Im Licht des Bullen-Auftritts

Wetzlar. »Der muss den Sieg erst mal verkraften«, begründete ein Anhänger des RSB Thuringia Bulls die Verspätung von Trainer Michael Engel bei der Pressekonferenz. Das Schmunzeln auf den Lippen des Fans aus dem Thüringischen unterstrich, dass diese Antwort nicht ernst gemeint war. Wie auch? Denn erst am 4. März hatten die Bullen aus Elxleben einen klaren 78:
58-Erfolg beim RSV Lahn-Dill eingefahren.
Nach dem seinerzeitigen Hauptrunden-Rückspiel der beiden deutschen Erzrivalen im Rollstuhlbasketball feierten die Schützlinge von Engel sechs Wochen später in der RSV-Heimstatt einen 81:53 (43:24)-Sieg. Damit entschieden sie das erste von maximal drei Finalspielen um den deutschen Titel für sich.
So demoralisierend sich das Ergebnis für die Mittelhessen anhören mag, alle Kenner der Materie wussten nach der Partie, dass damit noch nichts entschieden ist. »Es geht nächste Woche weiter«, konstatierte Engel nüchtern. Wohl wissend, dass dem 14-fachen Deutschen Meister in Elxleben schon ein Sieg mit einem Punkt Vorsprung reicht für ein drittes Aufeinandertreffen (dann direkt danach am Sonntag erneut vor den Toren Erfurts).
So gestand die gefasst wirkende RSV-Übungsleiterin Janet Zeltinger, dass sie sich erst einmal das Video des Spiels ansehen wolle. Ergänzte aber auch: »Wir wissen, dass wir dort gewinnen können.« Schließlich hatten sie das im Hauptrundenhinspiel mit 70:66 schon zelebriert.
Lahn-Dill-Center Matthias Güntner blickte ebenfalls voraus: »Wir müssen härter verteidigen und besser treffen«, sagte der Nationalspieler mit Blick auf die gerade absolvierten 40 Spielminuten. Für die sein Mannschaftskollege Thomas Böhme den Knackpunkt beschrieb. »Das erste Viertel, ja die ganze erste Halbzeit war unser Problem«, sagte er zu den schnellen 2:12- (4. Spielminute) und 9:21-Rückständen (8.). Auf der zweiten Halbzeit, die für sich genommen 29:38 ausging, könne man aufbauen. »Wir fahren nicht dahin, um zu verlieren«, bekräftigte der Routinier.
Doch auch Böhme hat im Hinterkopf, dass in der zweiten Saisonhälfte der Wurm drin ist im Spiel seine Farben. Nach der Weihnachtspause haben die Schützlinge der Trainer Janet Zeltinger und Günther Mayer nie mehr an die souveräne 2022-Leistung anknüpfen können. Die verlustpunktfreie Tabellenführung ging flöten, etliche Spiele, auch in heimischer Arena, wurden erst mit einem Kraftakt in der Schlussphase und dank der individuellen Qualitäten der Mittelessen gewonnen. Und immer wieder war eine schwache Wurfquote hauptsächlich verantwortlich für den Qualitätsverlust.
Kenner des Mannschaftssports wissen, dass ähnliche Entwicklungen nur selten am Training(saufwand) liegen. Dass da meist mentale Faktoren mitentscheidend sind. Die abrupte Trennung von Sommer-Neuzugang Ghazan Choudry vor wenigen Tagen zeigt, dass beim RSV bei der Mannschaft der Saison 2022/23 nicht alles rund läuft.
Doch alle diese Faktoren müssen auch im Licht des Bullen-Auftritts gesehen werden. Denn die Thüringer präsentierten sich wie aus einem Guss, gleichermaßen stark im Angriff wie in der Verteidigung. Die Worte von RSV-Center Güntner (»Sie hatten einen sehr guten Start«) erklären nur zum Teil die Dominanz der Gäste. Genauso ist die Aussage von Janet Zeltinger (»Thüringen hat besser getroffen, das war entscheidend.«) nur eine Teilerklärung. Und auch Michael Engel nannte nur einen, allerdings wichtigen, Faktor: »Wir haben das ganze Spiel defensiv kontrolliert.«
Gerade auf die aktuellen Probleme des RSV Lahn-Dill bezogen, präsentierte sich der fünfmalige Deutsche Meister (zuletzt 2021) fast wie ein Gegenbeispiel als homogene und spielstarke Einheit. So überzeugte Aliaksandr Halouski (trotz besonderer Beachtung der Gastgeber-Abwehr) genauso wie der routinierte Iraner Valid Gholomazad als eifriger Punktesammler mit 17 und 20 Zählern.
Coach Engel stellte aber heraus, dass Rollstuhlbasketball ein Teamsport sei und seine gesamte Mannschaft aufgetrumpft habe. Wohl war. So trafen auch Jordi Ruiz Jorda (13) und Jens Albrecht (10) zweistellig und war niemand im Zehner-Team der Bulls, dem eine schlechte Note hätte erteilt werden müssen. Schon allein die Energie und Dynamik des Spaniers Ruiz nach seinen Einwechslungen bestachen.
So geht der RSB Thuringia Bulls auch als Favorit in das zweite Treffen der Playoff-Meisterschaftsrunde. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Trainer Michael Engel jetzt am Samstag erst einmal eine Niederlage verkraften muss.