Sonnenschlacht und vertagte Entscheidungen

Gießen . Nach langer Pause ist der Fußballkreis Gießen am kommenden Samstag wieder einmal Austragungsort des Endspiels um den Hessenpokal. Kickers Offenbach gegen den TSV Steinbach-Haiger, so lautet die Paarung, die im Gießener Waldstation stattfinden und die beiden erfolgreichsten hessischen Regionalligisten dieser Spielzeit zusammenführen wird. Genau 75 Jahre, nachdem erstmals ein Finale im Hessenpokal im Fußballkreis Gießen stattgefunden hat.
Ein Jahr nach der Premiere des Wettbewerbs, der zunächst noch als »Großhessischer Fußballpokal« an den Start ging, trafen am 20. September 1947 Eintracht Wetzlar und der FC Hassia Dieburg aufeinander. Austragungsort der Begegnung war der Universitätssportplatz in Gießen, wo sich rund 4000 Zuschauer versammelt hatten. Sie sollten ihr Kommen nicht bereuen, denn sie erlebten eine rassige Partie mit einem dramatischen Verlauf. Zur Halbzeit sah die Eintracht bereits wie der sichere Sieger aus, denn sie führte 3:0. Binnen weniger Minuten nach Wiederanpfiff schafften die Südhessen, die als »schnelle und schussgewaltige Elf« angekündigt worden waren, jedoch den Ausgleich und erzwangen die Verlängerung. Hier hatten sie dann sogar die große Chance zum Sieg, aber einen Handelfmeter konnten sie nicht verwandeln. So stand es auch nach 120 Minuten noch 3:3 und - das Elfmeterschießen war noch nicht erfunden - es bedurfte noch zwei weiterer Entscheidungsspiele, bevor am 2. Weihnachtsfeiertag nach einem diesmal klaren 3:0 der Leitzstädter endlich der Hessenpokalsieger des Jahres 1947 gekürt werden konnte.
Wesentlich schneller fiel die Entscheidung 1955 , als Gießen am 24. Juli zum zweiten Mal Austragungsort des Finales war. Gespielt wurde nun auf dem Waldsportplatz und mit dem CSC 03 Kassel und Union Niederrad trafen zwei als etwa gleichstark einzuschätzende Mannschaften aus der höchsten hessischen Amateurklasse aufeinander. 1200 Zuschauer wurden Zeuge eines letztlich verdienten 2:1-Erfolgs der Nordhessen, den sie vor allem ihrem Kampfgeist zu verdanken hatten. Geleitet wurden das Spiel übrigens vom Wiesecker Schiedsrichter Rodenhausen und der doch eher schwache Besuch wurde nicht nur auf das heiße Sommerwetter zurückgeführt, sondern auch auf die Tatsache, dass es dem Pokalwettbewerb trotz aller Bemühungen noch nicht gelungen sei, die nötige Popularität beim Publikum zu gewinnen.
1954 und 1956 wurde der Sieger zum Beispiel gar nicht erst ermittelt und ein Jahr später, (1957) gespielt wurde nun in Grünberg, musste das Endspiel zwischen Eintracht Wetzlar und dem SV Kilianstädten beim Stand von 1:0 sogar abgebrochen werden, nachdem ein Treffer von Killanstädten nicht anerkannt worden war, deren Spieler daraufhin den Platz verließen und es anschließend zu Zuschauertumulten kam. Die »Sonnenschlacht von Grünberg«, wahrlich keine Werbung für den Hessenpokal, wurde schließlich dahingehend entschieden, dass der Hessische Fußballverband Wetzlar den Titel zusprach.
1959 hatten sich die Gemüter zumindest wieder soweit beruhigt, dass das dritte Finale in Gießen, das erneut auf dem Waldsportplatz stattfand, völlig regulär über die Bühne gehen konnte. Mit Germania Okriftel und dem Namensvetter aus Marburg, der mit Mittelläufer Sunkomat sogar einen Studentennationalspieler aufbieten konnte, hatten sich gleich zwei Vertreter aus der Bezirksliga qualifiziert, weshalb sich auch der Besuch - es kamen gerade einmal 700 Zuschauer - in Grenzen hielt. Beide Mannschaften lieferten jedoch »einen packenden Kampf, der alle Erwartungen erfüllte« und der schließlich mit einem 4:2-Erfolg der Mannschaft aus dem Taunus endete. In Okriftel soll man übrigens anschließend die Nacht zum Tag gemacht haben, wie man im Hessen-Fußball lesen konnte.
1972 hatte der VfB 1900 Gießen dann fast schon ein Heimspiel, als er sich in Grünberg mit einem 4:1 nach Verlängerung über den TuS Wabern nach 1964 seinen zweiten Pokalsieg holen konnte. Nur 500 Zuschauer sahen jedoch eine »völlig konfuse« Leistung des favorisierten Hessenligisten, der damals in Pistauer, Thiel, Degenhardt und Schäty seine Torschützen hatte.
Grünberg war auch 1998 Austragungsort des Endspiels im Hessenpokal, der da längst schon zur attraktiven Möglichkeit für die Amateurclubs geworden war, sich für den DFB-Pokal zu qualifizieren, um dann mit etwas Losglück vielleicht einmal gegen einen ganz Großen des deutschen Fußballs antreten zu können. Genutzt hat diese Chance seinerzeit die SG Hoechst, die den klassenhöheren Regionalligisten aus Neukirchen vor rund 800 Zuschauern nach Elfmeterschießen überraschend mit 4:1 bezwingen konnte. Das ganz große Los hat die SG dann allerdings nicht gezogen, denn Gegner in der 1, Hauptrunde des DFB-Pokal war »nur« Energie Cottbus und der Zweitligist setzte sich zu allem Überfluss auch noch mit 2:1 durch. Man darf also gespannt sein, nicht nur auf den kommenden Sieger im Hessenpokal, sondern auch auf den Gegner, der ihm im DFB-Pokal zugelost werden wird.