»Hier erfolgt eine Inklusion umgekehrt«

Friedberg/Gießen (tsu). Eine besondere Herausforderung. Die Sportlehrerin und Trainierin Claudia Doufrain über die Bedeutung des Sports für Kinder mit Handicap.
Losgelöst vom Goalball: Was macht den Sportunterricht mit sehbehinderten und blinden Schülern anders im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne Handicap?
Generell können Blinde und Sehbehinderte an allen Inhalten des Sportunterrichts teilhaben. Es bedarf lediglich Akzentuierungen, z.B. auf eindeutige Sprache zu achten oder auf Vereinfachung von Spielregeln. Problematisch sind natürlich alle Ballsportarten, aber auch hier kann man durch Vereinfachungen der Spielidee, dem Sehgeschädigten eine Vorstellung des jeweiligen Spiels vermitteln.
Vielfach wird beklagt, dass Kinder und Jugendliche zunehmend unbeweglicher werden und selbst an einfachen sportlichen Übungen scheitern. Welche Beobachtungen machen Sie in dieser Hinsicht bei Ihren Schülern?
Auch wir haben in den letzten Jahren, und durch die Pandemie verstärkt, beobachtet, dass die sportlichen Grundfähigkeiten wie Kondition und Koordination bei vielen Schülern große Defizite aufweisen. Das Bewegen draußen und auf Spielplätzen, sich mit Bällen oder anderen Sport- und Spielgeräten auseinanderzusetzen, weicht immer mehr dem Sitzen auf dem Sofa und dem Daddeln am Handy. Hinzu kommt, dass unsere Schüler erst spät nach Hause kommen und die wenigsten in einem Verein vor Ort integriert sind. Sportliche Betätigung findet meistens nur im Sportunterricht und in der Goalball-AG statt. In Bezug auf die Mannschaft waren vor allem die schlechtere Kondition sowie der Aufbau und die Erhaltung der Körperspannung Faktoren für viele Niederlagen, was ein besseres Abschneiden verhindert hat. Letztendlich bin ich aber froh, dass wir überhaupt starten durften und für die Schüler die Motivation aufgebaut wird, sich zu bewegen.
Warum ist Goalball die populärste Ballsportart für Menschen mit Seheinschränkungen?
Beim Goalball wird der optische Sinn komplett ausgeschaltet. Alle Spieler tragen eine lichtundurchlässige Brille, was eine Chancengleichheit für alle bedeutet. Zudem gibt es keinen Körperkontakt, wie beim Blindenfußball, zum Gegner. Man kann sich ganz auf den Ball und sich konzentrieren.
Solche Turniere wie in Berlin: Was für eine Bedeutung haben sie für die Schüler?
Neben dem Bundesfinale nehmen wir regelmäßig an der Deutschen Schulmeisterschaft und an Turnieren in der Schweiz und Österreich (hier Torball, eine in der Spielidee ähnliche Sportart) teil. Für die Schüler bedeutet es, Kontakte zu anderen Sehgeschädigten außerhalb unserer Schule aufzubauen und Freundschaften zu finden. Zudem sind es häufig die ersten Fahrten ohne Eltern und Familie. Die Teilnahme an einem Turnier ist für viele die Motivation in die Goalball-AG zu gehen und sich dann auch einem Verein anzuschließen. Viele meiner ehemaligen Schüler spielen jetzt für Marburg, Nürnberg und Ilvesheim in der 1. und 2. Bundesliga. Um möglichst einen Großteil für den Goal- und Torballsport zu begeistern, versuche ich deshalb unterschiedliche Schüler zu den einzelnen Turnieren mitzunehmen. Auch versuche ich eine Ausgewogenheit von Jungen und Mädchen einzuhalten.
Welchen Beitrag kann Goalball aus Ihrer Sicht in puncto Inklusion leisten?
Seit ein paar Jahren sind auch Sehende auf nationaler Ebene spielberechtigt. Hier erfolgt eine Inklusion umgekehrt. In der Schule versuche ich durch ein Inklusionsturnier, hier werden benachbarte Schulen eingeladen, die Regelschüler für Blinde und Sehgeschädigte zu sensibilisieren. Der Respekt für die Leistungsfähigkeit sowie das gemeinsame Spiel und den Spaß, den die meisten haben, sprechen dabei für sich. Leider konnte wegen der Pandemie dieses Turnier die letzten zwei Jahre nicht stattfinden, aber wir sind in der Planung und hoffen auf das nächste Schuljahr.