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Von der Suche nach Schiedsrichtern

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Von: Rüdiger Dittrich

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Pfeife am Mann, Rote Karte in der Hand - ganz so einfach ist es dann doch nicht mit der Schiedsrichterei. Symbolfoto: dpa/KSO © Red

Gießen . Wenn am Samstag um 15 Uhr in der Fußball-Bezirksliga in Rheinhessen der VfR Nierstein auf den TSV Mommenheim trifft, ist Prominenz mit am Start - oder eher: an der Pfeife. Eine Halbzeit wird Bundesligaprofi Anton Stach (FSV Mainz 05), die andere sein Spieler-Kollege Nils Petersen (SC Freiburg) pfeifen, Mann am Rande, mit Überblick und Headset, ist Deutschlands »Schiedsrichter des Jahres«, Deniz Aytekin.

Dabei handelt es sich um eine Sonderaktion im Rahmen des »Jahres des Schiedsrichters«, das der Deutsche Fußball-Bund ausgerufen hat. Der Hingucker mit den zwei Bundesliga-Profis ist freilich mehr ein Marketing-Gag als eine nachhaltige Förderung der Schiedsrichterzunft, aber als solcher natürlich ebenfalls wichtig: Denn medienwirksam wird der Blick auf ein Problem gelenkt, das den DFB und die Landesverbände umtreibt, ja, immer stärker belastet. So ging innerhalb eines Jahrzehnts die Zahl der aktiven Fußball-Schiedsrichter von 70 000 auf 50 500 zurück - sagen die DFB-Quellen. Das trifft den Fußball nicht exklusiv, auch in Handball und Basketball gehen die Spielleiter teils massiv zurück. So hat beispielsweise der TV Lich Basketball eine Kampagne gestartet, um Schiedsrichter zu rekrutieren.

Im Fußball ist es mittlerweile schon so weit, dass z.B in manchen Kreisen in Baden-Württemberg Spiele in den unteren Ligen - mangels Masse - nicht mehr besetzt werden können. Grund genug, einmal nachzuhaken, wie es im Fußballkreis Gießen aussieht. Am besten bei Kreisschiedsrichterobmann Andreas Reuter. »Grundsätzlich«, sagt der für den SV Annerod pfeifende KSO, »ist die Welt bei uns im Fußballkreis noch in Ordnung.« Zwar habe sich Corona mit den zwei Jahren des Quasi-Stillstands auch ausgewirkt, »da haben schon ein paar aufgehört«, aber generell »sind wir noch ordentlich aufgestellt.«

Seit Reuters Amtsantritt vor sieben Jahren ist die absolute Zahl der aktiven Unparteiischen zwar von 220 auf 190 zurückgegangen, zuletzt habe es aber wieder einen leichten Aufschwung gegeben. Was mit Sicherheit auch an den handelnden Personen liegt, denn nicht nur Kreisfußballwart Henry Mohr ist mit viel Verve an der Basis im Einsatz, auch die Kreisschiedsrichter-Vereinigung Gießen ist über die Maßen engagiert, wie Sonderveranstaltungen wie der Vortrag des österreichischen Fifa-Referees Manuel Schüttengruber im November 2022 zeigen. »Wir haben zuletzt aus zwei Neulingslehrgängen auch wieder 20 Absolventen rekrutiert«, weiß der 41-jährige Reuter. Damit alleine sei es aber nicht getan. So gibt es auf dem Feld für die Schiri-Anfänger Unterstützung in Form eines sogenannten Tandems, bei dem der Jung-Schiedsrichter von einem erfahrenen Kollegen in Aktion unterstützt wird. Und auch als Beobachter mischen sich gestandene Schiedsrichter bei den ersten Einsätzen des Nachwuchses schon mal unters Volk auf den Sportplätzen. »Wir federn da mögliche Konflikte ab, reden schon mal mit Trainern oder auch Zuschauern. In Lich hatte ich den Fall, dass ich mir einen Zuschauer zur Seite genommen habe, der ein paar Mal reingerufen hatte. Ich habe ihm erklärt, dass der Junge erst 14, 15 Jahre alt ist, seine ersten Spiele pfeift und man da doch ein bisschen Rücksicht nehmen sollte.«

Kommunikation ganz wichtig

Andreas Reuter kennt die Crux der aktuellen Entwicklungen nur zu gut: »Das Empfinden der Work-Life-Balance ist heute anders als vor 20 Jahren. Das betrifft sogar ein Hobby wie die Schiedsrichterei«, beschreibt er, dass heutzutage rascher ausgestiegen wird - nach dem Motto: »Warum tue ich mir das eigentlich an?« Dem müsse man entgegenwirken, denn »die Kameradschaft, ich habe unheimlich viele Freunde unter den Schiedsrichtern, und auch die Zufriedenheit, da aktiv etwas mit und für den Sport und die Gemeinschaft zu tun, das entschädigt doch auch für den ein oder anderen unangenehmen Moment.«

Reuter kann die Situation gut einschätzen, sagt, dass die Schiedsrichterlage im Sportkreis noch recht komfortabel ist, weiß aber auch, dass »in den nächsten Jahren viele sehr zuverlässige Kollegen altersbedingt aufhören werden.« Zudem habe man einige »Kameraden, die sich auf Ansetzungen nicht melden«. Auch da gelte es, ins Gespräch zu kommen. Überhaupt sind Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation für Reuter wesentliche Faktoren, um dem Schwund entgegenzuwirken. Man habe zwei Talentkader auf die Beine gestellt, wo in einem junge Kollegen begleitet werden und in dem anderen gestandene Schiedsrichter, die schon Senioren oder höhere Jugenden pfeifen, weiter gefördert werden sollen. Da gibt es auch mal einen Bowlingabend, um außerhalb der Schiedsrichterei etwas gemeinsam zu unternehmen. All das sorgt dafür, dass Gießen noch genügend Schiedsrichter hat, um bis in die D-Jugend hinab und auch Partien in Nachbarkreisen, die nicht so gut aufgestellt sind, zu bestücken.

Dass man aber auch in Zukunft nicht nachlassen darf, weiß Andreas Reuter, der das Kampagnenjahr des DFB als Schritt in die richtige Richtung sieht, aber davor warnt, es nur als zwölfmonatiges Leuchturmprojekt zu verstehen. »Ich hoffe, dass es danach weitergeht, denn man muss an dem Thema dranbleiben, wenn es Erfolg haben soll.«

Dafür, so könnte man abschließend sagen, genügt ein Spiel mit Petersen, Stach und Aytekin nicht. Aber immerhin: es ist ein Anfang.

Unter dem Titel »Liebe den Sport, leite das Spiel« hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eine Umfrage im Amateurfußball-Barometer angeboten, an der 8000 Personen teilnahmen, darunter auch etwa 40 Prozent aktive Schiedsrichter. Sie beschreiben als...

Positiv

dass sie Spaß an der Tätigkeit haben (84 %), dass sie die sportliche Betätigung/ den gesundheitlichen Aspekt schätzen (79%); dass sie es schätzen, aktiver Teil des Fußballs zu sein (75%) und dass sie ihre Entscheidungskompetenz (85%) und ihr Selbstvertrauen (82%) damit stärken.

Negativ

dass es einen Mangel an Respekt seitens der Zuschauer gibt (85%), dass sie seitens der Spieler und Trainer zu wenig Wertschätzung erhalten (79%).

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