»Ich mag keinen Stillstand«

Gießen . Der Mann kennt sich definitiv mit Klassensprüngen aus: Mit Bayern Alzenau klappte zweimal der Aufstieg in die Regionalliga, mit den Sportfreunden Seligenstadt ging es in die Hessenliga. Und mit dem FC Hanau 93 schaffte er es von der Kreisoberliga bis ins hessische Fußballoberhaus.
Die Rede ist von Giovanni Fallacara. Der selbständige Unternehmer aus Kleinostheim bei Hanau ist das, was am Rande der Bande und darüber hinaus als nimmermüder »Antreiber« bezeichnet werden kann. Abteilungsleiter, Sportlicher Leiter, stellvertretender Vorsitzender sowohl des Hauptvereins als auch des Fördervereins - all diese Posten bekleidete Fallacara in Hanau. Nun soll er mit seinem Knowhow an vorderster Front helfen, den FC Gießen zu stabiliseren und zukunftsfähig zu machen. Drei Wochen nach seiner Vorstellung beim FCG, an den er sich für die nächsten zweieinhalb Jahre gebunden hat, kehrt der 45-Jährige heute mit seinem neuen Club zur »alten« Liebe nach Hanau zurück. Darüber hinaus spricht Fallacara im Interview auch über das große Ganze und seinen Aufgabenbereich in Gießen.
Anmerkung der Redaktion: Trotz der Absage des Hanau-Spiels (siehe Meldung auf dieser Seite) haben wir uns entschieden, das Interview - auch mit Fallacaras Ausführungen zum Hanau-Spiel - in seiner ganzen Länge abzudrucken.
Herr Fallacara, Sie waren selbst nicht Fußballer, sondern Ringer. Wie sind Sie zum Fußballfunktionär geworden?
Ich habe zwei Berufe gelernt: Masseur und Bauschlosser. Hobbymäßig habe ich damals bei Viktoria Aschaffenburg unter Trainer Rudi Bommer als Masseur gearbeitet. Da hat sich dann der Kontakt zu Bayern Alzenau ergeben, ob ich dort nicht gerne unterstützen würde. In Alzenau wurden dann meine verborgenen Talente in dem Bereich entdeckt.
Was haben Ringen und Fußball aus Ihrer Sicht gemeinsam?
Beides ist ein Mannschaftssport, ansonsten sind es natürlich zwei grundverschiedene Sportarten. Der Ringer ist ein Einzelkämpfer, der Fußballer funktioniert nur im Gespann. Wobei der Einzelkämpfer dem Fußball gut tun kann, weil er gelernt hat, sich alleine durchzusetzen.
Besteht die Gefahr, dass Sie am Samstag in Hanau in die falsche Kabine gehen?
Ich hoffe, das passiert mir nicht (lacht). Fast zehn Jahre habe ich das so in Hanau gemacht und war auch auf der Reservebank bei den Spielen. In den letzten Monaten habe ich mir das abgewöhnt, um Abstand zu bekommen, da ich schon auch ein emotionaler Typ bin. Trotzdem muss ich heute ein bisschen aufpassen, wenn ich allen »Hallo« sage, dabei nicht in der Hanauer Kabine zu landen. Aber böse wäre mir in dem unwahrscheinlichen Fall niemand.
Mit welchem Empfang rechnen Sie am Samstag in Hanau?
Ich gehe von einem absolut positiven Empfang aus. Mit den »Supporters« (traditionsreicher Fanclub von Hanau 93, Anm. der Redaktion) habe ich mich verabredet zu einem Bierchen, sie bekommen von mir zwei Kisten. Schließlich waren sie auch diejenigen, die mich dazu bewogen haben, »ja« zu Hanau 93 zu sagen. Ihr Support ist wirklich unfassbar, so habe ich das im Amateursport noch nie gesehen. Da habe ich einfach das Bedürfnis, »Tschüß« zu sagen. Das war bis jetzt noch nicht möglich. Was die Vereinsverantwortlichen angeht, ist alles gut. Da liegt nichts im Argen. Bei meinem Abschied auf der Jahreshauptversammlung des Fördervereins gab es nur positives Feedback, aber ich habe auch zehn Jahre für den Verein gebuckelt und es ist einiges entstanden, was sich sehen lassen kann. Der Trainer Kreso Ljubicic ist enttäuscht von meinem Weggang, das verstehe ich auch. Aber so ist das manchmal im Fußball. Ich treffe in jedem Fall auf viele Freunde.
Hanaus Trainer Ljubicic hat nach zwei Niederlagen in Folge das Aufstiegsrennen für seine Mannschaft öffentlich für beendet erklärt. Erleichtert das die Aufgabe für den FCG?
