Vom Unglück, Fußballheld zu sein

Gießen . Fußball und Kokain, eine unheilvolle Allianz, die selbst die Karrieren der größten Fußballer zerstören kann, wie das Schicksal von Diego Maradona beweist. Bis heute wenig bekannt ist, dass bereits 1930 ein aufsehenerregender Fall in Frankfurt offenbarte, was diese Droge anrichten kann - nicht nur im Fußball.
»Ich möchte ein anständiger Mensch werden.« Der Hauptangeklagte, dem das Plädoyer des Staatsanwalts die Tränen in die Augen getrieben hatte, sprach mit leiser Stimme und es waren seine letzten Worte in einem spektakulären Verfahren, das sich im Dezember 1930 in Frankfurt am Main zutrug. Vor den Richtern standen fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen, die Anklage lautete auf Vergehen gegen das Opiumgesetz, Kuppelei und Diebstahl. Dass der Prozess großes Aufsehen erregte, die Zuschauerbänke waren bis auf den letzten Platz gefüllt und die Zeitungen berichteten ausführlich, lag nicht nur an der ohnehin anrüchigen Melange der Anklagepunkte, sondern auch am Hauptbeschuldigten, der ein bekannter Fußballer war. Er hatte Meisterschaften und Pokale errungen, war Nationalspieler gewesen und bei Olympischen Spielen sogar mit Edelmetall bedacht worden.
Immer mal wieder hatte es geheißen, er würde dann besonders gut spielen, wenn er vorab ein wenig Kokain geschnupft hätte. Was sich jedoch in der Verhandlung offenbarte, war mehr als der gelegentliche Griff nach einem Rauschmittel, es war der Blick in eine bizarre Parallelwelt, die alles mitbrachte, was das Interesse einer nach Sensation gierenden Öffentlichkeit anstachelte und all dem entgegenstand, was als »die guten Sitten« oder »die bürgerliche Moral« bezeichnet wurde.
Silber in Paris
Die Person, um die es in diesem Prozess vor allem ging, man sprach von der »Kokainaffäre Pache und Genossen«, hieß Robert Pache und war 33 Jahre alt. Er hatte 1897 in einem kleinen Ort in der Nähe von Lausanne das Licht der Welt erblickt und sich schon in jungen Jahren zu einem vorzüglichen Fußballer entwickelt, der Meisterschaften und Pokale errang. 1921 debütierte er auch in der Nationalmannschaft, mit der er beim Olympischen Fußballturnier 1924 in Paris die Silbermedaille gewann. Noch im gleichen Jahr siedelte Pache nach Deutschland über, wo er nun für den FSV Frankfurt spielte. Der Club aus Bornheim war Mitte der 1920er Jahre die klare Nr. 1 im Frankfurter Fußball und es schien, als wäre der Schweizer genau der Mann, der noch für einen überregionalen Erfolg gefehlt hatte.
Als er das erste Mal für den Fußballsportverein am Ball war, begannen gerade die Spiele um die Süddeutsche Meisterschaft und schnell wurde der Schweizer Lenker und Denker im Spiel der Bornheimer, übernahm auch gleich noch das Traineramt. Um es kurz zu machen: Für Pache und den FSV wurden die Saison zu einem Triumphzug, der bis ins Finale um die Deutsche Meisterschaft führte, das dann jedoch knapp mit 0:1 gegen den 1. FC Nürnberg verloren wurde. Frankfurt erlebte trotzdem eine bisher nicht gekannte Fußballbegeisterung und im Mittelpunkt der Ovationen stand Robert Pache.
In den beiden Folgejahren behauptete der FSV zwar seine Vormachtstellung im Frankfurter Fußball, an eine Endspielteilnahme war jedoch nicht mehr zu denken und der Fußballstern im Frankfurter Osten begann zu verblassen. Und auch Pache kam nun in die Jahre, seine Galaauftritte wurden seltener. 1929 wechselte er schließlich zum Lokalrivalen Rot-Weiß.
