Ob Fußball, Polo oder Hockey

Gießen . Das ist eine Geschichte für und über die Uschis dieser Welt. Die Uschis und Oswalds, die jeder Verein braucht, die jeder Verein händeringend sucht, die mittlerweile jeder Verein, auf Knieen rutschend, bittet, doch noch ein Jährchen dranzuhängen. Aber irgendwann ist es halt mal genug - und dann hat man den Salat als Vereinsmeier: Wer, in Fußballgottes Namen, wird die neue Uschi?
Die Uschi vom MTV 1846 Gießen heißt Ursula Riedel, 72 Jahre ist sie nun, 35 Jahre davon hat sie »ihren Jungs«, ihrem Verein gewidmet und hochgerechnet und grob gerechnet zwischen 35 000 und 40 000 Bratwürste verkauft. Von Kaffee, Radler, Bier haben wir da noch gar nicht geredet. »Ei, weißte«, sagt Uschi, zwei Tage nachdem sie von ihren Fußballern verabschiedet worden ist, »das habe ich ja immer gern gemacht, auch wenn sich Vieles geändert hat.«
Früher, das weiß nicht nur Loriot, sondern auch die gebürtige Gießenerin, war mehr Lametta. Sprich, meist mehr los auf dem Sportplatz, aber auch und vor allem in der dritten Halbzeit, wenn die Reserve und die Erste oft noch mit den Gegnern bis in die Puppen auf dem Platz und in der Kabine verbracht haben. Ganz früher gab es dann auch schon mal »einen Krisch«, wie der Mittelhesse zu lautem Schrei sagt. Der kam von Heidtkall, der natürlich Karl Heidt hieß, oder Uschis Mann Oswald, »weil die Kerle wieder ihre Stutzen falsch rum in die Trikottasche geworfen hatten. Dreht die Dinger richtig rum, ihr Halunken.«
Ursula Riedel muss lachen, wenn sie an die unzähligen Sonntage denkt, die sie auf dem Sportplatz verbracht hat. »Karl Heidt war schuld«, erzählt sie. Der von Gießen bis Langgöns weithin bekannte Kult-Betreuer, auch schon lange verstorben, »war bei der Bahn ein Arbeitskollege von Oswald und hat ihn gefragt, ob er nicht sonntags zum MTV kommen will.« Oswald Riedel wurde dann Linienrichter am Heegstrauchweg und nebelte als ehrenamtlicher Betreuer verletzte Akteure mit dem Eisspray ein, um dergestalt für Wunderheilungen zu sorgen.
Und die Frau? »Ich saß auf einmal sonntags mit drei kleinen Kindern daheim. Da habe ich gesagt: Ich komme mit.«
Uschi Riedel muss wieder schmunzeln an dieser Stelle, zündet sich eine Zigarette an - und sagt: »Ja, und dann sind es 35 Jahre geworden.« Beim MTV hat sie ab 1987 dann auch ihr Aus- und Einkommen gefunden, denn neben der ehrenamtlichen Kuchenbackerei, Würstchenverkauferei und Trikotwäsche hat Ursula Riedel auch noch dreimal die Woche beim größten Gießener Sportverein geputzt. Ein Knochenjob, wenn man die Dimensionen der Gänge, Kabinen und Treppen kennt.
Aber: Es war auch immer ihr Ort, an dem sie gerne war. Auch dem hauptamtlichen Geschäftsführer Mario Bröder wird sie fehlen, die » Reinemache-Uschi«, die sich stets zum zweiten Frühstück »mit Mario zusammengesetzt« hat. Zum Klönen über den Verein, die Stadt, was es zu tun gibt, wie sich das alles verändert hat in all den Jahren.
Von denen sie die letzten 14 ohne Oswald zum MTV gegangen ist, »solange ist er schon tot, die Zeit rast.« Als er gestorben ist, hat sie nicht lange gezögert, weiterzumachen. »Es ist zwar auch anstrengend, aber es gibt einem ja auch Struktur«, sagt sie. Gerade in so einer Situation fällt einem sonst die Decke auf den Kopf.«
Und so gingen die Jahre ins Land, wurde sie von Jungspunden, die heute auch schon kurz vor dem Ruhestand stehen, in der damaligen Wohnung in der Wilhelmstraße abgeholt. Bei jedem Heim- und Auswärtsspiel waren die Riedels dabei. Die Uschis dieser Welt waschen tonnenweise Fußballtrikots, hängen sie auf, falten sie in große Koffer, bestellen Würstchen und Getränke, halten den Kiosk in Schwung, kaufen den Kaffee, räumen auf, sehen zu, dass das bisschen Geld reinkommt, während die Kreisliga-Strategen kicken. Und dafür gibt es dann wieder einen neuen Satz Stutzen oder vielleicht einen Zuschuss zur Abschlussfahrt. Auch da waren die Riedels ab und an dabei. So ein Verein kann zur Familie werden. 35 Jahre bedeutet aber auch, ganze Generationen von Kickern in die Alten Herren abwandern oder sich grundsätzlich verabschieden zu sehen. Und dann sind wieder zehn Neue da, die die Uschi kennenlernen. Dem, nennen wir es herben Charme, erliegen, wenn sie hinterher ruft, dass die Jungs gefälligst die Bierkisten nach vorne schleppen sollen. Den feinen Mutterwitz zu spüren bekommen, wenn sie aus dem Verkaufsfenster die davon trottenden Burschen nach einer Niederlage überzeugt, dass »es Schlimmeres gibt, als ein Spiel zu verlieren.« Ja, könnte man sagen, schlimmer ist es, solche Uschis zu verlieren. Denn die waren doch immer schon da, die gibt es doch bei jedem Verein - und ohne die läuft ja nichts.
Das Klagelied, dass es immer weniger ehrenamtlich engagierte Menschen gibt, wird lange schon gesungen. Und in diesen Zeiten immer lauter. Viele Vereine haben - ob Fußball, Handball oder was auch immer - kein Problem, Mannschaften auf die Beine zu stellen, aber das Drumherum muss ja auch irgendwie funktionieren. Es gibt viel zu tun für zu wenig helfende Hände. Zwei weniger hat jetzt auch der MTV. Uschi Riedel verabschiedet sich nach 35 Jahren.
Das wird auch daran zu erkennen sein, dass im Kasten Bier für die Mannschaft nach dem Spiel die kleine Flasche Apfelwein fehlen wird. Die war für Uschi reserviert, wenn sie nach getaner Arbeit aus dem Häuschen kam. Und verrät noch ein Geheimnis am Schluss: »Ach, vom Fußball verstehe ich eigentlich gar nichts, und im Kiosk habe ich ja auch nie was davon mitgekriegt.« Theoretisch hätte man also auch Hockey oder Polo spielen können ? »Genau«, sagt Ursula Riedel. Und lacht.
