Noch ist nichts erreicht

Gießen. Der Unterricht ist abgeschlossen, das Lernen hat ein Ende, die Hausaufgaben sind gemacht. Doch auch in den Osterferien heißt es für Basketball-Zweitligist Gießen 46ers: Weiterarbeiten, weiterackern, weiter Gas geben. Denn auf dem Weg zur Matura ist noch nichts erreicht.
Was sich heute Abend schlagartig ändern könnte. Auch wenn Ex-Aufstiegsanwärter Medipolis SC Jena nicht an seinem drittletzten Tabellenplatz zu messen ist. »Ihnen steht das Wasser bis zum Hals, da halten sie sich an allem fest, was sie greifen können«, weiß »Frenki« Ignjatovic, dass auf ihn und seine Männer ab 19.30 Uhr in der Sparkassen-Arena »ein heißer Tanz« wartet.
Medipolis Jena - Gießen 46ers (Heute, 19.30 Uhr)
Im Falle eines Sieges in der Optik-Metropole hätte der Altmeister die Playoffs sicher, da die Uni Baskets Paderborn, derzeit Neunter, nur noch mit Gießen gleichziehen können, den direkten Vergleich aber eingebüßt haben. Sollten die 46ers allerdings in Jena verlieren, dürften sich auch die Kirchheim Knights noch Hoffnungen machen, Gießen noch abfangen zu können. Die mit den Schwaben gleichauf liegenden Sparkassenstars Bochum, die Gladiators Trier und die Nürnberg Falcons könnten Ignjatovics Männer punktemäßig noch erreichen, haben aber ebenfalls alle den direkten Vergleich mit Gießen verloren.
Mit zuletzt zwei Siegen in Paderborn (85:80) und gegen Vize Tigers Tübingen (94:91) haben die Lahnstädter ihren zuvor fast zwei Monate anhaltenden Durchhänger bei nur drei Siegen aus acht Partien vergessen gemacht. Die Runde der letzten Acht ist greifbar, sogar der nationale Pokal, für dessen Teilnahme Gießen auf Platz sechs landen müsste, winkt mit einer weiteren Einnahmequelle kurz vor dem Start 2023/24. Ob dieser im Oberhaus oder in der ProA erfolgen wird, entscheiden Geschäftsführung und Aufsichtsrat heute Abend. Die Tendenz geht eindeutig zu einer Bewerbung für die Bundesliga, schließlich gilt es, so Branislav Ignjatovic, »in Richtung der Mannschaft ein klares Zeichen zu setzen.«
Was auch Geschäftsführer Jonathan Kollmar so sieht, der in diesen Tagen darum kämpft, dass sich »eine Bewerbung auch wirtschaftlich darstellen lässt.« Schließlich hält die Osthalle mittelfristig den Anforderungen des Oberhauses nicht mehr stand. Kurzfristig müsste sogar die Lichtanlage erneuert werden. Die Stadt, für die Bürgermeister Alexander Wright die letzten beiden Partien gegen Nürnberg und Tübingen höchstpersönlich unter die Lupe nahm, hat angeblich jedoch bereits abgewunken. Das Licht ausknipsen wollen die 46ers heute dem ehemaligen Erstligisten Medipolis SC Jena, bei dem in dieser Runde alles schiefläuft, was nur schief laufen kann. »Die Liga ist echt verrückt. Jena wollte hoch und steht nun vor dem Abstieg. Sie treffen schlecht, sie haben überall große Probleme, sie können aber auch schnell mal den Schalter umlegen«, warnt »Frenki« Ignjatovic vor der kleinsten Spur von Überheblichkeit in Thüringen.
Schließlich weiß der 56-Jährige nur zu gut, dass auch seine Truppe Formschwankungen unterliegt und quasi an jedem Wochenende Akteure zu Totalausfällen werden, die wenige Tage zuvor noch Matches entschieden haben. Wie Justin Martin und wie Karlo Miksic, die gegen Tübingen beide keinen Feldkorb zustande brachten. Die aber Glück hatten, dass Enosch Wolf, Luis Figge, Jordan Barnes sowie Stefan Fundic bestens aufgelegt waren und Igor Cvorovic unter Beweis stellen konnte, dass mit ihm immer zu rechnen ist.
Zu rechnen ist in Jena auch wieder mit Kapitän Nico Brauner, der sich nach der zweiten Fußverletzung innerhalb weniger Wochen im Training zwar erst einmal hintenanstellen musste, der an alter Wirkungsstätte aber zu einer Art Geheimwaffe werden könnte. Ignjatovic plant mit dem 28-Jährigen von der Bank, »aber wenn ich ihn reinwerfe, dann wird er sicher zeigen wollen, was in ihm steckt.«
Was kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz auch vonnöten sein wird, denn Gegner Jena hat seinen Kader nach etlichen Verletzungsproblemen in der Saison nun komplett beisammen, kann aber den Bock noch immer nicht umstoßen. Am Sonntag kassierte die Truppe von US-Cheftrainer Michael Mai, der vor fünf Wochen den glücklosen Litauer Marius Linartas ablöste, ein deftige 71:94-Packung bei Phoenix Hagen, was gleichzeitig den vierten Dämpfer in Serie bedeutete.
Der ehemalige Gießener Publikumsliebling Brandon Thomas, an dessen Rückkehr die 46ers-Verantwortlichen interessiert sind, falls er im Sommer die deutsche Staatsbürgerschaft erhält, ist mit im Schnitt zwölf Punkten, vier Rebounds und drei Assists der beste Scorer seiner Truppe, nachdem der erfolgreichste Schütze Seth Allen den Club verlassen musste.
Michael Mai, der schon in Nürnberg, Kirchheim und Bremerhaven gearbeitet hat, leitet ein äußerst routiniertes Ensemble. Neben Flügelspieler Brandon Thomas stehen ihm erfahrene Cracks wie Stephan Haukohl (10), Carlton Guyton (9), Shaquille Hines (9) und der vom Mitteldeutschen BC nachverpflichtete Sergio Thomas Kerusch (8) zur Verfügung. Auch die langzeitverletzten Storm Murphy (8) auf der Aufbauposition sowie Center Alexander Herrera (9) können in der finalen Phase der Saison wieder ins Geschehen eingreifen.
Qualität ist also im Kader von Jena vorhanden; und so müssen die Gießener, wie beim 101:95-Hinspielerfolg im Dezember, eine konzentrierte Leistung an den Tag legen, um in den Osterferien nicht schon frühzeitig die Sommerpause einzuläuten.