So wie sich die Lage in Deutschland mit der Weltwirtschaftskrise immer mehr verfinsterte, so schien auch Robert Pache nun immer schneller auf den Abgrund zuzusteuern. Was genau die Frankfurter Kriminalpolizei auf den Plan gerufen hat, um gegen den Schweizer vorzugehen, ist den erhalten geblieben Prozessunterlagen, die heute im Hessischen Staatsarchiv in Wiesbaden verwahrt werden, nicht mehr zu entnehmen. In jedem Fall wurde der Fußballstar unter dem Verdacht des Verstoßes gegen das Opiumgesetz und der Kuppelei im September 1930 in Untersuchungshaft genommen.
Am Abgrund
Während Kuppelei als Straftatbestand lange bekannt war, war das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln, das sogenannte Opiumgesetz, erst am 1. Januar 1930 in Kraft getreten. Kokain galt spätestens seit Ende des 1. Weltkrieges als »Modedroge« und die Nachfrage war so rasant gestiegen, dass Gesetze erlassen wurden, um dem Missbrauch Herr zu werden. Aufschlussreich ist, dass die deutsche Pharmaindustrie damals den Weltmarkt für Kokain beherrsche und man sich auch in Frankfurt nicht nur am Apfelwein berauschte, sondern auch am Kokain, wie es ein Historiker ausgedrückt hat.
Als der Prozess am 19. Dezember 1930 begann, saßen neben Robert Pache auch der Dentist Werner H., der Apotheker Emil S,, die Krankenschwester Else A. und die berufslose Babette G. auf der Anklagebank. Die Beweisaufnahme förderte dann eine Vielzahl intimer und verstörende Details zu Tage, die die Presse begierig aufsog. Pache und Babette G., die ihren Lebensunterhalt als Bardame in einschlägigen Frankfurter Etablissements verdiente, lernten sich 1927 kennen und es hieß, schon damals sei ihnen der Genuss von Kokain geläufig gewesen. Aber eine klassische Beziehung entwickelte sich nicht. Stattdessen verkehrte G. mit wechselnden Liebhabern und nicht selten spielten sich die amourösen Begegnungen unter dem Einfluss von Kokain und im Beisein von Pache in dessen Wohnung ab.
Bezugsquelle für das Kokain war der Dentist H., der bereits wegen Unzucht mit Minderjährigen und Nötigung vorbestraft war. Er bezog den Stoff wiederum von Apotheker S., der im Stadtteil Bockenheim tätig war und sich die Ware auch schon einmal durch die Liebesdienste williger Damen direkt an seinem Arbeitsplatz während des nächtlichen Notdienstes vergüten ließ.
Wie sehr Pache in diesem Umfeld offensichtlich jeden Halt verlor, zeigt der Fall eines Nachwuchsspielers, der gerade 16 Jahre alt war. Pache führte den jungen Mann, der zu ihm wie zu einem Idol aufgeschaut haben dürfte, in seiner Wohnung Babette G. zu und machte ihn auch gleich noch mit dem Rauschgift bekannt.
Ein Prozessgutachter stellte fest, Pache sei »ein nervöser Typ, schwer zu leiten und mit seiner ganzen Energie fanatisch auf den Sport ausgerichtet«. Das Kokain habe ihn zu einem Doppelleben verleitet, in dem er auch seine sexuellen Neigungen ausleben konnte, was jedoch nicht justiziabel sei. Im Grunde sei er ein Mensch mit vielen guten Seiten. Allerdings »hatte er das Unglück«, so das Gutachten, »ein Fußballheld zu werden.« Das habe ihn aus der Bahn geworfen und sein Selbstgefühl so überhöht, dass er mit der Zeit jeden Maßstab verloren hätte. Die Frauen seien ihm wahllos nachgelaufen und er konnte jede haben, die er wollte. Pache, so der Gutachter abschließend, sei jedoch nicht kokainsüchtig und könne daher auch nicht als unzurechnungsfähig betrachtet werden.
Spieler als Zeugen
In der Verhandlung traten auch Fußballer als Zeugen auf, die ihren Mitspieler übereinstimmend als sportliches und menschliches Vorbild schilderten. Nicht vergessen hatte ihn auch Dr. David Rothschild, sein früherer Präsident beim FSV Frankfurt. Der angesehene Mediziner hatte seine Spieler zwar immer zur strengen Enthaltsamkeit ermahnt, aber jetzt setzte er sich dafür ein, dass der Mann, der seinen Club um ein Haar zur Meisterschaft geführt hätte, im Gefängnis wenigstens noch eine Zeitung lesen durfte.
