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Und es geht als und als weiter

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Von: Rüdiger Dittrich

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Rote Asche mit Schwarz-Weißer Prägung. Der Platz des B-Ligisten an der Lahnstraße mit viel Drumherum und dem Sportheim am rechten Bildrand. Foto: Bär © Bär

Gießen . B wie B-Liga ist das Motto dieser Serie, die dort angesiedelt ist, wo für den Fußball der Grundstein gelegt wird, der im Funktionärssprech des Deutschen Fußball Bundes oft als B wie Basis bezeichnet wird.

Wieder ein B also, das eine Rolle spielt, so wie Ball oder Bolzplatz. All das macht seit Jahrzehnten naturgemäß auch die Kreisliga B Gießen aus, die es mal in vier, mal in drei Gruppen gab, damals, als noch jedes Dorf seinen Verein hatte, wo heute das B allerdings fast durch die Bank von SG ersetzt ist - wie Spielgemeinschaft. Dort muss man im wahrsten Sinne über die Dörfer fahren, um Spieler einzusammeln, die es braucht, um einen funktionierenden Spielbetrieb hinzubekommen. Denn selbst wenn es auch heute noch drei B-Liga-Gruppen gibt, so sind diese doch von zweiten und dritten Mannschaften durchsetzt oder mit vielen SGs bestückt. Ein Schrumpfungsprozess an der Basis.

Die Stadt Gießen ist davon nicht völlig verschont, aber es ist nach wie vor überraschend, wie viele Vereine sich da mehr oder weniger wacker als Solisten halten und, wie der Mittelhesse sagt, »als und als weitermachen.« ACE, Blau-Weiß, Freie TSG, Besa, Hellas und natürlich auch Schwarz-Weiß schwenken als die aufrechte Gießener Basis das Fußball-Fähnlein.

Wobei wir bei der Sache wären: Dem SV Schwarz Weiß Gießen. Der Verein von der Lahnstraße bringt mit seiner nunmehr 63-jährigen Geschichte noch ein paar Bs ins Spiel - wie Brennpunkt, Baracke, Bombentrichter und Bus. Davon kann der 1. Vorsitzende Erwin Pitz, nur ein bisschen älter als sein Klub, ein Liedchen singen und vor allem viele wunderbare Geschichten erzählen. Geschichten aus der Stadt, die die Stadtgeschichte prägen. Damals, so sagt er zum Gründungsjahr 1960, »haben die Leute hier noch in Baracken und Eisenbahnwaggons gelebt und bevor der Sportplatz entstehen konnte, musste erst einmal ein Bombentrichter zugeschüttet werden.« Natürlich in Eigenleistung, mit Schubkarren, alles in Handarbeit. Der Bolzplatz seiner Kindertage war »ne bessere Kuhwiese«, erinnert sich Pitz, aber das war natürlich völlig egal. Wo Kinder waren, wurde gegen die Kugel getreten, zwei Ranzen als Tore, ein kleines Feld, ab ging`s. Und wenn heute Messi oder Ronaldo, Mbappe oder Thomas Müller das Maß beim Kinder-Kicken sind, waren es damals Pele, Seeler oder Fritz Walter. Die Gründung des SV Schwarz-Weiß Gießen fiel in den August 1960, der Wunsch war Vater des Gedankens, an der Lahnstraße (immer hochwassergefährdet) einen Rasenplatz zu bekommen, aber, so hat Pitz einmal augenzwinkernd angemerkt: »Anscheinend ist das Gras nach unten gewachsen und kommt nicht mehr raus.«

So hatten die Schwarz-Weißen für ihren Stadtteilverein, was deutlich besser klingt als Brennpunkt (mit B), zunächst einen grauen Ascheplatz zur Verfügung, der später in einen Rotascheplatz umgewandelt wurde. Und der liegt auch heute noch in ganzer hartleibiger Pracht kurz vor der Brücke, hinter der es nach Kleinlinden geht. Inclusive einem in Eigenleistung erstellten schmucken Sportheim, das im Laufe der Jahrzehnte peu a peu erweitert wurde, so dass die Erinnerung an den ausrangierten Bus (noch ein B), der zunächst als Umkleidekabine diente, in diesen Tagen nur noch wie ein schlechter Traum erscheint. Vieles ist möglich, wenn man es wirklich will. Und gerade die kleinen Gießener Vereine stehen für mehr als nur sportliche Betätigung gegen einen Jahresbeitrag oder öde Jahreshauptversammlungen mit Anstecknadeln.

