Verwegene Träumereien

Hüttenberg. Die vermutlich beste Zusammenfassung der Saison hat Johannes Wohlrab bereits nach dem drittletzten Spieltag gegeben. Kurz nachdem seine Mannschaft mit 29:32 beim HC Empor Rostock verloren hatte, erklärte der Trainer von Handball-Zweitligist TV Hüttenberg: »Wir hatten drei Wochen vor Rundenende ein Spiel, das wir unbedingt hätten gewinnen müssen, um ein Ziel zu erreichen.
Hätte man jemandem vor der Runde davon erzählt, hätte jeder geglaubt, dass wir dabei den Abstieg verhindert wollten. Aber nein, stattdessen ging es darum, die letzte Chance auf den Bundesliga-Aufstieg zu wahren«, analysierte der Coach damals. Ende November 2020 hatte Wohlrab den TVH übernommen, den Club dann im vergangenen Sommer souverän zum Klassenerhalt geführt, um in dieser Saison vom ersten Spieltag an ununterbrochen zur Spitzengruppe der Tabelle zu zählen. Am Ende wurde der ganz große Coup, der Aufstieg in die höchste deutsche Spielklasse, um nur drei Punkte verfehlt. Unsere Bilanz schaut genauer hin.
Die nackten Zahlen:
Das Hüttenberger Sportzentrum wurde in der abgelaufenen Saison zu einer Festung ausgebaut: 14 von 19 Heimspielen wurden gewonnen, somit holte der TVH 29 seiner insgesamt 46 Punkte vor heimischem Publikum - zweitbester Wert! Insgesamt gewannen die Blau-Weiß-Roten 21 ihrer 38 Spiele, vier endeten Remis, 13 wurden verloren. Ebenfalls beeindruckend ist die Offensivleistung des Teams: 1122 erzielte Tore bedeuten Rang zwei hinter dem VfL Gummersbach. Und auch der scheidende Kapitän Dominik Mappes schafft es - inoffiziell - auf Rang zwei. Seine 211 Tore bedeuten in der Torschützenliste zwar »nur« Platz fünf, allerdings erzielte Mappes diese Treffer in nur 30 Spielen. Nur Torschützenkönig Fynn Hangstein vom ThSV Eisenach (7,2 Tore im Schnitt pro Spiel) hat demnach häufiger getroffen als Mappes (7,0).
Das lief gut:
Obgleich die Hüttenberger das jüngste aller Zweitliga-Aufgebote hatten und nicht selten mit Drittliga-Leihspielern in der Startsieben agierten, legten sie eine beeindruckende Abgezocktheit an den Tag. Finanziell deutlich potentere Teams hatten gegen den Zusammenhalt meist das Nachsehen. Nicht vergessen werden darf die Grundvoraussetzung für eine junge Mannschaft, die sich nicht nur ausprobieren darf, sondern auch Ergebnisse liefert: Das Vertrauen, das der Trainer in sie steckt. Wohlrab schaffte es, seinen Youngstern gegenüber mit der Balance aus Euphoriebremse nach starken und feinfühliger Wiederaufbauarbeit nach schwächeren Auftritten zu begegnen.
Das lief nicht so gut:
Wenn sich hier etwas auflisten lässt, dann ist es die durchwachsene Auswärtsbilanz. Drei Punkte haben am Ende zum Aufstieg gefehlt, die in fremden Hallen verloren wurden. Sieben Auswärtssiege stehen dabei neun Niederlagen gegenüber, was Platz neun in der Auswärtstabelle bedeutet.
Die schönsten Momente:
Anfang und Ende reichen sich hier die Hände: Die Hüttenberger Saison begann mit einem beeindruckenden 26:21-Auswärtssieg bei Bundesliga-Absteiger Eulen Ludwigshafen, bei dem man bis zur Halbzeitpause nur ganze sechs Gegentreffer zuließ. Und sie endete mit einem deutlichen 32:25-Heimerfolg über den ASV Hamm-Westfalen, bei dem nicht nur ein kommender Erstligist in seine Schranken gewiesen wurde, sondern auch Christian Rompf, Stefan Kneer und Tobias Hahn im Anschluss emotional ihre Karrieren beendeten.
Die bittersten Momente:
Es war zwar nur ein verwegener Traum, doch er war eben da. Als die Hüttenberger am drittletzten Spieltag zum HC Empor Rostock fuhren, hätten sie gewinnen müssen, um ihre Aufstiegshoffnungen am Leben zu halten. Sie taten es nicht und verloren mit 29:32, Wohlrab sprach anschließend von einer »Situation, die man erst einmal verdauen müsse«, ehe er seine Mannschaft mit den eingangs wiedergegebenen Worten für deren Abschneiden lobte. Ebenfalls bitter war die Tatsache, dass Vit Reichl, tschechischer Nationalspieler und treffsicherer Kreisläufer, aufgrund einer Herzmuskelenzzündung, die er sich in Folge einer Corona-Infektion zugezogen hatte, die gesamte Rückrunde über pausieren musste.
Das sagt der Trainer:
Es war unter dem Strich eine sehr, sehr gelungene Saison. Es war überhaupt nicht damit zu rechnen, dass wir am Ende auf Platz vier landen. Das zeigt aber auch die Ausgeglichenheit dieser Liga, die man auch daran sieht, dass mit Hamm-Westfalen ein Aufsteiger 27 Minuspunkte hat. Bei uns hat viel zusammengepasst, jedes Rädchen hat irgendwo ineinandergegriffen. Wir hatten viele überragende Spiele, dazu haben sich unsere jungen Spieler viel schneller weiterentwickelt, als man das zuvor vermutet hatte. Wir wissen aber genauso gut, dass wir demütig und auf dem Teppich bleiben müssen. Jetzt gilt es, in der Sommervorbereitung die nächsten Schritte zu gehen und wieder genauso hart und professionell zu arbeiten, damit wir versuchen können, diese Leistung in der nächsten Saison zu wiederholen.