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Suljakovics Wahnsinnstat

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Raus mit der Freude: Trainer Jasmin Camdzic führt die HSG Wetzlar zu einem ganz wichtigen Sieg. Foto: Ben © Ben

Wetzlar. Der Wahnsinn hat Methode. Der Wahnsinn hat an diesem Abend einen Namen: Anadin Suljakovic. Der Torhüter der HSG Wetzlar wird binnen zehn Sekunden zum Helden einer ganzen Bundesliga-Stadt. So ziemlich exakt 59 Minuten sind in der so wichtigen Partie im Abstiegskampf gegen den TBV Lemgo gespielt, als der ganz, ganz große Moment des Bosniers kommt.

HSG Wetzlar - TBV Lemgo Lippe 26:24

25:23 führt Wetzlar, doch der so lange vergebens herbeigesehnte Sieg ist noch lange nicht sicher. Lemgo ist am Ball, Lemgo wirft einmal, Suljakovic pariert. Nur leider zum Gegner. Aber noch im Liegen pariert Suljakovic. Der Abpraller landet erneut bei Lemgo. Völlig frei kommt Samuel Zehnder zum Wurf. Doch halb im Liegen, halb beim Aufsteigen wehrt Suljakovic auch diesen Ball mit einer Bewegung ab, die irgendwo zwischen Akrobatik und Superhelden-Film liegt. Ein Wahnsinn. Ein Wahnnsinn, der die Buderus-Arena endgültig zum Toben bringt, als Adam Nyfjäll schließlich wenige Sekunden später den 26:24-Sieg sicherstellt. Danach kennt der Jubel, ja kennt der ganze Wahnsinn keine Grenzen mehr. Die Wetzlarer Spieler tanzen ausgelassen über die Platte. Tanzen endlich die ganze Anspannung weg, die sich in den vergangenen Wochen angesammelt hat. Suljakovic selbst baut sich vor den Trommlern auf und zeigt ein ums andere Mal die Siegerfaust. Die ganze Arena tanzt und singt. Das könnte schließlich die Vorentscheidung im Abstiegskampf gewesen sein. Das könnte nach der Mindener Niederlage gegen Hamburg der HSG auch das 26. Jahr in Folge im Handball-Oberhaus gesichert haben. Vielleicht wird dieser Erfolg irgendwann in einem grün-weißen Geschichtsbuch erwähnt. Das das Spiel schwach war - völlig egal. Dass das Spiel der HSG nur mit Kampf überzeugte - total egal. Dass das Spiel viel viel früher gegen müde und pomadige Lemgoer hätte entschieden sein müssen - schnurz egal. Nur die zwei Punkte zählen. Nur dieser so dringend erflehte Zittersieg hat endlich den Heimfluch der Mittelhessen gebrochen. Und deshalb tanzt die Arena nach dem Schlusspfiff fast eine halbe Stunde lang.

Die Geschichte der ersten Halbzeit hat allerdings noch nichts mit ausgelassenen Karibik-Tänzen zu tun. Sie ähnelt eher dem Abschlussball beim Tanzkurs für Vorpubertierende. Der junge Bursche beginnt den Foxtrott derart forsch, dass seine Angebetete fast umfällt. Und genauso macht es HSG-Spieler Magnus Fredriksen, der nach 40 Sekunden Spielzeit Lemgos Abwehr vernascht, schön auf Kreisläufer Adam Nyfjäll ablegt, der wiederum gefoult wird, was das 1:0 dank Lukas Bechers Siebenmeter beschert. Was für ein Start! Was für ein feiner Auftakt! Doch dann beginnt Wetzlar nachzudenken, zu grübeln und zu zweifeln. Dann leistet sich Fredriksen einen Fehlpass und Stefan Cavor erst einen Fehlwurf, um direkt danach den Pfosten zu treffen. Der junge Kerl, der seine Flamme mit einer flotten Sohle beeindrucken will, tritt ihr ein-, zweimal auf die Füße, wird puderrot, wünscht sich überallhin, nur weg vom Abschlussball. Und Lemgo nutzt diese nächste allgemeine Verunsicherung der Grün-Weißen in dieser Saison. Die HSG kommt in dieser Phase so eriös daher wie die Metal-Jungs von Guns*n*Roses beim Verkauf von Versicherungen. Immer wieder ist es Rückraum-Ass Tim Suton, der die Lücken in der HSG-Abwehr aufdeckt. Sein Schlagwurf beschert den Gästen die 4:1-Führung (9:00), sein energische Vorpreschen das 7:4 (16:00). Doch diesmal scheint sich der verunsicherte Tänzer im grün-weißen Anzug zu berappeln. Die Gastgeber kämpfen um jeden Ball, verballern zwar weiter Würfe durch Rubin, Cavor oder Jonas Schelker, aber als Cavor dann doch in höchster Zeitnot auf 9:10 verkürzt (22:50, ist das schöne Ende dieses Tanzabends und der gelungene Flirt mit der Angebeteten wieder in Reichweite.

Viele Fehlwürfe

»In der ersten Halbzeit war ich sehr zufrieden,wie wir die Angriffe aufgezogen haben, aber wir haben einfach nicht genug getroffen«, sagt später Jasmin Camdzic. Und der HSG-Trainer hat seinen Anteil am kämpferisch überzeugenden Auftreten der Gastgeber. Mal mit zwei Spielmachern auf dem Feld, mal mit wechselnden Deckungsvarianten stellt er die Gäste immer wieder vor neue Aufgaben.

Und auch nach der Pause geht das enge Ringelreihen weiter. »Die zweite Halbzeit«, sagt später Camdzic, »war Schlag auf Schlag.« Lemgo legt vor, Wetzlar gleich aus. Lemgo patzt, Wetzlar wirft vorbei. Die sichtlich nervösen Kellerkinder können die zahlreichen Vorlagen der matten Gäste einfach nicht entscheidend nutzen. Nun ist es immer wieder TBV-Spielmacher Lukas Hutecek, der Lemgo im Spiel hält. Er trifft zum 18:18 (45:30). Er netzt zum 22:22 (54:30). Doch in der Schlussphase scheitert auch der so starke Mann erst an Suljakovic (58:00), um dann mit ansehen zu müssen, wie der HSG-Keeper schließlich mit seiner mit normal-biologischem Ermessen kaum erklärbaren Dreifach-Parade den Sieg rettet. Danach geht der Wahnsinn los.

Danach ist einfach nur Jubel. Danach sagt ein sichtlich erlöster Trainer: »Diese Punkte sind sehr, sehr wichtig.« Und danach jubelt der komplett erschöpfte Adam Nyfjäll fast schon seufzend: »Darauf habe ich vier Monate gewartet.« Vier Monate auf eine Leistung, die ganz viel Mut im Abstiegskampf beschert.

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