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Wenn der Handball zur Nebensache wird

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Von: Nico Hartung

Hüttenberg. Hätte ein Wahrsager Spielern und Verantwortlichen des TV Hüttenberg vor drei Jahren prophezeit, dass sie in der Saison 2022/23 gleich zwei Pflichtspiele den HC Motor Saporischschja spielen würden, hätte man sich im Handkäsedorf vermutlich über die Maßen gefreut, gleichzeitig wohl jedoch auch sehr verwundert dreingeschaut.

HC Saporischschja - TV Hüttenberg (Heute, 19.30 Uhr)

Denn eine solche Vorhersage wäre zu diesem Zeitpunkt für die Blau-Weißen-Roten nur so zu interpretieren gewesen, dass der TVH innerhalb von zwei Spielzeiten in die erste Bundesliga aufsteigt, sich dort für die Champions League qualifiziert und im Rahmen der Eliteliga-Gruppenphase auf den Serienmeister aus der Ukraine trifft. Alles andere schien unvorstellbar - und ein Krieg lag ohnehin völlig außerhalb des Vorstellbaren.

Doch die Realität, in der die Hüttenberger am Freitagabend (Anwurf: 19.30 Uhr) gegen die Ukrainer spielen, hat die vermeintlich romantische Vorhersage längst grausam überholt. Unten den Millionen Menschen, deren Leben sich durch den Angriff von jetzt auf gleich radikal verändert hat, sind auch die Handballer des HC Motor Saporischschja.

Die Athleten aus dem Südosten der Ukraine, die zuvor neun Mal in Serie Meister ihres Heimatlandes geworden waren, waren wie alle anderen Teams des nationalen Wettbewerbs gezwungen, den Fortgang der Superliga abzubrechen. Die Mannschaft, aus der sich zugleich auch der Großteil der ukrainischen Landesauswahl zusammensetzt, floh aus der Heimat und versuchte, den Trainingsbetrieb in Deutschland, gespickt mit einzelnen Testspielen gegen hiesige Teams, irgendwie aufrechtzuerhalten.

Dieser Zustand war der Ausgangspunkt für eine wohl einmalige Konstellation im deutschen Profi-Handball: Mithilfe der HBL und insbesondere der Stadt Düsseldorf, in deren Mehrzweckhalle Castello die »Heimspiele« des HC Motor seit Sommer ausgetragen werden, ist der ukrainische Champion in die 2. Bundesliga integriert worden - wenngleich die Ergebnisse der Aufeinandertreffen zwischen Saporischschja und den Zweitligisten nicht in die Endabrechnung eingehen, die am Ende über Auf- und Abstiege entscheidet. Bislang hat das Ensemble aus der sechstgrößten Stadt der Ukraine bei 18 Begegnungen fünf Siege und ein Unentschieden eingefahren, die restlichen Spiele wurden verloren. Dafür stellt der Club mit Igor Turchenko den bislang torgefährlichsten Akteur des Unterhauses. Insgesamt 126 traf der Halblinke bislang (davon 29 Mal von der Siebenmeterlinie) und ist damit neben Casper Ullrich Mortensen vom HSV Hamburg der zweit-erfolgreichste Torschütze des deutschen Profi-Handballs.

Eine akkurate Vorbereitung auf den Gegner und dessen Stärken und Schwächen steht beim TVH und dessen Trainer Johannes Wohlrab - im Gegensatz zu sonst - dieses Mal aber nicht auf dem Programm. »Ich finde es eine super Geschichte und ganz, ganz wichtig, dass die HBL diese Möglichkeit geboten hat, um den Spielern und ihren Familien dadurch zumindest ein wenig Normalität und Ablenkung von den schrecklichen Ereignissen in ihrer Heimat zu geben«, erklärt der TVH-Coach vor dem Aufeinandertreffen und betont: »Vor diesem Hintergrund sieht man einfach mal, wie unwichtig viele andere Dinge im alltäglichen Leben sind. Wir geben natürlich unser Bestes, wollen diese Auftaktpartie jedoch auch dafür nutzen, um wieder in unseren Spielrhythmus zu kommen.«

Personell kann der 36-Jährige nach der WM-Pause, in der der TVH zwei Testspiele gegen die Limburg Lions aus den Niederlanden (35:30) und den TV Großwallstadt bestritt, nicht aus dem Vollen schöpfen. Paul Kompenhans ist nach einer Operation am Sprunggelenk im vergangenen Herbst zwar wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen, ein Einsatz käme für den Nachwuchs-Mittelmann jedoch noch etwas zu früh.

Längerfristig wird man beim TVH indes abermals auf Joel Ribeiro verzichten müssen. Der Portugiese, der seit seinem Wechsel nach Mittelhessen im Sommer 2021 immer wieder von Blessuren und Verletzungen heimgesucht wird, muss sich nun doch einer Operation am lädierten Fußgelenk unterziehen. Wohlrab geht davon aus, dass der Rückraum-Allrounder deshalb »etwa drei bis fünf Monate« ausfallen wird.

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