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Sich strecken im Oberhaus: Anadin Suljakovic reist mit der HSG Wetzlar nach Leipzig. Foto: Ben

Kein Himmelfahrtskommando

Wetzlar. Rechenschieber hin, Gefühlsbarometer her: Die HSG Wetzlar kann in Leipzig den Klassenerhalt in der Handball-Bundesliga perfekt machen. Die Mittelhessen kämpfen aber am Donnerstagabend (19.05/Sky) nicht nur um die nackten Zahlen. »Wir«, sagt Trainer Jasmin Camdzic mit Nachdruck, »wollen uns weitere Erfolgserlebnisse verschaffen, um mit einem guten Gefühl in die Vorbereitung zur nächsten Saison zu sehen.

Auch das ist sehr wichtig.«

DHfK Leipzig - HSG Wetzlar (Donnerstag, 19.05 Uhr)

Doch vor dem Blick aufs emotionale Barometer steht dennoch die pure Zahlenarbeit. Mit einem eigenen doppelten Punktgewinn und einer Niederlage des Abstiegskonkurrenten am Samstag in Berlin hätten sich die Grün-Weißen auch ihre 26. Saison im Oberhaus in Folge gesichert. Bei dann sieben Punkten Vorsprung und noch drei verbleibenden Partien könnte nicht einmal ein überehrgeiziger Doktorand am Gießener Mathematikum noch irgendwelche Zweifel herbei zaubern. Doch Vorsicht: Unterliegt die HSG und Minden feiert die faustdicke Überraschung beim Spitzenteam könnte der Erstliga-Endspurt doch noch zur Zitterpartie verkommen.

Auf derartige Schwarzmalerei mag sich Camdzic jedoch nicht einlassen. »Nach dem wochenlangen Hin und Her haben wir die Zeit nach dem Sieg gegen Hamm genossen und können nun auch etwas befreiter auftreten«, sieht der Bosnier den 29:24-Sieg gegen das Schlusslicht als sportliche Traumatherapie für seine zuvor ziemlich blockierten Schützlinge an. Die er dann auch im gleichen Atemzug nochmals lobt: »Wir haben da nicht nur gut in der Abwehr gestanden, sondern auch stark im Angriff gespielt. Magnus Fredriksen macht das derzeit überragend als Spielmacher, auf Lenny Rubin und Stefan Cavor können wir uns verlassen. Und Lukas Becher war einfach unglaublich«, lobt er seine fast schon Neuentdeckung auf Linksaußen, der zuvor ja nur der Ersatz für den allerdings zuletzt abschlussschwachen Emil Mellegard war: »Lukas hat seine Aufgaben gegen Hamm prächtig erfüllt mit den sicher verwandelten Siebenmetern, aber auch generell in Angriff und vor allem Abwehr.«

Wenn der mittelhessische Handball-Bus dann heute nach dem Vormittagstraining gen Osten aufbricht, sitzen auf den vorderen Plätzen also erstmals seit langem auch wieder die gerne gesehenen Gesellen namens Zuversicht und Selbstvertrauen einträchtig nebeneinander. Ein Himmelfahrtskommando am Himmelfahrtstag ist die Auswärtspartie bei schwächelnden Gastgebern gewiss nicht.

Doch Vorsicht: Zwar steckt Leipzig in einem finsteren Abwärtsstrudel, doch erstens sind angeschlagene Gegner bekanntlich doppelt gefährlich und zweitens verbirgt sich hinter dem lustigen Namen Sportclub Deutsche Hochschule für Körperkultur ein beachtliches Team. »Das«, weiß natürlich Camdzic, »ist eigentlich eine Spitzenmannschaft mit ganz großer Qualität. Sie haben nur eine schwierige Saison hinter sich, in der sie alle europäischen Ziele verpasst haben.«

Die Krise Leipzigs könnte zur Chance Wetzlars werden. »Wir müssen geduldig spielen und die Nervosität des Gegners nutzen«, so der Plan des HSG-Trainers. Dazu allerdings »müssen wir uns auf harte Eins-gegen-eins-Duelle einstellen«. Bestehen die Domstädter diese Duelle bei den Körperkulturtreibenden, rauben Leipzig am Ende die Punkte und können am Samstag gar einen Haken hinter die Mission Klassenerhalt machen, dann wäre das eben auch gut fürs Gefühlsbarometer. Das Barometer, das für eine unbeschwerte kommende Saison so wichtig wäre, von dem aber weiter unklar ist, wer das Messinstrument dann in Händen hält.

Bleibt sogar der Mann auf der Trainerbank, der nie den Chefposten wollte, jetzt aber zum Retter werden könnte? »«Das«, sagt Camdzic mit einem Lachen, aber auch mit überraschend neuem Inhalt, »weiß man nie. Man soll im Leben nichts ausschließen.«

Vielleicht also will sich der bisherige Sportliche Leiter mit einem Sieg selbst ein gutes Gefühl als Cheftrainer für die nächste Runde verschaffen. Aber vor allem endlich den lästigen Rechenschieber im Erstliga-Abstiegskampf am besten in die gelbe Tonne werfen.