Vereine wie Schwarz-Weiß Gießen, ob sie nun in der B- oder A-Liga, Kreisoberliga oder sonst wo spielen, sind ein Instrument der Integration ebenso wie ein Stück Heimat und Identifikation. So ein Verein verleiht auch Selbstbewusstsein. Das weiß auch Erwin Pitz. Gerade bei den Schwarz-Weißen merkt man das, denn neben dem Fußball, zu dem sie (leider heute nicht mehr ganz so zahlreich wie ehedem) sonntags zum Heimspiel von der Margaretenhütte hin pilgerten, hat der Klub auch allerhand andere Sportarten zu bieten gehabt: Frauenhandball gab es mal, ein sehr talentiertes Frauenfußballteam, Basketball und eine erfolgreiche Dart-Abteilung. Und um es ganz exotisch zu machen: auch Sportangeln.

Aber es ging ja um den Fußball-B-Ligisten Schwarz-Weiß Gießen, der nicht nur 1965 (s)ein formidables Meisterteam stellte, sondern auch Episoden in der Kreisliga A hatte. Dabei sind die Schwarz-Weißen, deren Vereinsname daher rührt, dass die Altvorderen immer darüber sprachen, wie gut »die schwazze und weiße Buwe miteinander Fußball spielen«, wie auch andere Gießener Klubs stets ein Reservoir tatsächlich hochklassiger Talente gewesen.

Als der Straßenkicker noch gleichbedeutend war mit besonderem Talent, sich beim stundenlangen »Reusen« auf der Wiese oder Gasse allerlei Tricks und Kniffe und fußballerische Substanz erarbeitete, entsprangen auch bei den Schwarz-Weißen viele Fußballgrößen, die den Gießener Sport geprägt haben: Jonny Feldhaus, Willi Klein, Danny Gleiss, Floyd Bodenbach, Matthias Günther oder sein herausragend talentierter Sohn Jean-Claude, um nur ein paar zu nennen.

Auch schon wieder 12 Jahre ist es unterdessen her, dass es ganz eng wurde für die Schwarz-Weißen. »Da wollten wir schon abmelden«, weiß Erwin Pitz, »nicht mal für die B-Klasse hat es noch gereicht« bei dem Verein, der nicht nur wegen seiner geographischen Nähe stets eine enge Zusammenarbeit und regen Spieleraustausch mit dem TSV Klein-Linden, bis hin zu einer temporären Jugendspielgemeinschaft, pflegte.

Kreisfußballwart Henry Mohr, so sagte Pitz heute, »hat uns damals gerettet. Er hat von einer Abmeldung abgeraten, weil wir sonst nicht mehr auf die Beine kommen würden und uns für die Trostrunde gemeldet.« Der Stamm blieb immerhin erhalten, mit acht, neun Mann wurde weiter gekickt. Und danach kamen Matthias Günther als Coach, sein Sohn Jean-Claude, oder auch Marco Konrad und Markus Pitz aus alter Verbundenheit zurück. Und es ging nicht nur weiter, sondern sogar mit einem Topteam aus Ursprungs-Schwarz-Weißen in die A-Liga. Mittlerweile ist der SV Schwarz-Weiß Gießen wieder in der B-Liga angesiedelt, in der Tabelle etwas weiter unten als es (nicht nur) Erwin Pitz lieb ist. »In den beiden Abbruchsaisons während Corona waren wir auf Platz zwei und auf Platz drei, dann waren wir während des kurzzeitig neuen Modus in den Play-Offs«, denkt die gute Seele des Vereins an die Möglichkeit zurück, »ganz vorne anzugreifen.« Aber dann »hat das Verletzungspech zugeschlagen und zwei, drei Stammkräfte polnischer Herkunft sind zum FC Grüningen gewechselt«, weiß Pitz, dass der Start in die aktuelle Runde der Kreisliga B1 mit einigen unverhofften Tücken einherging. Aber Pitz wäre nicht Pitz, wenn er nicht das Licht am Ende des Tunnels sähe. Die Vorbereitung auf die Restrunde läuft unter dem Trainer-Duo Tyrone Konrad und Erik Pitz »wieder richtig gut, wir haben eine klasse Trainingsbeteiligung, ich hoffe, dass es in der Rückrunde aufwärts geht.«

Als und als weiter, sozusagen. Das ist im Fußball genauso wie im richtigen Leben. Nicht nur bei Schwarz-Weiß.

Ob Durchgangsstation, Betriebsunfall oder mit der Klasse längst verheiratet: Obwohl die B-Liga den tiefsten Punkt des Fußballkreises Gießen darstellt, ist sie längst kein sportlicher Tiefpunkt. Ob Blau-Weiß, Schwarz-Weiß, die Freie TSG, der ACE oder sogar Sachsenhausen und der TSV Rödgen: Bei all den Traditionsvereinen, die in der Saison 2022/23 klamm und heimlich gen A-Liga schielen, schnalzt so manch Alteingesessesener mit der Zunge. Auch Vereine wie der FC Besa, Hellas oder (Rückkehrer und Neu-Starter) Grüningen sind längst keine Unbekannten mehr. Grund genug, den Klubs, die mit ihrer ersten Senioren-Mannschaft an den Start gehen, in dieser Serie eine größere Bühne zu geben.

(dhn)

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