Nyfjäll ist zurück

Wetzlar. Adam Nyfjäll sitzt schon bei »Schäfers Backstuben« in Dutenhofen und nippt an einem Kaffee. Ganz nach seinem Lebensmotto »Still waiting for it« wartet der Kreisläufer der HSG Wetzlar bereits auf den leicht verspäteten Journalisten. Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät: Um 16 Uhr ist Training, wir haben also eine knappe halbe Stunde Zeit, um zu reden.
30 Minuten sind für ein Interview eigentlich eine Menge Holz. Doch für das, was der 30-Jährige aus dem 13.000-Einwohner-Städtchen Lysekil nördlich von Göteborg in den vergangenen Monaten erlebt hat, braucht es eigentlich länger. »Glänzend« beschreibt das Gefühl von Nyfjäll nach seiner ersten Saison in der Handball-Bundesliga gut, im Sommer 2022 hing der Himmel für ihn und die Grün-Weißen voller Geigen. Zumal der Schwede obendrein vor der nun laufenden Runde vom damaligen Trainer Ben Matschke sogar zum Kapitän des HSG-Ensembles ernannt wurde. »Eine Riesenehre für mich nach erst einem Jahr Bundesliga. Ich war stolz«, sagt Adam Nyfjäll. Dieses Amt ist er schon längere Zeit los, Der Kreisläufer sei zu introvertiert, Torhüter Till Klimpke dagegen mit der Region viel enger verwurzelt und in den schweren Tagen und Wochen des nach wie vor hautnah zu spürenden Abstiegskampfs der bessere Teamleader, argumentierte Hrvoje Horvat, Nachfolger des im November entlassenen Matschke. »Wenn die Verantwortlichen glauben, es ist das Richtige fürs Team, dann wird das so gemacht«, sagte Nyfjäll schon Anfang März nach der Partie bei den Rhein-Neckar Löwen. Da war der Tausch der Binde offiziell geworden, in den Spielen davor und auch danach war der eigentliche Innenblocker und Kreisläufer Nummer eins bereits aufs sportliche Abstellgleis geraten. Horvat setzte seinem ältesten Mann im Kader mit dem aus Aurich nachverpflichteten Nikita Pliuto neben Erik Schmidt sogar einen internen Konkurrenten aus der 3. Liga vor die Nase.
Erst, als auch der Kroate gehen musste und Jasmin Camdzic und Filip Mirkulovski das Sagen auf der Bank und im Training wieder übernahmen, tauchte für den 1,96-Meter-Modellathleten Licht am Ende des Tunnels auf.
»Mmh«, sagt Nyfjäll selbst zur aktuellen Situation. Das ist eben seine Art, Dinge auszudrücken. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aber nur im echten Leben, auf dem Feld gibt der Schwede alles, motiviert die Nebenleute, feuerte sich selbst immer wieder an. »Wir haben ihm das Vertrauen geschenkt und ihn zurückgeholt. Adam hat beim Sieg in Göppingen eine gute Leistung gezeigt und war auch in Gummersbach in der ersten Halbzeit solide unterwegs«, sagt Camdzic, der genau weiß: Ein Nyfjäll in starker Form hilft jeder Mannschaft.
»Natürlich ist es schön, wieder auf der Platte zu sein. Denn es tut noch mehr weh, wenn wir verlieren und du tatenlos an der Seite sitzt und nur zuschaust. Ich bin noch nicht wieder da, wo ich gerne wäre. Es ist eben eine neue Rolle für mich. Aber ich arbeite für das Vertrauen der Trainer. Und wenn ich das spüre, dann gebe ich emotional alles«, weiß der begeisterte Hobby-Golfer (Handicap 7,2) spätestens seit dieser Saison, dass man auch als 30-Jähriger im Handball noch nicht ausgelernt hat. Gelernt hat er in den vergangenen Monaten aber auch abseits des Spielfeldes so einiges. Vor allem in seiner Rolle als frischgebackener Vater, denn für Frau Emily (»Wir haben uns kennengelernt, als ich mir bei ihr einen Schal für den Winter gekauft habe«) und ihn ist Töchterchen Astrid zum Lebensmittelpunkt geworden. Ein halbes Jahr ist der gemeinsame Nachwuchs nun alt, »zuletzt ging es mit dem Durchschlafen ganz gut. Aber jetzt kommen die Zähnchen«, lächelt Adam Nyfjäll.
Die zwei freien Tage nach der Niederlage in Gummersbach nutzten die drei, um die schwedische Botschaft in Berlin aufzusuchen. »Wir brauchten einen Pass für Astrid, also brauchen wir zuerst eine ID-Nummer, die Behörden brauchten ein Passfoto, und wir als Eltern mussten vor Ort mit dabei sein«, schildert die Wetzlarer Nummer 4 die bürokratischen Klippen, wenn man sein Kind nicht in seiner Heimat zur Welt bringt. Dorthin möchte der stille Schwede irgendwann mal wieder zurück. Jetzt aber konzentriert er sich zu hundert Prozent auf das Wesentliche in seinem Beruf. »Denn ich will nicht zu der HSG-Mannschaft gehören, die nach 25 Jahren Erstklassigkeit absteigt.«
Dass am Ende dieser so aufwühlenden Runde jeder einzelne grün-weiße Stein umgedreht und natürlich auch die Personalie Adam Nyfjäll auf den Tisch kommen wird, steht außer Frage. Bedeutet, auch der bis 2025 laufende Vertrag des Kreisläufers ist nicht in Stein gemeißelt. »Er ist ein Hoffnungsträger. Aber es geht momentan nicht darum, ob wir uns mögen oder lieben, sondern nur um Qualität«, hält Jasmin Camdzic aktuell an seinem Routinier fest.
Der glaubt ebenfalls fest an ein Happy End. Gibt aber zu bedenken: »Handball ist auch ein Kampfsport. Für manche in unserer Mannschaft ist das Gefühl, da unten drin zu stehen, neu. Für mich auch, in Kristianstad beispielsweise sind wir im Supermarkt von Leuten kritisiert worden, wenn wir mal ein Spiel verloren haben. Jetzt ist Crunchtime, das wissen wir.«
Am Donnerstag (Anwurf: 19.05 Uhr) kommt der TBV Lemgo in die Buderus-Arena. Das nächste wichtige Spiel für die HSG - und ein besonderes für Adam Nyfjäll. »Im September 2021 war das mein erstes Heimspiel, wir haben 27:25 gewonnen«, erinnert sich der Mann, der gerne Essen geht oder zu Hause mit seiner Frau kocht. Und Anfang Dezember vergangenen Jahres erzielte der Kreisläufer bei der 29:34-Hinspielniederlage im Lipperland satte neun Tore. »Die kommen mit viel Tempo und ohne Druck, haben den BHC zuletzt haushoch geschlagen. Wir dürfen nicht so viele technische Fehler machen«, wagt Adam Nyfjäll einen Ausblick.
Und was passiert nach der Saison? »Ich mag den Verein, die Stadt Wetzlar. Ich hatte auch andere Angebote, aber habe nicht ohne Grund diese Laufzeit bis 2025 für die HSG gewählt. Denn ich brauche die Ruhe und nicht die ständige Suche nach einem neuen Verein«, scheint für Adam Nyfjäll beim Gelingen des Unternehmens Klassenerhalt Wetzlar der erste Ansprechpartner zu sein. Mal abwarten und Kaffee trinken, lautet die Devise. Oder: »Still waiting for it!«