Neue Heimat Heyerweg

Morbus Crohn hat der Spielerkarriere von Alexander Steinmetz einen Strich durch die Rechnung gemacht. Beim B-Ligisten ACE Gießen hat der 29-Jährige aber eine neue Aufgabe gefunden.
Gießen. »Herzlich Willkommen« steht auf einem Schild unmittelbar hinter dem Eingang zum Sportplatz am Heyerweg, den der ACE Gießen seine Heimat nennt. »Willkommen«, begrüßt Alexander Steinmetz, den hier jeder schlicht Alex nennt, seinen Gesprächspartner. Dabei ist er doch eigentlich derjenige, der gerade erst seine Zelte am Gießener Eulenkopf aufgeschlagen hat. Allerdings nicht als Spieler, obwohl sich der 29-Jährige - jahrelang für den RSV Büblingshausen unterwegs gewesen - selbst noch im allerbesten Fußballalter befindet. Und doch nur noch eine Restchance besitzt, doch noch einmal gegen das runde Leder zu kicken.
Der in Niederwetz aufgewachsene und nun in Volpertshausen lebende Steinmetz blickt dennoch auf eine illustre Fußball-Vergangenheit zurück. Bei der SG Reiskirchen/Niederwetz das Fußball-Ein-mal-Eins gelernt, zieht es ihn anschließend in die Wetzlarer Vorstadt zum RSV, dann aber als C-Junior ein wenig unverhofft ins Nachwuchsleistungszentrum der Kickers Offenbach. »Durch die Bezirksauswahl ist der OFC auf mich aufmerksam geworden«, erinnert sich der ehemalige Linksverteidiger. »Mein Vater hat damals in Frankfurt gearbeitet, daher hat das mit dem Pendeln irgendwie noch funktioniert.« Kurz bevor der Wechsel an den Main erfolgt, aber der Schock, der das Leben des jungen Mannes von Grund auf ändert: Morbus Crohn.
Mit der chronisch-entzündlichen Darmkrankheit ist höherklassiger Fußball kaum zu schaffen, dennoch wagt der noch junge Steinmetz den Sprung zum OFC - immerhin für ein Jahr, denn der Zeitaufwand ist dann doch zu groß. »Teilweise war ich erst um 23 Uhr zuhause«, blickt Steinmetz zurück. Das zweite Jahr C- sowie die gesamte B-Jugend verbringt er beim VfB Marburg, dann geht es kurzzeitig zurück nach Büblingshausen, mit 20 Lenzen weiter zum SC Waldgirmes in die Verbandsliga. Dann wieder zum RSV in die Wetzlarer Vorstadt, wo er bis zuletzt aktiv ist. Immer im Schatten mit an Bord: die Krankheit.
Morbus Crohn ist nicht heilbar, Schübe und Remission wechseln sich ab. Wie lange und intensiv die jeweiligen Phasen sind, ist kaum auszumachen (»In der Regel drei- bis viermal pro Jahr«). Alex Steinmetz versucht es zu verdeutlichen: »Man muss sich das wie eine extreme Magen-Darm-Erkrankung vorstellen.« Täglich 50 bis 60 Mal zieht es ihn in extremen Phasen auf die Toilette, Auswärtsfahrten müssen genau geplant sein. Aber: Der 29-Jährige lässt sich nicht kleinkriegen, im Schnitt spielt er dennoch 15 bis 20 Partien pro Saison. Zumindest bis vergangenen Sommer.
Nach einem Kreispokal-Spiel seines RSV Büblingshausen in Volpertshausen zieht er die Reißleine, zu stark ist der Schub, der ihm quasi den Boden unter den Füßen wegzieht. Oder treffender: »Als hätte mich ein Zug überrollt.« Es folgen eine Woche im Krankenhaus und eine vierwöchige Reha. Zum ersten Mal rückt der Fußball für längere Zeit in Hintergrund, mehr als sechs Monate lang tritt er nicht gegen den Ball. Bis zur Jahreswende - praktisch aus dem Nichts kommt dann der Lockruf vom Eulenkopf.
Es folgen eine Woche im Krankenhaus und eine vierwöchige Reha. Zum ersten Mal rückt der Fußball für längere Zeit in den Hintergrund, mehr als sechs Monate lang tritt er nicht gegen den Ball. Bis zur Jahreswende - praktisch aus dem Nichts kommt dann der Lockruf vom Eulenkopf.
