom Bundestrainer Hansi Flick aus dem DFB-Kader geworfen. Eine Initialzündung. Der ehrgeizige Trapp wurde besser und besser und war am Ende überragend. Da ist der Brasilianer Tuta. Nach der Pokalblamage von Waldhof war er wochenlang außen vor. »Er hat nie geklagt, sondern sich zurückgekämpft«, erzählt Glasner. Tuta ist ein Juwel, womöglich der Abwehrchef auf viele Jahre. Da ist Filip Kostic. Am Anfang der Saison fast ein »Aussätziger«. Der Serbe wollte weg, streikte vor dem Spiel in Bielefeld. Das schlug Wellen. Er musste bleiben, der Trainer und die Mannschaft haben ihn wieder aufgenommen. Nun wurde er als bester Spieler der Europa-League geehrt.
Da war Martin Hinteregger. Nach der EM im letzten Jahr war er in eine tiefe Schaffenskrise gerutscht, auch wegen vieler Verletzungen. Doch er ist zurückgekommen. Gegen Sevilla, Barcelona und West Ham hat er wieder gespielt wie »Hinti« spielt. Kompromisslos, kämpferisch, leidenschaftlich. Kein Geheimnis, dass es Überlegungen gab und noch gibt, ihn im Sommer abzugeben. Doch kann es sich die Eintracht wirklich leisten, den Publikumsliebling zu verlieren? Da war Sebastian Rode. Dem Kapitän hatte der »Boulevard« bereits das Karriereende wegen seiner andauernden Knieproblemen prophezeit. Rode hat sich über Kurzeinsätze wieder herangekämpft, war am Ende der Saison in Topform. Karriereende? Ganz sicher nicht. Rode: »Ich freue mich riesig auf die Champions-League, die nehme ich noch mit.« Und da war noch Rafael Borré. Immer viel gelaufen, aber nicht genug getroffen. Auch das hat sich geändert. Der Kolumbianer hat in Barcelona ein Tor erzielt, er hat im Rückspiel gegen West Ham ein Tor erzielt, er hat den Ausgleich im Finale erzielt und den entscheidenden Elfmeter verwandelt.
»Es gibt Rückschläge, dann zeigt sich, ob du ein Großer bist. Die Mannschaft und der Verein sind zurückgekommen und die Jungs haben das Größte draus gemacht«, hat Glasner gesagt, »das ist eine Geschichte fürs Leben.« Bei der Eintracht sind es Geschichten von wahren Stehaufmännchen.