Im Sinne des Handballs

Wetzlar. Wer in der vergangenen Saison die Partien der Mittelhessen Youngsters in der A-Jugend-Bundesliga gesehen hat, dem könnte etwas aufgefallen sein. Spielten die Handballer in Dutenhofen, waren die Talente in Blau gekleidet. Wenn der Nachwuchs in der Hüttenberger Heimstätte sein Können zeigte, dann wählte er die grünen Trikots.
Nur ein Zufall, dass die jeweiligen Vereinsfarben des TV Hüttenberg und der HSG Dutenhofen/Münchholzhausen in den Sporthallen des einstigen Erzrivalen zu sehen waren? Natürlich nicht. Immerhin fusionen die beiden Vereine seit der vergangenen Saison in dieser Altersklasse. Trotz Kritik, teilweise auch aus den eigenen Reihen.
Da kann ein Trick wie mit den Trikotfarben durchaus helfen, um Widerstände zu durchbrechen. »Wir hatten nur einen Schuss, und der musste sitzen«, sagt Markus Schwarz. Nun, eine Spielzeit später, kann der Jugendwart des TVH zufrieden feststellen: »Wir haben das richtig gut hinbekommen.« So gut, dass die beiden Clubs längst die nächsten Schritte eingeleitet haben. Denn auch in der C- und B-Jugend machen die Verantwortlichen im leistungsbezogenen Bereich künftig gemeinsame Sache.
Was hat es damit auf sich? Wie soll das Konstrukt aussehen? Und wie fällt das erste Fazit nach einer Saison aus? Diese Zeitung ist auf Spurensuche gegangen.
Gründung
Gerüchte und Gespräche gibt es schon sehr, sehr lange, aber 2019 wird es schließlich konkret. Die erste Sitzung findet statt. Beim TV Hüttenberg sind Abteilungsleiter Patrick Zörb und Markus Schwarz die Rädelsführer, die HSG vertreten der damalige Jugendkoordinator Andreas Klimpke und Vorstandsmitglied Martin Weber. Letztgenannter erinnert sich: »Es war sehr viel Arbeit. Wir mussten viele Details berücksichtigen, um die Kooperation auf den Weg zu bringen.«
Fortan trifft sich die Gruppe jeden Montag - bis heute. »Wir haben uns so akzeptiert, wie wir sind. Wir wollten uns in den Gesprächen auch nicht untereinander davon überzeugen, was richtig und was falsch ist, sondern haben immer offen und manchmal auch kontrovers, aber immer im Sinne der Sache, diskutiert.« Worte, die Markus Schwarz nur unterstreichen kann. »Wir sind ein großes Wagnis eingegangen. Uns waren die Kritiker, natürlich auch aus den eigenen Vereinen, bewusst. Dann kam auch noch Corona. Jeder Verein hat andere Abläufe und arbeitet anders.«
Für alle vier Funktionäre ist der Weg alternativlos. »Mittelhessen ist eine stolze Handballhochburg. Deren Fortbestand gerade im Bereich Talentförderung sollten wir beispielsweise nicht durch Kirchturmdenken aufs Spiel setzen«, betont Martin Weber, während Markus Schwarz anfügt: »Ohne diese Kooperation könnten wir auf langer Sicht keinen Leistungssport aufrecht erhalten. Wir wären sonst untergegangen. Daher war mir das die Sache wert.« Martin Weber fügt an: »Wir haben nicht einmal gezweifelt.« Die beiden Übungsleiter Mario Weber und André Ferber erweisen sich als ein Glücksgriff. »Wir wussten, dass wir zu Beginn nicht perfekt aufgestellt waren. Mit Ausnahme der Trainer und des Teams«, erklärt Martin Weber.
Erweiterung
Schon früh ist den Verantwortlichen klar, dass das entwickelte Modell auch auf die B- und C-Jugend übertragen werden sollte. Bereits seit Januar trainieren im leistungsbezogenen Bereich die Mannschaften gemeinsam. »Ein Quantensprung«, erzählt Markus Schwarz und fügt an: »Die Qualität in den Einheiten steigt um ein Vielfaches.« Zwar finden auch gemeinsame Einheiten statt, aber im Kern setzen die Vereine auf Jahrgangsmannschaften.
Im Klartext: In der B-Jugend läuft der Jahrgang 2006 unter dem Namen der HSG Dutenhofen/Münchholzhausen auf, die 2007er spielen in dieser Altersklasse unter den Namen TV Hüttenberg, in der C-Jugend sind die Ältesten (2008) beim TVH und die Jüngeren (2009) bei der HSG. Der Clou dabei: Sowohl in der C- als auch in der B-Jugend spielen beide Teams mit je 14 Spielern in der Oberliga.
