Sprache, Schuld und Schule

Wetzlar. Große Siege und klare Niederlagen. Jubel und Ernüchterung. Trainer, die gingen und Profis, die blieben. In 25 Spielzeiten in der Handball-Bundesliga hat die HSG Wetzlar sportlich viel erlebt. Zwischen Flensburg im Norden und Balingen im Süden. Zwischen Schwerin im Osten und Dormagen im Westen. Worüber Zeitungen, Online-Medien, Rundfunksender und Fernsehanstalten ausführlich berichteten.
Doch es gab auch immer wieder Ereignisse hinter den Kulissen. Abseitiges, Kurioses, Lustiges. Wir haben uns für Sie aus jeder Saison an ein solches Ereignis erinnert und es wieder aufleben lassen.
Saison 2013/14: Dennis Krause und die Flucht in die Emirate: Dennis Krause war ein eher ungewöhnlicher Vertreter seiner Zunft. Einer, der einstecken konnte. Aber auch einer, der austeilte. Nicht nur auf dem Feld. Er wehrte sich, wenn in der Partnerschaft dunkle Wolken aufzogen, weil es nach Verletzungen nicht mehr so gut lief und die Vereine Druck machten. Mehrfach ging er das Wagnis ein, sich gerichtlich gegen Arbeitgeber und deren Vertagsauslegung zu wehren.
Vielleicht war dies auch der Grund dafür, warum der Lörracher zwar eine schöne Karriere gemacht hat, aber stets den Eindruck erweckte, es hätte noch ein wenig mehr sein können. Auch bei der HSG Wetzlar, für die er im Sommer 2013 aus Gummersbach kommend wegen einer schweren Oberschenkelverletzung nur wenige Partien absolvierte, bemühte er Justizia. Was die Verantwortlichen wenig erheiternd fanden. Krause hatte über seinen Rechtsbeistand mit der HSG über eine Wiedereinstellung beziehungsweise einen Auflösungsvertrag gestritten, dabei aber die angebotenen Abfindungssummen als zu gering erachtet. Er hatte es zusammen mit seinem Berater allerdings auch versäumt, die Situation gütlich zu bereinigen, um rechtzeitig ein nachfolgendes Engagement in der Bundesliga anstreben zu können.
Mitten in die gerichtliche Auseinandersetzung platzte dann jedoch die Nachricht, Krause haben einen neuen Arbeitgeber gefunden. Er weilte sogar schon in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er sich für acht Monate dem Al Ain Handball-Team anschloss. Sein eigentlich noch bis zum 30. Juni 2016 datierter Kontrakt bei der HSG Wetzlar konnte somit aufgelöst werden. Was den Grün-Weißen nach dem gescheiterten Gütetermin vor dem Arbeitsgericht auch den wenig später anberaumten Kammertermin und weitere arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen ersparte.
Saison 2014/15: Ivano Balic und das Interview in Spanisch: Als sich der zweifache Welthandballer Ivano Balic am 5. Juni 2015 nach einem 29:24-Erfolg gegen Frisch Auf Göppingen nicht nur von der HSG Wetzlar verabschiedete, sondern auch seine einzigartige Karriere beendete, stand die Halle Kopf. Unter tosendem Applaus und Sprechchören betrat der Kroate durch ein Jubelspalier seiner Mitspieler die Bühne. Balic bedankte sich unter anderem für 20 tolle Jahre als Profi, bei all seinen Clubs, Trainern und Mitspielern.
Um niemanden zu vergessen, hatte sich der damals 36-jährige »Mozart des Handballs« extra einige Notizen auf einem kleinen Spickzettel gemacht. Denn der grandiose Regisseur hatte das Erlernen der deutschen Sprache in seinen beiden Jahren an der Lahn nicht eben zu seiner Kernkompetenz erkoren. Fließend sprach Balic Serbokroatisch. Und natürlich Spanisch. Denn nach dem Beginn seiner Karriere in seiner Heimatstadt Split zog es ihn 2001 erst zum damaligen Topclub RK Metkovic und 2004 zum spanischen Spitzenverein SDC San Antonio. Mit den Basken gewann er 2005 die spanische Meisterschaft und stand 2006 im Finale der Champions League. 2008 kehrte er in sein Heimatland zurück und gewann viermal das Double mit dem RK Zagreb. In der Saison 2012/13 trug er das Trikot von Atletico Madrid, wo er den Super Globe und die Cope del Rey gewann. Als die Hauptstädter Insolvenz anmeldeten, fädelte der damalige HSG-Aufsichtsrat Manfred Thielmann über seinen Freund und Balic-Berater David Caballero den spektakulären Wechsel nach Wetzlar ein.
Es verstand sich von selbst, dass die Zeitung gleich nach Balics Ankunft ein Interview mit dem Superstar führen wollte. Doch in welcher Sprache? Da eine der Töchter des damaligen Sportchefs fließend Spanisch sprach, ließ sich Balic nicht zweimal bitten. Er plauderte zwei Stunden munter drauflos und fühlte sich sichtlich geehrt, dass er Aussagen in einer Sprache treffen konnte, die ihm vertraut war. Nach Veröffentlichung des Interviews rief er gleich zweimal bei seinem Gesprächspartner an, um sich zu bedanken. Das Eis zwischen dem Weltstar und der schreibenden Zunft war für die kommenden beiden Jahre gebrochen ...
Saison 2015/16: Carlos Prieto und der Schuldienst: Carlos Prieto war (und ist) ein Baum von Kerl: 2,03 Meter groß, 110 Kilogramm Lebendgewicht. Ein Kreisläufer, wie er im Buche steht. Mega Spannweite, beweglich, kaum zu stoppen, knallharter Abschluss. Schlicht angsteinflößend. Dass der Mann aus Merida, jener Hauptstadt der Autonomen Region Extremadura im Südwesten Spaniens, 2013 von den Kadetten Schaffhausen kommend den Weg zur HSG Wetzlar fand, glich einem Wunder. Schließlich war Prieto hochdekoriert: Dreifacher Champions-League-Sieger, zweifacher europäischer Pokalsieger, viermal spanischer Meister mit dem FC Barcelona und Ciudad Real, Bronzemedaillengewinner bei Olympia 2008 in Peking.
Gar wunderlich verlief auch seine Karriere nach der Karriere, denn nach Stationen bei unterklassigen Clubs wie der HSG Lollar/Ruttershausen, dem TSV Lohr und der ESG Gensungen/Felsberg verschlug es ihn schließlich in den Schuldienst. Genauer gesagt an die Burgschule in Großen-Linden, die Anne-Frank-Schule in Linden, das Landgraf-Ludwigs-Gymnasium (LLG) in Gießen, die Gesamtschule Schwingbach in Rechtenbach, die Grundschule Steindorf-Albshausen sowie die Grund- und Werkrealschule Ostheim in Stuttgart.
Mit seinem »Share & Play«-Projekt möchte Prieto nach eigener Aussage Jugendlichen erlauben, sich mannschaftssportspezifische Werte durch die Teilnahme am Handballtraining schrittweise anzueignen. Gleichzeitig werden kognitive Fähigkeiten der Jugendlichen in verschiedenen Bereichen wie Mathematik und Erdkunde gefördert. »Teamwork, Respekt, Interaktion und gesunde Lebensweise«, nennt Prieto die vier Eckpfeiler seiner Arbeit, die er sich im Laufe seiner Karriere angeeignet hat. Denn der Hüne nahm stets an Führungs- und Sportkonferenzen teil und arbeitete als Sportberater. Noch heute ist er Mitglied des EHF Scientific Specialist Networks.