Alle Angeklagten bis auf Pache waren geständig, der zwar einräumte, gelegentlich Kokain konsumiert und weitergegeben zu haben, jedoch den Vorwurf der Kuppelei von sich wies. Am frühen Abend des 23. Dezember 1930 fiel das Urteil. Babette G. wurde aufgrund mangelnder Zurechnungsfähigkeit freigesprochen, aber umgehend in ein Krankenhaus zu einer Entziehungskur verbracht. Die Krankenschwester Else A. wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Dentist und der Apotheker mussten hingegen hinter Gitter und wurden zu je sieben Monaten Haft verurteilt. Noch härter traf es Robert Pache, der wegen fortgesetztem Vergehen gegen das Opiumgesetz und fortgesetzter Kuppelei zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt wurde, wobei zwei Monate Untersuchungshaft zur Anrechnung kamen. Ferner ordnete das Gericht an, dass der Haftbefehl wegen Fluchtgefahr in Kraft bliebe.
In seiner Begründung stellte das Gericht fest, dass sich der Schweizer durch den unerlaubten Erwerb und die gleichfalls unerlaubte Abgabe von Kokain mindestens seit 1927 gegen das Opiumgesetz vergangen habe. »Auch er war kokainsüchtig«, so die Richter. Ferner sahen sie ihn überführt, sich der gewohnheitsmäßigen und eigennützigen Kuppelei schuldig gemacht zu haben. Besonders verwerflich erschien dem Gericht dabei der Fall des jungen Fußballers. Diesbezüglich hieß es im Urteil über Pache: »Er, dem die körperliche Ertüchtigung der Jugend anvertraut war, hat dieses Vertrauen in schnödester Weise missbraucht und junge Menschen schamlos in die Tiefstände des geschlechtlichen Erlebens gezerrt. Insbesondere dieser Fall spricht eine deutliche Sprache für die erschreckende Gewissenlosigkeit des Angeklagten, der sich nicht scheute, einen 16-jährigen Jungen mit dem verheerenden Rauschgift und sexuellen Ausschweifungen übelster Art bekannt zu machen.«
Psychopathisch
Strafmildernd wurde hingegen berücksichtigt, dass Pache erstmals kriminell in Erscheinung getreten war und ihm seitens des Sachverständigen psychopathische Züge bescheinigt wurden, die eine geminderte Zurechnungsfähigkeit zur Folge hätten. Auf die Feststellung des Gutachters, dass man den Fußballer auch als Opfer seiner großen Popularität begreifen müsse, gingen die Richter nicht ein.
Robert Pache hat seine Gefängnisstrafe jedoch nicht vollständig verbüßen müssen, denn in den Akten findet sich ein auf den 5. Februar 1931 datiertes Entlassungsschreiben des Gerichtgefängnisses und man kann annehmen, dass er umgehend in sein Heimatland abgeschoben wurde. So konnte er bereits Mitte 1931, also nur rund sechs Monate nach dem Urteil, wieder als Trainer in der Schweiz aktiv werden.
Dass Pache auch auf diesem Gebiet außergewöhnliche Fähigkeiten besaß, bewies er im Jahr darauf, in dem er das Kunststück vollbrachte, mit Lausanne Sports als Zweitligist (!) Schweizer Meister zu werden. Das war möglich, weil die Eidgenossen gerade ihren Ligabetrieb neu geordnet hatten und auch Zweitligisten in einer Finalrunde die Chance auf den nationalen Titel eröffnet wurde. Ob sich Robert Paches Wunsch erfüllt hat, und »ein anständiger Mensch« geworden ist? Darüber kann man heute wohl nur noch spekulieren. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass dies nicht der Fall gewesen ist. Am 31. Dezember 1974 ist er im Alter von 77 Jahren in seinem Geburtsort Morges gestorben. Und wer weiß, vielleicht hat er sich auch gefreut, gut zwei Jahre zuvor, am 9. Juli 1972, dem Tag, an dem sein alter Club, der Fußballsportverein aus Frankfurt, schließlich doch noch Deutscher Meister geworden ist. Zwar »nur« bei den Amateuren, aber immerhin.