»Das«, erklärt Markus Schwarz, »ist bei uns anders als bei einem Internat. Jeder Spieler hat bei uns die Möglichkeit, sein Potenzial abzurufen und sich später mal für die A-Jugend-Bundesliga zu beweisen. Wir können es uns nicht erlauben, schon vorher ein Talent auszuschließen. Daher sind diese beiden Mannschaften in einer Liga sinnvoll für uns.« Martin Weber spricht von einem »Trichter-Modell.« Bedeutet für ihn: »In der C- und B-Jugend stellen wir je zwei Mannschaften, die dann in der A-Jugend das Bundesliga-Team bilden.«
In dieser Altersklasse bietet der TVH zudem ein zweites Team an, dass nun im zweiten Jahr in Folge in der Oberliga zu Hause ist. Spieler, die also nicht den Sprung nach oben schaffen, würden also weich fallen. Ein Problem bleibt aber dennoch: Eine Spielgemeinschaft darf zwar mit einem weiteren Club in der Jugend fusionieren, aber nicht in den höchsten Ligen antreten.
Zeitgleich soll die Marke gestärkt werden. Schwarz dazu: »Eine Lösung könnte sein, die Teams nach Jahrgängen zu bezeichnen, also bei der B-Jugend Mittelhessen Youngsters 06 und Mittelhessen Youngsters 07.« Unberührt bleiben die zweiten Mannschaften jener Altersklassen. Der TVH schickt in der B- und C-Jugend eine »Zweite« ins Rennen, die HSG bei der B-Jugend.
Trainer
Die A-Jugend trainieren Mario Weber und Sebastian Roth. Um das Oberliga-Team kümmern sich Peter Küster und Markus Groß. Bei der B-Jugend haben Markus Semmelroth (Jahrgang 2006) und Michael Ferber (2007) das Sagen. Unterstützung bekommen sie von Stefan Kneer und Hendrik Schaus. Die jüngsten beiden Mannschaften der Mittelhessen Youngsters betreuen Fabian Kraft (2009) und Tim Lauer (2008), gemeinsam mit ihren Co-Trainern Paul Lenz und Luca Kaiser. Zum Trainerteam gehören auch noch zwei Athletik- und drei Torhütertrainer.
Koordinatoren
Für die Mittelhessen Youngsters gibt es zwei Jugendkoordinatoren: Matthias Wendlandt (HSG) und André Ferber (TVH). Das Duo hat dabei unterschiedliche Aufgaben. Während André Ferber zum Beispiel für die Trainingsinhalte zuständig ist und auch mal Einheiten übernimmt, kümmert sich Matthias Wendlandt um das Scouting.
Stichwort Scouting: »Wir wollen idealerweise die Besten der Besten haben, die gleichzeitig auch bereit sind, Leistungssport zu betreiben«, macht Martin Weber klar, dass das Abwerben von Spielern zwar dazugehört, aber nicht in Quantität, sondern in Qualität. »Die Arbeit andere Vereine wollen wir definitiv nicht diskreditieren. Unser Anspruch muss es aber sein, die Region Mittelhessen stark zu machen. Wenn wir mit unserer Arbeit auch Spieler für Mannschaften aus der fünften Liga beliefern, haben wir etwas richtig gemacht.« Matthias Wendlandt sagt über seine neue Aufgabe: »Wir sind jetzt schon mehr als eine Alternative zu Internaten. Wir sind der Weg, in dem Kinder in ihrem sozialen Umfeld ausgezeichnete Jugendarbeit auf höchstem Niveau erhalten. Für die Zukunft werden wir außerdem Kooperationen mit Schulen ausbauen, Trainer intern fort- und ausbilden, noch individueller trainieren, Ausbildungspläne optimieren und Konzepte für den Übergang für junger Spieler in die aktiven Mannschaften umsetzen.« Sein Pendant André Ferber führt an: »Das ganzheitliche Ausbildungskonzept bildet die Grundlage für die Entwicklung erfolgreicher Handballer innerhalb der einzelnen Altersstufen - made in Mittelhessen. Unser Ziel ist es, Spieler langfristig in die Bundesliga zu führen.«
In ihrer Arbeit stehen die beiden auch im Austausch mit Lehrer-Trainer Volker Michel und Koordinator Jens Hofmann vom Regionalen Talentzentrum (RTZ) Wetzlar.
Nächste Schritte
Es gibt noch viel zu tun. Die Verantwortlichen wollen die Infrastruktur weiter verbessern, das Personal ausbauen und - aus wirtschaftlicher Sicht ganz wichtig - die Marke Mittelhessen Youngsters bekannter machen.
»Wir wollen begeistern, Talente und deren Eltern mitnehmen und ein fester Begriff werden«, betont Martin Weber. Nicht betroffen von der Zusammenarbeit ist nach wie vor die E- und D-Jugend. Aber auch hier könnte es laut Markus Schwarz schon zu einer Zusammenarbeit kommen, wie zum Beispiel gemeinsame Trainingseinheiten. »Natürlich wollen wir so viele Einheimische wie möglich in den Leistungsbereich integrieren. Wir wollen nicht aggressiv Spieler abwerben, denn uns ist bewusst, wie wichtig die Arbeit an der Basis ist. Wir handeln im Sinne des Handballs.«