Ganz sicher nicht, dafür kenne ich alleine den Trainer zu gut. Dem wird nichts lieber sein, als gegen Gießen zu gewinnen, um mir das ewig bei einem Gläschen Wein unter die Nase reiben zu können. Bei den Spielern wird das nicht anders sein. Die wollen nach zwei Niederlagen wieder punkten, und es ist auch etwas Besonderes für sie, weil Gießen Zweiter ist. Beim 1:2 gegen Steinbach war der Kapitän im Ausland, einige andere Spieler waren krank. Gegen uns wird das nicht der Fall sein, Hanau wird um jeden Meter fighten.
Sie hatten in Hanau über die vielen Jahre viele Funktionen, unter dem Strich trifft es die Bezeichnung »Macher« wohl am Besten. Was fällt in Ihren Tätigkeitsbereich beim FCG?
Der offizielle Titel ist der des Sportdirektors. Ich bin also für den sportlichen Bereich und die wirtschaftliche Seite zuständig. Es war der Wunsch der Führung, dass ich mithelfe, den Etat aufzubauen und wenn er feststeht, ihn gerecht zu verteilen und vor allem auch einzuhalten. Davor gehört der Etat selbstverständlich erst einmal eingetrieben, da spreche ich mit aktuellen Sponsoren und versuche auch, neue für den FC Gießen zu gewinnen. Ich probiere auch, da Ideen einzubringen, die ich in Hanau eingeführt habe. Ich sehe mich als Unterstützung für Michél Magel. Auf sportlicher Ebene bin ich das Bindeglied zwischen Vereinsführung und dem Trainerteam sowie der Mannschaft. Ich werde die Verträge verlängern, neue Spieler holen und auch den einen oder anderen Spieler wegschicken müssen. Ich bin dafür verantwortlich, die Mannschaft wettbewerbsfähig zu machen und an den Trainer zu übergeben.
Mit Trainer Daniyel Cimen und Michael Fink, den beiden Speerspitzen beim FCG, verbindet Sie nach eigenem Bekunden »eine große Freundschaft«. Ist durch Ihr Kommen eine Vertragsverlängerung der Beiden nur Formsache?
Wir sind in Gesprächen und ich bin guter Dinge, dass wir den eingeschlagenen Weg weiter miteinander beschreiten.
Daniyel Cimen ließ durchblicken, dass ein entscheidender Faktor für seine Vertragsverlängerung sein könnte, nicht noch einmal einen komplett neuen Kader aus dem Boden stampfen zu müssen. Wie weit sind Sie damit, einen Stamm aus dem aktuellen Kader auch für die kommende Saison zu halten?
Wir wollen ein Fundament, bezogen auf die Trainer- und Spielerseite, schaffen, das länger hält. Dafür streben wir Zwei-Jahres-Verträge an. Da bin ich mittendrin im Geschehen. Ich spreche mit den aktuellen Spielern von uns, aber auch mit möglichen Neuzugängen. Ich gehe davon aus, dass ich Mitte April mit allen Spielern aus unserem derzeitigen Kader durch bin. Wir möchten gerne, dass der Großteil bleibt, das wird die Hälfte auf jeden Fall überwiegen. Ich bin ein Menschenfreund, nehme mir Zeit für die Spieler. Bei den Gesprächen merke ich, dass das den Spielern gefehlt hat: Jemand, der sich kümmert, der ihnen zuhört. Sie bekommen jetzt dieses Gefühl und auch deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass die Spieler, die wir halten wollen, auch bleiben werden.
Im aktuellen Kader ist kaum ein Spieler aus dem Kreis Gießen oder Mittelhessen. Nun kommt mit Ihnen der neue Sportliche Leiter ebenfalls aus dem Rhein-Mein-Gebiet. Gemäß »Offenbach Post« ist Hanaus Keeper Armend Brao in Gießen im Gespräch. Können Sie Kritik nachvollziehen, dass Gießen als Hessenligist mehr Lokalkolorit ausstrahlen muss und welchen Weg will der Club künftig gehen?
Ich kann das absolut nachvollziehen und das ist auch für mich ein großes Bestreben. Das war in Hanau auch so, da waren 70 Prozent aus der Stadt oder den Stadtteilen. Mir persönlich ist das sehr wichtig, aber wenn wir den Aufstieg tatsächlich schaffen sollten, würde es sehr schwerfallen, diesen Spielern zu sagen, dass sie gehen sollen. Sie haben sich etwas gemeinsam erarbeitet, das zu honorieren ist. Mittelfristig richten wir die Augen natürlich auf Spieler, die aus der Gießener Umgebung kommen. Da schaue ich mich im Moment bereits um und arbeite mich ein. Mit einem Augenzwinkern versehen: Der FSV Fernwald soll sich dann so nicht mehr im Gießener Raum bedienen können. Andererseits: Wenn Spieler mal länger im Verein sind, werden sie auch zu Gießenern. Wir haben Jungs, die nach Gießen ziehen. Und das nicht, weil sie mit dem Fußball ihr Geld verdienen, sondern weil sie sich wohl fühlen und Lust darauf haben. Es gibt sehr interessante Spieler aus der Umgebung, aber wir werden niemanden um jeden Preis holen. Wir werden sehr bodenständig arbeiten. Was ich verraten kann: Wir sind an einem echten Gießener dran und können da womöglich bald Vollzug melden.
