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Schlimme Lesung am Tag des Buchs

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Gummersbach-Wetzlar. Als diese schlimme erste Halbzeit endlich vorüber ist. Als die HSG Wetzlar von Gastgeber VfL Gummersbach nach so ziemlich allen Regeln der Handball-Kunst auseinandergenommen worden ist, sitzen zwei düster dreinblickende Männer auf einer Bank. Mitten in der schönen Schwalbe-Arena, mitten unter den klatschenden und jubelnden Fans der Oberbergischen.

11:20 liegen die Grün-Weißen zurück. Der so dringend benötigte Sieg im Abstiegskampf der Handball-Bundesliga ist so weit weg wie die Gießener Altstadt von einem Weltkulturerbe. Und dieser Sieg wird bis zum Abpfiff beim 30:37-Endstand nie in Reichweite kommen.

Und so blicken HSG-Trainer Jasmin Camdzic und sein Assistent Filip Mirkulovski in dieser Pause mit ernstem Blick auf Taktiktafel und den Zettel mit den Statistiken. Auf der Suche nach einer Lösung für die grün-weißen Probleme. Probleme, die in diesen ersten 30 Minuten für die Gäste fast so manigfaltig sind wie die neuen Regelungen für den bundesdeutschen Heizungsbau.

Gummersbach zeigt eine Angriffsleistung wie aus einem Guss. Ein ums andere Mal wird die Wetzlarer Abwehr abgeräumt. Jeden noch so kleinen Fehler bestraft der VfL mit irrem Tempo. Die Außen treffen, wie sie wollen. Und mit ihrer äußerst variablen Abwehr, die binnen Sekunden von 6:0 auf 3:3 wechselt und kaum eine Lücke bietet, treibt der Gastgeber die ideenlosen Mittelhessen um Regisseur Magnus Fredriksen schier zur Verweiflung.

VfL Gummersbach - HSG Wetzlar 37:30

Nach einem 5:1-Blitzstart, den Rechtsaußen Lukas Blohme nach acht Minuten herstellt, bittet Spielerflüsterer Camdzic seine zu dieser Zeit völlig verschlafenen Schäfchen zur ersten Besprechung. Eine Besprechung, die nutzt. Lenny Rubin kommt aufs Feld. Und mit dem Schweizer endlich mehr Pepp im Angriff. Beim 6:10 durch Kreisläufer Erik Schmidt nach schönem Rubin-Zuspiel scheint die HSG im Spiel. Beim 8:11 durch Kuzmanovskis Energieleistung (18:50) scheint wieder alles möglich. Doch der Schein trügt. Immer wieder sticht die VfL-Flügelzange, immer wird Kreisläufer Ellidi Vidarsson freigespielt. Beim 16:11 (23:30) wird es finster für die Domstädter. Beim 20:11 durch den verdeckten Wurf des Hüttenbergers Dominik Mappes, der ein gutes Comebach nach seinem Rippenbruch feiert, gar stockdunkel für den Abstiegskandidaten.

Am weltweiten Tag des Buches hat die HSG eine 30-minütige Lesung über das kleine Einmaleins des Handballs erhalten, die so richtig schmerzt. Und doppelt schmerzt, weil Wetzlar die Steilvorlage der Mindener Niederlagen bei Schlusslicht Hamm und in Erlangen nicht nutzen kann und weiter nur zwei Punkte vor GWD steht. So viel ist bereits zur Pause klar. So viele Unzulänglichkeiten muss Trainer Camdzic auch in den zweiten 30 Minuten mitansehen. »Die Abwehr und vor allem auch die Torhüterleistung muss in den nächsten Spielen besser werden«, fordert später Camdzic, der mitansehen muss wie weder Till Klimpke noch Anadin Suljakovic eine Hand an den Ball bekommen. Klar: Nach der Pause zeigen die Gäste Moral. Oder besser gesagt: Sie dürfen Moral zeigen, weil Gummersbach nur dann das Tempo erhöht, wenn die HSG wie beim 27.22 durch Lukas Becher (46:00) auch nur annähernd die Bremslichter des VfL-Sportwagens in den Blick bekommt. Prompt macht der überragende Rechtsaußen Blohme Tempo. Prompt heißt es nach seinem Kempa-Treffer wieder 32:25 (53:00). Prompt verlängern die Gastgeber ihre Vorlesung über modernen Handball mit dem Kapitel über das Einbeziehen von Außen und Kreis. Eine Vorlesung, bei der die braven Zuhörer aus Mittelhessen mit großen Ohren erfahren dürfen, dass ihr allzu statisches Rückraumspiel, das an diesem Tag nur von Einzelaktionen durch Stefan Cavor oder Magnus Fredriksen lebt, während Lenny Rubin einen rabenschwarzen Nachmittag erwischt, nur bedingt erstligatauglich ist.

Mit dem 30:37, das Fredriksen in letzter Minute mit einem Wurf ins leere Tor erzielt, ist die HSG fast noch gut bedient. Und der sichtlich angefressene Camdzic schüttelt den Kopf und sagt: »In der ersten Halbzeit gab es in unserer Mannschaft überhaupt keine Körpersprache. So kann man sich im Abstiegskampf nicht präsentieren. Die zweite Halbzeit war dann besser.« Immerhin. Immerhin ein kleiner Mutmacher, an diesem für die HSG so traurigen Tag des Buchs.

VfL Gummersbach: Ivanisevic (1.-42.), Norsten (42.-60.); Blohme 7/3, Kodrin 7, Vidarsson 7, Pregler 4, Mappes 3/1, Häseler 2, Köster 2, Ivanisevic 1, Jansen 1, Schroven 1, Styrmisson 1, Zeman 1

HSG Wetzlar: Suljakovic (1.-15./30.-47.); T. Klimpke (15.-30./47.-60.); Cavor 6, Kuzmanovski 5, Novak 4/4, Rubin 4, E. Schmidt 4, Fredriksen 3, Mellegard 2, Nyfjäll 2, Weissgerber, Schelker

Schiedsrichter: Sascha Standke (Göttingen)/Steven Heine (Wendeburg) - Zuschauer: 4132 - Strafminuten: 10 (Vidarsson 2, Blohme, Zeman, Jansen) / 6 (Novak, Rubin, Nyfjäll) - Verworfene Siebenmeter: Mappes trifft Pfosten (11:20)

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