Der ACE, seines Zeichens traditionsreicher Stammgast der Kreisliga B, und Steinmetz, der bis auf sein Studium der Kindheitspädagogik nur wenig mit Gießen verbindet - wie passt das zusammen? »Der Kontakt kam über Sergio zustande«, erklärt der 29-Jährige und meint damit ACE-Kapitän Sergio Quintero. Zunächst zwar nur als kleine Spinnerei gedacht, werden schnell zielgerichtete Gespräche geführt. Und dann ist alles spruchreif. »Es ist eine total spannende Aufgabe«, grinst Alex Steinmetz voller Stolz. Für ihn ganz besonderes Balsam: Es macht Spaß, auch weil er sich seit nun fünf Monaten wieder besser fühlt. Und seine Spieler machen es ihm auch leicht, wie er betont. So sind nach eigener Aussage oft 15 Spieler im Training - und das bei zuletzt regelmäßig sehr hohen Temperaturen und eines straffen Programms. »Alle ziehen mit«, lobt Steinmetz seine Jungs, die nun merklich fitter als noch in der abgelaufenen Rückrunde sind. »Da hat sich sogar schon die eine oder andere Freundin gewundert«, lacht er. Der Trainer, der über die B-Lizenz verfügt, fördert und fordert sein Team im physischen Bereich. Kein Wunder, der kleine Erdwall hinunter auf den Rasenplatz lädt zum magath’schen Training gerade zu ein. Dass nur drei- anstatt fünfmal die Woche trainiert wird, ist da ein Vorteil. So bleibt genug Regenerationszeit.
Fußballspielen neu gedacht
Aber nicht nur körperlich macht seine Mannschaft viele Fortschritte, auch auf dem Feld sei ein klarer Aufwärtstrend erkennbar. »Man muss sich das mal vorstellen«, meint Steinmetz, »wir haben viele Jungs aus Südamerika, die vorher in erster Linie nur Futsal gespielt haben. Ein Großfeld kannten die gar nicht.« In der Praxis erinnert das Gespielte lange Zeit eher an die Spielformationen der Weltmeisterschaften der 50er-Jahre: 4-2-4, 5-0-5 oder 2-3-5. Struktur im (vogelwilden) Spiel: Fehlanzeige. »Das hinzubekommen, ist schwierig«, weiß der erfahrene Ex-Verbandsliga-Kicker Steinmetz. Mittlerweile haben sie es aber verstanden, so Steinmetz. Die Mannschaft sei jedenfalls auf einem sehr guten Weg. »Inzwischen kombinieren sie sich echt gut hinten raus. Das sieht schon sehr nach Fußball aus.«
Hinten raus ist das Stichwort: Defensiv muss für den ehemaligen Außenverteidiger unbedingt die Null stehen. Über Pressing und Zweikämpfe soll dann der Ball gewonnen und nach vorn gebracht werden. Ekliges Spiel würde man so etwas nennen. »Aber selbst eklig spielen muss gelernt sein«, führt Steinmetz aus. Ein unangenehmer Konkurrent will man sein. »Die Gegner sollen von vornherein gar keine Lust haben, gegen uns zu spielen. Scheiß Platz, scheiß ACE, scheiß Gegner - wenn wir die Liga so weit haben, haben wir alles richtig gemacht.« Am Ende wolle man so zumindest im Mittelfeld landen. Nach oben sei jedoch alles offen.
Während Alex Steinmetz so erzählt, er mächtig ins Schwärmen gerät, umso mehr lodert in ihm das Feuer, wieder gegen den Ball treten zu wollen. So ganz will er das auch nicht aufgeben - sofern es seine Krankheit zulässt. »Ich habe immer gesagt, wenn es mir wieder gut geht, fange ich vielleicht wieder an. Für mich ist wichtig, dieses Ziel vor Augen zu haben.« Das nimmt Ängste, sagt er, »und gibt Mut.« Mit einem kleinen Erfolg: Sein Arzt zeigt (vorerst) den Daumen nach oben, der Spielerpass wurde inzwischen aus der Schublade herausgekramt. Einem kleinen Comeback steht nichts im Wege.
Dennoch will sich Steinmetz zunächst zu 100 Prozent auf seine Traineraufgabe konzentrieren. »Wo, wenn nicht hier?«, fragt er, ohne darauf eine eine Antwort zu wollen. Das Umfeld stimme, er kann hier in Ruhe arbeiten, genießt die volle Unterstützung vom Verein, der Mannschaft und - viel wichtiger - seiner Familie. Mehr braucht er erst einmal nicht. Und wer weiß? Vielleicht verlässt der ACE dann doch mal die Liga. Und zwar nach oben. Mit Alex Steinmetz als spielenden Trainer. So schnell will er seine Zelte jedenfalls nicht abbrechen.