Nach dem Patzer der Eintracht beim Dritten Türk Gücü Friedberg (2:4) ist Gießen bis auf drei Zähler an der Spitze dran bei einer Nachholpartie. Ist der Titel wirklich drin und damit der Direktaufstieg?
Das werden wir sehen. Aber in dieser Konstellation nicht daran zu glauben, wäre verrückt. Aktuell ist das aber wirklich kein Thema für uns. Wir legen den Fokus von Spiel zu Spiel und genießen den Moment. Die Eintracht müsste noch patzen, wir haben noch einige schwierige Spiel vor uns. Wenn es am Ende Platz eins wird, wäre das unfassbar. Platz zwei wäre hervorragend und wir hätten in jedem Fall noch ein schönes Heimspiel in der Aufstiegsrelegation. Und selbst wenn es Platz drei würde, wäre das insbesondere vom Trainerteam ein herausragender Job gewesen - bei der schwierigen Aufgabe, vor der alle vor der Runde standen.
Bei den Fehlern der Vergangenheit und angesichts doch einiger wirtschaftlicher Fragezeichen stellt sich die Frage: Wäre ein weiteres Jahr Hessenliga nicht besser für den Verein als ein möglicher direkter Wiederaufstieg?
Mit Sicherheit. Der Aufstieg ist kein »Muss«. Klar ist jedoch auch: Wenn du antrittst, willst du auch das Bestmögliche herausholen. Wenn der Mannschaft der Aufstieg gelingt, ist es unser Job, Gas zu geben, um die Regionalliga ermöglichen zu können. Das alles Entscheidende ist dabei der wirtschaftliche Faktor. Gönnt die Wirtschaft dem Club und der Mannschaft die Regionalliga? Alles andere funktioniert nicht.
In Hanau hatten Sie zu Ihrem Amtsantritt einen Vier-Jahres-Plan mit drei anvisierten Aufstiegen verkündet. Können Sie beim FC Gießen auch solch konkreten Ziele für Ihre Tätigkeit nennen?
Mit Hanau lässt sich das nicht vergleichen. Der HFC war bei meinem Beginn in der Kreisoberliga, Gießen ist ein Hessenliga-Spitzenteam. Aber auch ansonsten wäre es unseriös, sich jetzt dazu zu äußern. Ich mag keinen Stillstand, das ist nicht meine Welt. Noch allerdings bin ich nicht im gesamten Apparat drin. Ich muss erst herausfinden, wie viele Menschen es gibt, die noch mitziehen und helfen. Auf Turgay Schmidt und Michel Magel kann ich sehr stark bauen.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen in puncto Infrastruktur und Manpower?
Bei der Infrastruktur ist das die Trainingskapazität, die ist für einen Hessenligisten schlichtweg nicht gut. Da haben wir dringend Bedarf. Ziel ist es, aus dem Hartplatz am Stadion einen Rasen zu machen. Und von der Manpower her müssen wir uns unbedingt breiter aufstellen. Turgay Schmidt und Michel Magel sind am Anschlag, was die beiden leisten und abdecken in einem solch großen Verein, ist unmenschlich. Da müssen mehr Leute mit ins Boot geholt werden. Mit David Gerisch ist auf der Geschäftsstelle der Anfang gemacht. Er macht einen tollen Job. Mich kann man immer ansprechen, wenn jemand bereit ist, etwas im Verein zu tun. Das muss überhaupt nicht finanziell sein, es gibt viele Stellen, die viel Spaß machen.
Gießen . Das für heute um 15 Uhr angesetzte Spiel des FC Gießen beim 1. Hanauer FC wurde gestern Nachmittag kurzfristig abgesetzt. Grund: Der Rasenplatz an der Kastanienallee wurde wegen Unbespielbarkeit von der Stadt Hanau gesperrt. Sowohl Gießens Trainer Danyiel Cimen als auch FC-Geschäftsführer Michèl Magel waren über diese Nachricht not amused: »Das ist schon sehr unglücklich«, sagte Magel auf Nachfrage, »wir haben die Woche sehr gut trainiert, die Mannschaft ist gut drauf, auch Daniyel war sehr zufrieden.« Ärgerlich ist die Absetzung auch deshalb, weil der FCG nun bereits zwei Spiele im Rückstand ist. So findet das ebenfalls ausgefallene Spiel beim SV Neuhof bereits am Ostermontag statt. Übrigens: Die Partie des FC Gießen gegen den SC Waldgirmes am Gründonnerstag wurde unterdessen von 19 auf 18.15 Uhr vorgezogen. Mangels Flutlicht im Waldstadion. (rd)